Globe Spotting

Themendienst

Reportagen & Analysen

Uganda: Landflucht, Landraub, Landlust

von Uwe Hoering, September 2013

Die kleine Siedlung von Holz- und Lehmhütten liegt genau auf dem Äquator, am Ufer des Victoria-Sees.  Am frühen Morgen kommen die Fischer zurück. Der ‚Kapitän’ eines der schmalen Holzboote mit zwei Mann Besatzung trägt über einem abgetragenen dunklen Anzug einen zerrissenen Plastikumhang, der ihn gegen die Feuchtigkeit nachts auf dem See schützen soll. Der Fang ist mager – ein Dutzend Tilapia, kaum größer als ein Handteller, und zwei Eimer silbriger Fischchen, nicht länger als ein kleiner Finger. Die großen Fische sind längst ‚nach Norden gewandert’, für den Export wurde der See überfischt. Frauen aus der Hüttensiedlung kaufen die kleinen Fische, trocknen sie auf großen Netzen und verkaufen sie weiter, ein Reissack voll für 60.000 Uganda Shilling, umgerechnet 20 Euro. Ein Händler aus der nahegelegenen Kleinstadt kauft die Speisefische. Florence ist hier die Chefin, als Händlerin und als Vorsitzende des Dorfkomitees. 5.000 Shilling muss jemand für dessen Erlaubnis zahlen, auf der kahlen, sandigen Fläche, die zum See hin abfällt, eine Behausung zu bauen.

Hassan kann die 100.000 Shilling für die Fanglizenz und noch einmal den gleichen Betrag für die Miete eines Bootes und der Netze nicht aufbringen. So heuert er bei den Bootsbesitzern an. Sein Lohn richtig sich nach dem Erlös. Er ist aus der Gegend um Jinja, der zweitgrößten Stadt des Landes östlich der Hauptstadt Kampala, hierher gekommen, weil er dort keine Arbeit fand, und Land hat er auch nicht. Seine Frau baut etwas Gemüse und Süßkartoffeln auf einem Fleckchen Erde an, das ihr die Bauern im Dorf oberhalb der Siedlung überlassen haben. „Erzähl Obama, dass es in Uganda arme Menschen gibt “, sagt er zum Abschied.

 

Attraktion Stadt

Wie Hassan sehen viel junge Menschen in Uganda keine Zukunft mehr mit der Landwirtschaft. „Es ist traurig, dass so viele die ländlichen Regionen verlassen haben“, bedauert James Mutebi von der Caritas Kampala. Man trifft sie überall in der quirligen, aus allen Nähten platzenden Hauptstadt, aber auch in den kleineren Städten. An jeder Straßenecke steht ein Pulk von Motorradfahrern, die auf Kunden warten. Boda-Boda heißen diese Taxis nach dem englischen Wort ‚border’, weil sie auch zum kleinen Grenzverkehr genutzt werden. Angesichts der Dauerstaus in Kampala sind sie für viele die beste Möglichkeit, sich überhaupt fortzubewegen, aber auch um Waren aller Art zu transportieren.

Die Zahl der Boda-Boda-Fahrer ist groß, die Konkurrenz riesig. Viele müssen sich ein Motorrad mieten und zahlen dann von ihrem meist geringen Verdienst dem Besitzer täglich 10.000 Schilling. Der Rest geht weitgehend für Benzin, Essen und einen Schlafplatz drauf. Aber die Arbeit auf dem Feld, so einer von ihnen, finden sie zu anstrengend.

 

Nachhaltige Landwirtschaft

Benedict Kalungi kann die Boda-Boda-Fahrer nur bedauern. „Wenn man es richtig macht, kann man von der Landwirtschaft sehr viel besser leben“, sagt er. Er hat seine eigene kleine Farm, mit Obstbäumen, Kochbananen, Gemüse, Heilkräutern und Gewürzen, auch etwas Kleinvieh. “Wir sind es doch, die die Menschen in den Städten ernähren“, verkündet er stolz.

Um die Feuchtigkeit der unregelmäßigen, seltenen Niederschläge länger zu halten, ist der Boden mit Stroh abgedeckt. Gedüngt wird mit Kompost aus Ernteabfällen. Unkraut wird gejätet und auch gegen Schädlinge setzt Benedict keine Agrargifte ein, sondern biologische, pflanzliche Mittel. In einem dicken, grauen Zementtank, der 10.000 Liter fassen kann, sammelt er Regenwasser. Damit ist zwar keine Bewässerung möglich, aber der Weg zur Quelle einige hundert Meter hinunter ins Tal entfällt, und zumindest für das Vieh und das Gemüse reicht es meistens auch. Eine Tröpfchenbewässerung mit Plastikflaschen an einem Stab, in deren Boden Löcher sind, und der ‚TipTab’, eine simple Kippvorrichtung zum Händewaschen mit einem Kanister, sparen Wasser.

„Nachhaltige ökologische Landwirtschaft ist die beste Methode für afrikanische Kleinbauern“, sagt Harriet Nakasi, Leiterin des Agrarprogramms der Erzdiözese Kampala, das Betriebe bei der Umstellung auf bessere, ertragreichere Anbaumethoden berät. Denn kaum eine Familie besitzt mehr als ein oder zwei Hektar Land. Nur mit guter Planung, die jeden Fußbreit intensiv nutzt, gibt es genug Erträge, um nicht hungern zu müssen. Und kosten darf es auch nicht viel, denn die Familien haben kaum Geld, um Dünger oder Saatgut zu kaufen.

 

Steigende Bodenpreise

Doch der Druck, die Landwirtschaft aufzugeben, wächst. In der Region um die Hauptstadt werden inzwischen für ein Grundstück, das kaum größer ist als ein halbes Fußballfeld, umgerechnet 20.000 Euro gezahlt. In einer der zahlreichen Housing Estates, die in kleineren Städten wie Buwaange im Einzugsbereich der Hauptstadt entstehen, kostet ein Baugrundstück von 500 Quadratmetern immer noch acht Millionen Shilling, über 2.000 Euro. Da wächst die Verlockung, zu verkaufen. Aber auch die Gefahr der Vertreibung. Unklare Landrechte, Korruption, politischer Einfluss und eine undurchsichtige Registrierung, die auch durch die Umstellung auf Computer nicht transparenter geworden zu sein scheint, erleichtern das. Im Norden des Landes, wo es Gold und andere Bodenschätze gibt, stecken sich hochrangige Politiker große Gebiete ab, die eigentlich gemeinschaftlich genutztes Land der dort lebenden nomadischen Viehhalter sind. „Es kann jeden treffen“, klagt die Mitarbeiterin der ugandischen Menschenrechtsorganisation Food Rights Alliance, FRA, über dieses ‚Land grabbing’.

Gezielt gefördert wird der Ausverkauf des Landes durch die Regierungspolitik. „Jeder darf hier Land erwerben, auch Ausländer“, erklärt die FRA-Mitarbeiterin. Internationale Schlagzeilen und heftigen Widerstand rief der Fall der Kaffeeplantage Kaweri in Mubende, 150 Kilometer westlich  von Kampala, hervor. Für das ugandische Tochterunternehmen der Neumann Kaffee-Gruppe aus Hamburg, einem der größten Kaffeehändler der Welt, machte das Militär vor zwölf Jahren 4.000 Hektar Land frei. Viele der rund 2.000 vertriebenen Familien warten bis heute auf Entschädigung, obwohl sie ihnen durch ein ugandisches Gericht zugesprochen wurde. Die deutsche Muttergesellschaft wäscht ihre Hände in Unschuld. Auch für Industriewälder, Zuckerrohrplantagen und Blumenfarmen macht sich die Regierung in Kampala stark. Sie setzt auf ausländische Investoren, industrielle Landwirtschaft und Agrarexporte, nicht auf bäuerliche Betriebe.

 

‚Traumjob’ Blumenarbeiterin

Die Blumenfarm FIDUGA an der Straße zum Flughafen von Kampala in Entebbe wirkt wie eine Fata Morgana. Tagsüber sehen die Dächer der über zwei Dutzend riesigen Gewächshäuser aus wie Segel einer Bootsregatta, nachts sind sie durch Tausende von Lampen hell erleuchtet, ein Raumschiff, das in der Dunkelheit des ländlichen Raums gelandet ist. Täglich fließen zwei Millionen Liter Wasser durch die Bewässerungsschläuche. Regelmäßig werden die Dächer abgewaschen, damit das Sonnenlicht besser die Pflanzen erreicht. Die Plantage hat eigene Brunnen, einen Stausee, ein riesiges Sammelbecken für Niederschläge - Wasser im Überfluss, wovon kleinbäuerliche Farmer wie Benedict nur träumen können. Und die vielen Tonnen Agrargifte, die hier täglich eingesetzt werden, würden sicher entsorgt, unterstreicht der Pressesprecher des Unternehmens.

Grace (Name geändert – U.H.) arbeitet in der Blumenfarm – scheinbar ein guter Job. In der Halle, in die mehrere Tennisplätze passen würden, stehen die niedrigen Chrysanthemen-Pflanzen wie ein dichter Rasen. Es herrscht gespenstische Stille. Denn Grace und die anderen Arbeiterinnen müssen konzentriert zählen: Stundenlang schneiden sie Stecklinge, jeweils 50 Stück, alle exakt gleich lang. Um die Stecklinge frisch zu halten, tauchen sie die Stiele dann in eine Flüssigkeit, packen sie in kleine Plastiktütchen und in Kisten, deren Strichcode auch verrät, welche Pflückerin jeweils tätig war – Reklamationen können dann bis zu Grace und ihren rund 500 Kolleginnen und Kollegen zurück verfolgt werden. Vom Gewächshaus geht es ins Kühlhaus, und dann zum nahegelegenen Flughafen. 10 Millionen Chrysanthemen-Stecklinge werden wöchentlich nach Holland ausgeflogen.

Scheinbar ein guter Job. Das Grundgehalt beträgt fast 90. 000 Shilling im Monat, mit Überstunden und im Akkord kann Grace auf das Doppelte kommen. Krankenstation, Werkbus, Mietzuschuss, Schutzkleidung, Urlaub, ein Betriebsrat, eine große helle Kantine, .... ein Musterbetrieb, wie ihn der Pressemensch vorstellt. Grace will trotzdem weg, sobald sie genug gespart hat, und ein eigenes kleines Geschäft in Kampala aufmachen. „Wenn wir den Betriebsrat brauchen, ist er nicht da“, deutet sie vorsichtig an, dass es im Musterbetrieb durchaus Probleme gibt. Und auch mit der Hoffnung auf das eigene Geschäft kann es dauern. Aufgrund der hohen Lebenshaltungskosten in der Hauptstadtregion kann sie nicht viel zurücklegen, ihr Startkapital wächst daher nur langsam.

 

Wertschöpfung

„Wir ermuntern Bauern, anzubauen, was sie auch selbst essen können“, erklärt James Mutebi, Berater des Agrarprogramms. Auch andere Lebenshaltungskosten sind in den ländlichen Regionen gering. Und aufgrund der weitgehend ökologischen Anbaumethoden sind die Produktionskosten keine große finanzielle Belastung. Trotzdem brauchen die Familien natürlich Geld, vor allem auch für die Ausbildung. Ausgaben für Schulgebühren, Schulkleidung und Bücher können sich bei einer Familie mit sechs Kindern schnell auf vier Millionen Schilling im Jahr summieren.

Wenn die Farmen florieren, bringt der Verkauf von Kochbananen, Süßkartoffeln oder Hühnern Einkommen. Und natürlich ist seit Jahrzehnten der Kaffee die verbreitetste Verkaufsfrucht.  Seit der Abwicklung der staatlichen Unterstützung durch die Strukturanpassungsmaßnahmen in den 1980er Jahren und aufgrund schwankender Weltmarktpreise sind die Kaffeesträucher für viele Kleinbauern allerdings weniger lukrativ und wurden gegenüber dem Anbau von Nahrungsmitteln vernachlässigt. Bio- und fair gehandelter Kaffee können aber einen Anreiz bieten, wieder den Kaffeeanbau hochzufahren.

Wichtig ist aber vor allem, den Markt vor der eigenen Haustür zu erschließen. Judith Ngalukiye hat 13 Kühe und einige Kälber. Mit etwas mehr als einem Hektar Land, das der seit 15 Jahren alleinstehenden Mutter von fünf Kindern gehört,  ist das wirtschaftlich nur durch „Zero Grazing“ zu schaffen: Die Kühe stehen im Gehege, die frühere Weide dient dazu, Grünfutter, Nahrungsmittel und Obstbäume anzubauen. Zwar muss Judith jetzt zufüttern, um die Milchproduktion zu sichern. Doch der Verkauf über die Milchsammelstelle der Frauengruppe an der Dorfstraße und an Stammkunden macht das leicht wieder wett. Und ihr Feld reicht auch noch, um rote Pfefferschoten anzubauen, die ein Händler aus Kampala aufkauft und exportiert. Alle ihre Kinder haben inzwischen eine gute Ausbildung. „Natürlich war es nicht einfach, aber ich habe eine positive Einstellung“, sagt sie selbstbewusst.

William Mazinga würde die Verarbeitung und Vermarktung von Bio-Produkten der zahlreichen Gruppen, die inzwischen vom Agrarprogramm aufgebaut worden sind, gerne professionell aufziehen. Er kauft von ihnen Mangos oder Passionsfrucht auf und verarbeitet sie zu Wein und Säften. Damit ist nicht nur die ‚Wertschöpfung’ höher. „Vom Bio-Wein bekommt man auch keinen dicken Kopf“, verspricht er, „genau genommen ist das Medizin“. Er verkauft bereits in der Umgebung an Verkaufsstände, wo sich Studierende der nahegelegenen Hochschule treffen, und für Familienfeiern. Die etikettierten Flaschen sehen schon so aus, als würden sie in Regale von Supermärkten passen, doch bis das so weit ist, sind noch einige bürokratische Hürden zu nehmen. Aber William hat damit eine Perspektive als Kleinunternehmer in der Verarbeitungsindustrie, und auch in Uganda wächst die Zahl der Verbraucher, die Bio-Produkte bevorzugen.

 

David gegen Goliath

Durch die Verbesserung der Anbaumethoden und vielseitigere Produkte, durch höhere Erträge, durch nachhaltige Landwirtschaft und die Ansätze zum Aufbau einer gemeinschaftlich organisierten Vermarktung von frischen und verarbeiteten Produkten sei es in den vergangenen Jahren schon gelungen, viele Familien oder junge Leute, die auf dem Absprung waren,  auf dem Land zu halten, sagt James Mutebi.  „Es ist nicht leicht, sie zu überzeugen“, räumt er ein, „aber auch nicht unmöglich“. Doch erst wenn es im nächsten Schritt auch noch gelingt, die bestehenden Gruppen von zumeist 20 bis 25 Mitgliedern zu größeren Organisationen zusammenzuschließen, die dann auch gemeinsam Forderungen an den Staat richten und Einfluss auf die Agrarpolitik nehmen können, „erst dann wird unsere Arbeit wirklich nachhaltig“, sagt Harriet.

Denn steigende Bodenpreise, Land grabbing und die Vernachlässigung der bäuerlichen Landwirtschaft durch den Staat sind nicht die einzigen Entwicklungen, die eine Konsolidierung oder gar Ausweitung solcher Ansätze einer nachhaltigen ökologischen Landwirtschaft gefährden. Die Förderung der kommerziellen industriellen Landwirtschaft geht zum Beispiel mit Gesetzesvorhaben einher, durch die internationale Agrarkonzerne ihren Zugang zum afrikanischen Markt ausbauen wollen, auch für gentechnisch verändertes Saatgut. Teures, patentiertes Saatgut müssten die Bauern dann jedes Jahr für die Aussaat neu kaufen, anstatt wie bislang einen Teil ihrer Ernte zu verwenden. „Wer das Saatgut kontrolliert, kontrolliert die Welt“, warnt Florence Nassuuna, die für die Caritas im Netzwerk ACSA mitarbeitet, das sich für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzt.

Es ist ein Kampf Goliath gegen David. „Die Regierung wünscht uns alles Gute, aber gibt wenig Unterstützung“, sagt James Mutebi. Die kritische Zivilgesellschaft, die gegen Land grabbing und Korruption mobilisiert, wird eingeschüchtert, Demonstrationen unterbunden, Telefone abgehört. Gleichzeitig haben auch in Uganda - wie in vielen Ländern Afrikas - Agrar- und Ernährungskonzerne, Stiftungen wie die Bill & Melinda Gates Foundation und ausländische Entwicklungsfinanziers erheblichen Einfluss auf die Agrarpolitik. Die Vorstellungen und Interessen dieser Allianzen für eine „Grüne Revolution“ in Afrika unterscheiden sich grundlegend von einer nachhaltigen bäuerlichen Landwirtschaft – und würden die Landflucht nur weiter beschleunigen. (Länge: 15.000 Zeichen)

------------

Diese Recherche-Reise wurde geplant und finanziert vom Bischöflichen Hilfswerk Misereor, Aachen, das das Agrarprogramm der Erzdiözese Kampala fördert; vor Ort wurde sie vom Sustainable Agriculture Programme der Caritas Kampala organisiert, die das Agrarprogramm umsetzt.

Copyright: Uwe Hoering, Übernahme nur nach Rücksprache: Hoering (at) globe-spotting.de