Ein Kommentar von Uwe Hoering, 18. August 2010
Sprunghaft steigende Preise für Getreide wecken Erinnerungen an die Krise vor zwei, drei Jahren, als der „Tortilla-Krieg“ in Mexiko und Hunger-Demonstrationen in zahlreichen weiteren Ländern Schlagzeilen machten. Die Geschichte könnte sich wiederholen, auch wenn die zuständigen Hungerverwalter wie die UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation FAO noch abwiegeln. (1) Um einer neuerlichen Ausweitung der Ernährungskrise zu begegnen, ertönt jetzt immer häufiger der Ruf nach einer Regulierung der globalen Nahrungsmittelmärkte. (2) Was für die Finanzmärkte diskutiert wird, scheint doch für Spekulanten, die mit dem täglich' Brot spielen, erst recht angesagt.
Das klingt radikal, besonders wenn es aus Kreisen kommt, die jahrzehntelang dem freien Handel als Mittel der Wahl gegen den Hunger in der Welt das Wort geredet haben. Es hilft aber leider wenig. Denn erstens stieg die Zahl der Hungernden bereits vor der Krise kontinuierlich (3), ein deutlicher Hinweis, dass die Ursachen woanders liegen. Außerdem betrifft die Spekulation vor allem den kleinen Teil der Nahrungsmittel, die global gehandelt werden, und damit auch nur einen kleinen Teil der Hungernden. Die meisten von ihnen leben auf dem Land. Ihre Äcker sind zu arm, um genug Lebensmittel zu erzeugen, ihre Löhne zu niedrig, um verfügbare lokale Nahrung zu kaufen. Aber nicht diese schweigende Mehrheit der Hungernden und unzulänglich Ernährten macht der Politik Sorgen, sondern die städtischen Bevölkerungen, die ihre Wut auf die Straßen tragen.
Wichtiger wäre es, mehr Nahrungsmittel zu erzeugen, um der Spekulation den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und zwar dort, wo sie benötigt werden - in den armen ländlichen Regionen. Das wissen auch die, die jetzt nach Regulierung rufen, und fordern mehr Investitionen in den Agrarbereich. Diese müssten vordringlich in die bäuerliche Landwirtschaft fließen, in die Betriebe von Millionen Bäuerinnen und Bauern, die den größten Teil der Nahrungsmittel erzeugen und noch weitaus mehr erzeugen könnten, wenn sie entsprechend unterstützt würden. (4) Hier muss der Kampf gegen Hunger und die Volatilität der Nahrungsmittelpreise ansetzen, nicht erst auf der globalen Ebene, bei der Sumpfblüte der Spekulation.
Stattdessen werden allerdings die Investitionen von Agrarkonzernen und Finanzspekulanten in die industrielle Landwirtschaft gefeiert, die seit einiger Zeit unter dem Stichwort 'Land grabbing' berüchtigt wurden. (5) Auch hier soll ein wenig Regulierung helfen, sie 'vernünftig' und 'nachhaltig' zu machen – dann werde der Hunger schon aus der Welt verschwinden, so die vollmundigen Versprechungen. (6) Doch es ist genau diese globale Agrarindustrie, die den gegenwärtigen Zustand von weltumspannendem Agrarhandel auf der einen Seite, Mangel auf der anderen verursacht hat, indem sie die bäuerlichen Produzenten an die Wand gedrängt oder ganz von ihren Produktionsmitteln getrennt hat. Damit wurde auch der Boden für die Spekulation bereitet, die die Zauberlehrlinge jetzt mit dem Regulierungs-Spruch in die Ecke zurück beordern wollen. Der Ruf nach Regulierung geht zudem an Cargill & Co, an den Konzernen, die den Handel kontrollieren, vorbei. Er ist folglich gar nicht radikal, da er nicht an die Wurzel geht. Stattdessen wird damit ein modischer Popanz aufgebaut. Obwohl die, die das tun, es eigentlich besser wissen müssten. (3.600 Zeichen)
(1) www.fao.org/news/story/en/item/44570/icode/
(2) www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org/wearchiv/042ae69dd00f25501.php
(3) www.fao.org/news/story/0/item/20568/icode/en/
(5) www.grain.org/briefings/?id=212
(6) www.globe-spotting.de/fileadmin/user_upload/globe-spotting/Africa/Leitlinien_Landnahme.pdf