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Der Griff nach dem Land – Literaturübersicht (Nr. 1/September 2010)

von Uwe Hoering, September 2010

Seit gut zwei Jahren wird über Land grabbing gestritten, also über die Entdeckung durch spekulatives und produktives Kapital, dass Land und Landwirtschaft lukrative Anlagemöglichkeiten versprechen. Für zivilgesellschaftliche Organisationen, Entwicklungsinstitutionen und Forschung hat sich hier inzwischen ein zentrales Themenfeld entwickelt, aber auch Bauernverbände und soziale Bewegungen mobilisieren gegen Enteignungen und ausländische Investoren. Die Veröffentlichungen über diesen „Griff nach Land“, sein Ausmaß, seine Ursachen und Auswirkungen und über daraus abgeleitete Handlungsanleitungen, politische Forderungen und Gegenstrategien sind inzwischen so unübersichtlich wie die Landnahmeverträge und -vereinbarungen selbst.

Ein zentrales Problem ist nach wie vor, überhaupt das Ausmaß dieser neuen Landnahme-Bewegung durch private Investoren zu erfassen, da beteiligte Regierungen und Unternehmen selten Angaben über die Größe der Ländereien, die gepachtet oder gekauft werden, offen legen, geschweige denn Informationen über Vereinbarungen, Preise und andere Zusagen. Dementsprechend hoch waren die Erwartungen an den Bericht „Rising Global Interest in Farmland“ der Weltbank, die als die wichtigste internationale Entwicklungsorganisation am ehesten in der Lage sein sollte, ein umfassendes, verlässliches Bild zu liefern (1). Nach ihren Angaben gab es allein zwischen Oktober 2008 und Juni 2009 Verhandlungen und Vereinbarungen mit privaten Unternehmen über 45 Millionen Hektar Land, über 70 Prozent davon in Afrika südlich der Sahara. Im Durchschnitt der Jahre zuvor wurden lediglich Verträge über vier Millionen Hektar jährlich abgeschlossen. Ansonsten bleibt aber auch die Weltbank differenzierte Angaben zu einzelnen Ländern, zu den beteiligten Unternehmen oder zum geplanten Verwendungszweck – also für den Anbau von Nahrungsmitteln, Agrartreibstoffen und anderen Rohstoffen oder Viehzucht - schuldig, trotz des enormen Aufwands, den sie für die Erstellung des Berichts betrieben hat, und trotz der guten Kontakte, die sie als einflussreiche Beraterin und Kreditgeberin zu vielen Regierung eigentlich hat.

Süffisant vermerkt die Nichtregierungsorganisation GRAIN, die mit ihrem Bericht „Seized“! The 2008 land grab for food and financial security“ 2008 die Diskussion angestoßen hat (2), in ihrer Besprechung (3) des Weltbank-Berichts, dass die Bank kaum eigene Daten und Fakten vorlegen kann, sondern sich vor allem bei der von GRAIN betriebenen Infoseite farmlandgrab.org (4) bediente und dann lediglich einige ausgewählte Fälle durch eigene Recherchen vertiefte. Dementsprechend kritisiert GRAIN den über 160-seitigen Bericht als “enttäuschend“ und „alles andere als neu“. Ähnlich enttäuscht zeigt sich Ian Scoones in einem Diskussionsbeitrag (5), weil der Bericht nach seiner Auffassung „uneindeutig “ sei: Während er in einigen Teilen die Kritik vieler Beobachter und zivilgesellschaftlicher Organisationen bestätigt, würde er gleichzeitig versuchen, der ganzen Entwicklung doch noch eine positive Wendung zu geben.

GRAIN hatte mit „Seized!“ nicht nur auf das Problem aufmerksam gemacht, sondern auch die weitere Diskussion stark geprägt. Hier sind bereits wesentliche Aspekte der weiteren Auseinandersetzung vorgegeben: „Die gegenwärtige Nahrungsmittelkrise und die Finanzkrise haben einen neuen globalen Land grab hervorgerufen. Zum einen greifen sich Regierungen von Ländern, die keine ausreichende „Ernährungssicherheit“ haben und zur Versorgung ihrer Bevölkerung auf Importe angewiesen sind, große Ländereien im Ausland, um Offshore Nahrungsmittel zu erzeugen. Zum anderen betrachten Nahrungsmittelkonzerne und private Investoren, Profitgierig mitten in der Krise, Investitionen in Farmen im Ausland als eine wichtige neue Einnahmequelle. Als Folge davon wird fruchtbares Ackerland zunehmend privatisiert und konzentriert. Wenn das nicht gestoppt wird, dann könnte dieser globale Land grab das Ende der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und ländlicher Lebensweisen in zahlreichen Regionen rund um die Welt bedeuten.“

Risiko und Chance

In der Tat hat der Weltbank-Bericht viele dieser Befürchtungen und Warnungen von nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen, Bauernverbänden und Umweltgruppen bestätigt: Durch Investitionen in Viehweiden oder Plantagen mit Ölpalmen gehen erfahrungsgemäß große Waldflächen verloren, während ihr Beitrag zur Armutsminderung nur gering ist. Um Kapital aufs Land zu locken, sind üppige Subventionen und Anreize erforderlich. Auch stellte der Bericht fest, dass in vielen Vereinbarungen geringe oder gar keine Entschädigung für den Verlust von Landnutzungsrechten geleistet wurde. Vor allem bevorzugen die Investoren Länder mit schwachen Landrechten und Governance-Strukturen, weil sich dort die Bevölkerung leichter vertreiben lässt. Die Risiken der Landnahme seien daher „sehr groß“, so die Bank. Probleme führt sie vor allem auf schwache Regierungen und schlechte Politik, auf fehlenden Schutz der Rechte lokaler Bevölkerungen, auf unzulängliche Institutionen und staatliche Kapazitäten zurück.

Auf der anderen Seite setzt die Weltbank große Hoffnungen auf die „großflächigen Erwerbungen“, wie sie es nennt, und auf die erhofften „Investitionen“ in Land und Landwirtschaft. Für wie wichtig sie das Thema hält, zeigt sich unter anderem an der vor einiger Zeit erfolgten Neugestaltung der Website ihrer Abteilung Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung (ARD), deren Schwerpunkt jetzt privatwirtschaftliche Investitionen in die Landwirtschaft, deren Förderung und Unterstützung ist (6). Eins der zentralen Postulate ist, dass die „ausgedehnten ungenutzten Ländereien“ und die „niedrige Produktivität vieler Kleinbauern“ erhebliche Spielräume für landwirtschaftliches Wachstum bieten würden. Investoren könnten deshalb einen großen Beitrag leisten, um die Landwirtschaft zu entwickeln und Produktion und Produktivität zu steigern.

Bereits vor dem Bericht der Weltbank sind eine ganze Reihe von Texten und Studien erschienen, die alle nach diesem Muster „Risiken und Chancen“ beziehungsweise „Herausforderungen und Möglichkeiten“ argumentieren. Die meisten stammen von staatlichen und multilateralen Entwicklungsorganisationen oder ihnen eng verbundenen Forschungsinstitutionen. Dazu gehören zum Beispiel „Land grab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa“, herausgegeben von IIED und den beiden UN-Organisationen FAO und IFAD (7), und „Land Grabbing“ by Foreign Investors in Developing Countries, herausgegeben vom International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington (8), die statt vom „Griff nach dem Land“ lieber von „Investitionen“ oder „Erwerb“ sprechen.

Dabei formulieren sie durchaus auch mehr oder minder deutliche Kritik am Agrarbusiness und seinen negativen Auswirkungen wie die ebenfalls von der Weltbank herausgegebene StudieForeign Investment in Agricultural Production(9). Sie bleiben mit ihren Vorschlägen aber sehr eng eben diesem System verbunden, in diesem Fall zum Beispiel mit dem Plädoyer, dass Kleinbauern doch als Vertragslandwirte von großflächigen Agrarinvestitionen profitieren könnten. Auch der FAO-Text „International Investments in Agricultural Production(10) und die Studie „Making the most of agricultural investment(11), die „Geschäftsmodelle“ vorstellt, die „Kleinbauern Chancen eröffnen“, versuchen, aus dem Griff der Investoren nach Land und damit einhergehender Enteignung Entwicklungsmöglichkeiten für die bäuerliche Landwirtschaft zu machen.

Natürlich hat sich auch die deutsche Entwicklungspolitik zum Thema äußern müssen. Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, legte im August 2009 ein „Diskussionspapier“ zu seiner „Entwicklungspolitischen Positionierung“ vor (12). Es sieht "reale Chancen" für zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten, für die Vertragslandwirtschaft und für ein Benefit Sharing mit der lokalen Bevölkerung, wenn Grundprinzipien wie Partizipation, Transparenz, Anerkennung bestehender Rechte oder Entschädigungszahlungen eingehalten werden. Auch die Durchführungsorganisation GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), die selbst eine Reihe von Vorhaben im Agrarbereich, darunter auch Reformen von Land- und Wassernutzungsrechten durchführt, führte eine eigene umfassende Bestandsaufnahme der „Foreign Direct Investments“ (13) im Agrarbereich in Ländern des Südens mit Fallstudien in Kambodscha, Laos, Madagaskar und Mali durch. Sie legt eine lange Liste von Empfehlungen vor, um die Risiken durch einen Verhaltenskodex (Code of Conduct) unter Kontrolle zu bringen und durch geeignete politische Maßnahmen zu erreichen, dass die Investitionen den Ländern tatsächlich nützen.

Wie der Weltbank-Bericht leiden auch diese Veröffentlichungen darunter, dass nur wenig verlässliche Daten zugänglich sind. Alle stützen sich im Grunde auf die immer gleichen Quellen, besonders auf die Website farmland.grab, die systematisch Meldungen und Berichte über Landnahme erfasst, und auf die bereits erwähnte IFPRI-Studie vom April 2009 (IFPRI Policy Brief 13). Gemeinsam ist ihnen zudem die Euphorie darüber, dass die Investitionen versprechen, die langjährige Unterfinanzierung der Landwirtschaft zu beenden und die seit zehn Jahren durch multilaterale Entwicklungsorganisationen wie die Weltbank ausgerufene Wiederentdeckung der Landwirtschaft nun tatsächlich mit Kapital, Technologie und Management zu unterfüttern – eine Euphorie, die sie die negativen Auswirkungen dieser Investitionen weitgehend ignorieren und zu unrealistischen Annahmen darüber tendieren lässt, welche positiven Entwicklungen durch sie erreicht werden können.

Gefährdete Ernährungssicherheit

Dagegen stehen viele zivilgesellschaftliche und nichtstaatliche entwicklungspolitische Organisationen, die sich zunehmend mit dem Thema befassen, ähnlich wie GRAIN den sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen weitaus kritischer gegenüber. So betrachten Shepard Daniel und Anuradha Mittal den „Great Land Grab(14) zum Beispiel als Bedrohung für die Ernährungssicherheit. Die Entwicklungsorganisation INKOTA sieht den „Globalen Süden im Ausverkauf“ (15) und legt ein umfassendes Dossier vor, das einen starken Schwerpunkt auf Berichten aus einzelnen Ländern (Mosambik, Philippinen, Kambodscha und Lateinamerika) und auf Stellungnahmen von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Ländern des Südens hat. Die Broschüre „Afrika: für jedermann zu haben(16) von Friends of the Earth und Misereor geht besonders auf Ausmaß und Auswirkungen ein, die die Landnahme zwecks Anbau von Agrotreibstoffen hat, die Studie „A Thirst for Distant Lands“ des International Institute for Sustainable Development auf die Auswirkungen auf das Recht auf Wasser (17), ein wesentlicher Aspekt, der häufig übersehen und vernachlässigt wird. Zudem weisen diese Organisationen auch auf die problematische Rolle der Weltbankgruppe hin: Besonders die International Finance Corporation (IFC) und der Foreign Investment Advisory Service (FIAS) fördern durch Beratung von Unternehmen und Regierungen, Kredite und Beteiligungen privatwirtschaftliche Vorhaben im Agrarsektor („ The Role of the International Finance Corporation in Global Land Grabs(18)).

Zudem führen sie gemeinsam mit Organisationen aus den betroffenen Ländern zunehmend Länderstudien durch, die die Diskussion weg führen wollen von der abstrakten Ebene mehr oder minder vager Zahlenangaben, von Thesen über Risiko und Chance und voluntaristischen Debatten über freiwillige Selbstregulierung von Investoren und Investmentfonds, und stattdessen konkrete Auswirkungen und Reaktionen lokaler Bevölkerungen darauf aufzeigen wollen, die in vielen anderen Studien schlichtweg nicht vorkommen. Zum östlichen und südlichen Afrika gibt es zum Beispiel mit „Land Grabbing in Kenya and Mozambiqueden Bericht über zwei Studienreisen, die die Menschenrechtsorganisation FIAN unterstützt hat (19), Oxfam legte den Bericht eines Workshops zur Landnahme in Ostafrika vor (20).

Code of Conduct-Debatte

Eine Schlüsselstellung in der Debatte nimmt die Frage von staatlicher Regulierung, Vereinbarungen über Richtlinien und Verhaltensregeln (Code of Conduct) ein. Die Auseinandersetzung geht vor allem darum, ob sie dazu beitragen können, dass die Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten, die manche im steigenden Interesse von privaten Investoren sehen, wirklich umgesetzt und eingelöst werden können.

Erwartungsgemäß setzt der Weltbank-Bericht auf die Entwicklung eines Verhaltenskodex und einen „Multistakeholder-Ansatz“, ähnlich wie bei der Erarbeitung der Extractive Industries Transparency Initiative (EITI) von 2004. Sie sollte mehr Transparenz und weniger Korruption im Bergbau bringen, ist allerdings nach einem kühnen und vielversprechenden Anlauf weitgehend in der Luft hängen geblieben.(21)

Mit ähnlichen Hoffnungen setzt sich inzwischen eine ganze Liste von Veröffentlichungen auseinander. So hat die Weltbank gemeinsam mit den UN-Organisationen FAO, IFAD und UNCTAD ein Diskussionspapier zu sieben „Principles for Responsible Agricultural Investment“ erstellt (22), die sicher stellen sollen, dass Rechte und Existenzbedingungen von ärmeren Bevölkerungsgruppen gewahrt werden und Transparenz, Beteiligung der Öffentlichkeit und der Schutz von Ressourcen sichergestellt werden.

Interessant in diesem Zusammenhang können Erfahrungen mit bisherigen Verhaltensregeln und -kodices sein, denen zum Beispiel der Bericht „Enforcing Industry Codes of Conductdes früheren Vorsitzenden des World Bank Inspection Panel, Werner Kiene, nachgeht (23). Auch das Diskussionspapier „Land Issues in Voluntary Standards for Investments in Agriculture“ (24) versucht, anhand von bisherigen Erfahren Anhaltspunkte zu liefern, ob und wie Verhaltensregeln und Richtlinien gestaltet werden müssen, um wirksam zu sein, und lobt die Extractive Industries Transparency Initiative als „ein vielversprechendes Governance-Modell“.

Der Beitrag des UN-Sonderberichterstatters für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, formuliert eine Reihe von Anforderungen, die aus menschenrechtlicher Sicht erfüllt sein müssen, und liefert damit einen wichtigen zusätzlichen Bezugspunkt für die Diskussion (25). Unüberhörbar dabei sind seine Warnungen vor den Gefahren der Großinvestitionen und der durch sie durchgesetzten agrarindustriellen Landwirtschaft für das Recht auf Nahrung, aber auch für die Existenz bäuerlicher Betriebe.

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Beobachter formulieren zum Beispiel in „From Threat to Opportunity?“ (26) ihre Zweifel an der Vorstellung, ein Verhaltenskodex könne die Risiken und Bedrohungen wirksam eindämmen, noch sehr viel zugespitzter. Größere Hoffnungen setzen sie auf einen parallel verlaufenden Verhandlungsprozess, auf die Ausarbeitung freiwilliger Richtlinien für die Ausgestaltung und Sicherung von Nutzungsrechten an Land und anderen natürlichen Ressourcen, die gegenwärtig in der FAO unter Beteiligung von Kleinbauern-, Landlosen-, Frauen- und Nomadenorganisationen diskutiert wird. Diese „Voluntary Guidelines on responsible Governance of Tenure of Land and Other Natural Resources“ (27) könnten zum Beispiel nach Auffassung von FIAN International in Zukunft erheblich besser die Rechte der ländlichen Bevölkerung auf Nahrung, Landzugang und die Nutzung anderer Ressourcen stärken und schützen, als die „Sieben Prinzipien“ von Weltbank & Co.

Weitergehend fordern einige zivilgesellschaftliche Organisationen ein Moratorium auf Landnahmen, besonders wenn sie für den Anbau von Agrartreibstoffen erfolgen, um Zeit zu gewinnen, damit wirksame Gesetze, Institutionen und Bauernorganisationen zu ihrer Kontrolle geschaffen werden können. Einige Länder wie die Ukraine oder Mosambik haben bereits angekündigt, weitere Verhandlungen zeitweise auszusetzen.

Das größere Bild

Ein wesentlicher Mangel des Weltbank-Berichts besteht darin, dass er die Prozesse der Landnahme, die die einen als mehr oder weniger bedrohlichen „Griff nach Land“, die anderen als Chancen für ländliche Entwicklung und Armutsminderung sehen, aus dem größeren Zusammenhang der Entwicklung und Auseinandersetzungen um die Ressource Land und die Entwicklungsperspektiven einer nachhaltigen und gerechten Landwirtschaft heraus löst. Eine Reihe von Veröffentlichungen haben inzwischen begonnen, die Landnahme auch in die breiteren Entwicklungstendenzen in der globalen Landwirtschaft einzuordnen. Dazu gehört das Buch „Peak Soil“ (28), in dem Thomas Fritz umfassend die Problematik schwindender Bodenressourcen und des heftiger werdenden Konkurrenzkampfes darum darstellt, und der TextLand Grabbing als Knotenpunkt der Mehrfachkrise(29). Das Arbeitspapier Towards a Broader View of the Politics of Global Land Grab: Rethinking Land Issues, Reframing Resistance“, das als Teil einer global ausgerichteten Forschung zu Land grabbing beim Transnational Institute TNI angelegt ist (30), beschäftigt sich zudem mit der Notwendigkeit einer differenzierteren Analyse, die zum Beispiel die Klassenfrage einbeziehen sollte, fordert gründlichere empirische Studien – und „weniger Vermutungen“ - und die Suche nach Ansätzen für alternative Perspektiven, für die sie den Begriff „Landsouveränität“ vorschlägt. Diese Texte betonen, dass Land grabbing nicht nur eine neue Phase im Krisenverlauf darstelle, sondern als Teil umfassender sozialer und agrarischer Veränderungen auch eine neue Phase in der Transformation von Herrschaft sei, wobei aber die damit zunehmend einhergehenden sozialen Kämpfe um Land und andere Ressourcen von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt bleiben würden.

Veranstaltungen, Konferenzen, Forschungsprojekte, ....

Die Diskussionen schlagen sich erwartungsgemäß nicht nur in einer Publikationsflut nieder, sondern auch zunehmend in Veranstaltungen, Tagungen und Forschungsvorhaben. Dazu gehört zum Beispiel die Conference on Land Policy and Administration der Weltbank, die Ende April 2010 in Washington stattfand und deren Papiere teilweise im Netz stehen (31). Geplant sind zudem unter anderem

  • Africa for Sale“,Analysing and theorizing foreign land claims and acquisitions, am 28. und 29. Oktober 2010 in Groningen. Die internationale Konferenz will die Landnahme in Afrika durch ausländische Investoren wissenschaftlich aufarbeiten. Dabei sollen neben Agrarprojekten auch Umweltschutzprojekte, Bergbau- und Tourismusvorhaben analysiert werden (32).

  • Eine Fachtagung „Die neue Landnahme“ am 18. November 2010 in Berlin (33), veranstaltet vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika, Brot für die Welt und FIAN.

  • Die internationale wissenschaftliche KonferenzGlobal Land Grabbingvom 6. bis 8. April 2011, die unter anderem vom Future Agricultures Consortium am Institute of Development Studies (IDS) der Universität von Sussex in Brighton organisiert wird (34).

  • Das German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg hat zudem kürzlich ein Forschungsprojekt „Landnahmen und nachhaltige Entwicklung“ gestartet, das die Informationslücken über das Ausmaß der Landnahmen, die Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung oder die Ausgestaltung der Verträge schließen will (35).

Die Diskussion um Land grabbing geht inzwischen weit über die Fragen, die am Anfang standen, hinaus. Sie steht inzwischen im Zentrum eines Wiederauflebens der seit Jahrzehnten in mehreren Wellen geführten Auseinandersetzung um Land- und Agrarreformen, die über Formen rechtlicher Absicherung von Nutzungsrechten, Produktivität und Effizienz hinausgehen und eine Umverteilung von Land zugunsten der marginalisierten Bevölkerungsgruppen, aber auch eine grundlegend andere Form der agrarischen Produktionsweise fordern, wie sie etwa in der Vorstellung von Ernährungssouveränität ausgedrückt ist. An dieser Diskussion beteiligen sich inzwischen zahlreiche Organisationen, darunter die International Land Coalition (ILC) (36) oder im Südlichen Afrika das Institute for Poverty, Land and Agrarian Studies (PLAAS) (37). Und der Griff nach dem Land ist ein zusätzlicher Anschub für eine seit Jahren wachsende Mobilisierung bäuerlicher Bewegungen, deren bekannteste inzwischen La Via Campesina (38) sein dürfte. Diese Diskussionen und Mobilisierungen werden voraussichtlich in den kommenden Jahren weiter an Kraft und Brisanz zunehmen.

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(1) World Bank, Rising Global Interest in Farmland. Can It Yield Sustainable and Equitable Benefits? September 2010. siteresources.worldbank.org/INTARD/Resources/ESW_Sept7_final_final.pdf

(2) „Seized“! The 2008 land grab for food and financial security (GRAIN Briefing), October 2008. http://www.grain.org/briefings/?id=212

(3) http://farmlandgrab.org/15542

(4) http://farmlandgrab.org

(5) http://farmlandgrab.org/15657

(6) http://www.worldbank.org/ard

(7) Lorenzo Cotula, u.a., Land grab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa. IIED, FAO and IFAD, 2009. www.fao.org/docrep/011/ak241e/ak241e00.htm

(8) Joachim von Braun and Ruth Meinzen-Dick, „Land Grabbing“ by Foreign Investors in Developing Countries. Risks and Opportunities. IFPRI Policy Brief No 13, April 2009. www.ifpri.org/pubs/bp/bp013.asp

(9) Vera Songwe and Klaus Deininger, Foreign Investment in Agricultural Production: Opportunities and Challenges. The World Bank. Agriculture and Rural Development. Notes Land Policy and Administration

(10) D. Hallam, International Investments in Agricultural Production. FAO 2009. www.fao.org/fileadmin/templates/em2009/docs/Hallam.pdf

(11) Sonja Vermeulen and Lorenzo Cotula, Making the most of agricultural investment: A survey of business models that provide opportunities for smallholders. FAO and IIED, 2010

(12) Entwicklungspolitische Positionierung zum Thema: Großflächige Landkäufe und -pachten in Entwicklungsländern - „Land Grabbing“. Diskussionspapier. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ Diskurs 014, August 2009. http://www.bmz.de/de/publikationen/themen/ernaehrung/diskurs014.pdf

(13) Foreign Direct Investment (FDI) in Land in developing countries. GTZ, December 2009

(14) Shepard Daniel and Anuradha Mittal, The Great Land Grab. Rush for World's Farmland Threatens Food Security for the Poor. The Oakland Institute, 2009

(15) Die neue Landnahme: Der Globale Süden im Ausverkauf. INKOTA-Dossier 7, Juni 2010. http://www.inkota.de/brief152

(16) Afrika: für jedermann zu haben. Ausmaß und Auswirkungen von Landnahme für Agrotreibstoffe. Friends of the Earth Europe und Misereor, Juni 2010. http://www.foeeurope.org/agrofuels/FoEE_Africa_up_for_grabs_2010_GERMAN.pdf

(17) Carin Smaller and Howard Mann, A Thirst for Distant Lands: Foreign investment in agricultural land and water. International Institute for Sustainable Development (iisd), May 2009. http://www.iisd.org/publications/pub.aspx?pno=1122

(18) Shepard Daniel with Anuradha Mittal, (Mis)investment in Agriculture. The Role of the International Finance Corporation in Global Land Grabs. The Oakland Institute, 2010. www.oaklandinstitute.org

(19) Land Grabbing in Kenya and Mozambique. A report on two research missions – and a human rights analysis of land grabbing. FIAN International, April 2010. http://www.fian.org/resources/documents/others/land-grabbing-in-kenya-and-mozambique/pdf

(20) Report on the Regional Land Grabbing Workshop. Lukenya Gateway, Nairobi, Kenya, 10th - 11th June 2010. Oxfam. Zu Äthiopien siehe auch Imeru Tamrat, Governance of Large Scale Agricultural Investments in Africa: The Case of Ethiopia. Paper presented at the World Bank Conference on Land Policy and Administration, Washington DC. April 26-27, 2010

(21) Uwe Hoering, Die Weltbank im extraktiven Sektor.http://www.globe-spotting.de/fileadmin/user_upload/globe-spotting/Weltbank/Extractive_Industries_Report.pdf

(22) Principles for Responsible Agricultural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources. A discussion note prepared by FAO, IFAD, the UNCTAD Secretariat and the World Bank Group to contribute to an ongoing global dialogue. Synoptic Version. March 2010

(23) Werner Kiene, Enforcing Industry Codes of Conduct: Challenges and Lessons from Other Sectors. Paper presented at the World Bank Conference on Land Policy and Administration (Draft), 26-27 April 2010,

(24) Reinier de Man, Land Issues in Voluntary Standards for Investments in Agriculture. A discussion paper. Paper presented at the World Bank Conference on Land Policy and Administration (Draft), 26-27 April 2010

(25) Olivier De Schutter, Large-scale land acquisition and leases: A set of core principles and measures to address the human rights challenge. 11. June 2009. http://www.donorplatform.org/component/option,com_docman/task,doc_view/gid,1249

(26) From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a 'Code of Conduct' for Land-Grabbing. A Comment by Saturnino Borras Jr. and Jennifer Franco. In: Yale Human Rights & Development Law Journal, Vol 13, 2010, 507-523. Download (externer link, pdf, 165 kb). Kurzfassung: „Aus Landräubern werden keine Entwicklungshelfer“, http://www.globe-spotting.de/comments.html#anker

(27) Towards Voluntary Guidelines on responsible Governance of Tenure of Land and Other Natural Resources. Discussion paper. FAO Land Tenure and Management Unit (NRLA), Land Tenure Working Paper 10, January 2010

(28) Thomas Fritz, Peak Soil. Die globale Jagd nach dem Land. FDCL-Verlag 2009, Besprechung siehe http://www.materialien.org/agrar/BesprechungFritzPeakSoil.pdf

(29) Andreas Exner, Flucht in die Physis. Land Grabbing als Knotenpunkt der Mehrfachkrise.www.social-innovation.org/?p=1704

(30) Saturnino M. Borras Jr. and Jennifer Franco, Towards a Broader View of the Politics of Global Land Grab: Rethinking Land Issues, Reframing Resistance. ICAS Working Paper Series No. 001, May 2010. http://www.tni.org/work-area/agrarian-justice

(31) Siehe http://www.worldbank.org/ard

(32) http://farmlandgrab.org/10915  

(33) http://www.fdcl.org

(34) http://www.landcoalition.org/wp-content/uploads/call_for_papers.pdf

(35) http://giga-hamburg.de/index.php?file=fp_ft1_landnahmen.html&folder=fsp3#en

(36) http://www.landcoalition.org/

(37) http://www.plaas.org.za/

(38) http://viacampesina.org/en/