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Steigende Agrarimporte

von Uwe Hoering, Dezember 2012

 

Aufmerksam beobachten die Gurus der globalen Agrarbörsen die landwirtschaftliche Produktion in China. Denn was die 200 Millionen Bauern an Getreide und anderen Produkten liefern, hat Auswirkungen auf die Weltmärkte. Und damit auf Preisentwicklung und Nahrungsmittelspekulation.

Daher weckt es Hoffnungen auf Gewinn, wenn ein führender Funktionär wie Chen Xiwen von der Gruppe Agrarpolitik der Kommunistischen Partei vor der schwindenden Ernährungssicherheit des Landes, der Selbstversorgung mit Grundnahrungsmitteln, warnt (1). Concepcion Calpe von der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO bestätigt, dass „China in diesem Jahr stärker als je zuvor auf den internationalen Markt gesetzt hat“ (2). Um diese Entwicklung zu stoppen, so Chen weiter, müsse der Verlust landwirtschaftlicher Nutzflächen gestoppt und die Produktivität gesteigert werden – ob er damit die Erwartungen der Börse dämpfen kann, ist die Frage.

 

Importe

Zwar ist die Getreideproduktion nach dem Einbruch um die Jahrtausendwende von knapp 500 Millionen Tonnen 2006 auf 571 Millionen Tonnen 2011 gestiegen (3). Aber auch die Weizenimporte nehmen zu, da die qualitätsbewussten städtischen Konsumenten höherwertiges Mehl verlangen. Allerdings sind sie mit 3,21 Millionen Tonnen in den ersten neun Monaten des Jahres noch weit von den jährlich bis zu 16 Millionen Tonnen entfernt, die das Land in den 1980er Jahren importieren musste (4).

Noch interessanter ist da die Nachricht, dass sich in den ersten zehn Monaten dieses Jahres die Reisimporte auf 1,98 Millionen Tonnen nahezu vervierfacht haben (5). Das US-Agrarministerium prognostizierte für 2012 einen neuen Höchststand von 2,6 Millionen Tonnen, womit China der zweitgrößte Reisimporteur der Welt würde, nach Nigeria.

Bereits seit Jahren ist das Land einer der wichtigsten Aufkäufer von Soja. 2010 wurden 54,8 Millionen Tonnen eingeführt, 60 Prozent der weltweiten Handels. Und auch bei Mais wurde China zum Nettoimporteur. 1996 wurden noch 16,4 Millionen Tonnen exportiert, in den zehn Monaten von Oktober 2011 bis Juli 2012 wurden 4,2 Millionen Tonnen eingeführt. Experten, die auf den Absatzmarkt für US-amerikanische Landwirte spekulieren, haben diese Entwicklung länger schon prognostiziert – und hoffen auf mehr. Und diese Erwartungen auf einen weiteren Anstieg der Nachfrage aus China tragen sicher auch dazu bei, warum die Investmentbank Morgan Stanley Mais und Soja zu den "besten Wetten" zählt.

Doch Mais und Soja werden überwiegend als Viehfutter verwendet, um den gestiegenen Fleischkonsum zu befriedigen. Dagegen gefährden steigende Importe von Grundnahrungsmitteln das Ziel, zu mindestens 95 Prozent Selbstversorger zu bleiben. „Ernährungssicherheit bleibt das schwächste Glied in Chinas wirtschaftlicher Sicherheit“, sagte der stellvertretende Direktor des staatlichen Forschungsinstituts für Entwicklung, Han Jun, im Dezember vergangenen Jahres (6).

Die Regierung befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits versucht sie, die Bauern durch höhere Preise bei Laune zu halten, die unter steigenden Kosten für Inputs und Löhne leiden und durch den Umstieg auf lukrativere Produkte die nationale Selbstversorgung gefährden. Andererseits fürchtet sie den Unmut der Verbraucher bei Preissteigerungen für Reis oder Fleisch. Ein Ausweg sind Subventionen. Ein anderer sind Einfuhren, zumal wenn manche Weltmarktpreise – beispielsweise für Reis – gegenwärtig niedriger liegen als im Land selbst und Importe zudem für die staatlichen Handelskonzerne ein gutes Geschäft sind. Bei höheren Preisen kann eine zunehmende Weltmarktabhängigkeit aber auch auf die einheimische Verarbeitungsindustrie durchschlagen und damit auf Wachstum und soziale Stabilität.

 

Land grabbing

Die vor einigen Jahren begonnene stärkere Förderung der Landwirtschaft könnte, so die Anzeichen, daher weiter zunehmen. „Die Regierung muss die Unterstützung für die Bauern verbessern und der ländlichen Entwicklung mehr Gewicht geben“, zitiert die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua Regierungsquellen (7).

Doch nicht nur die Regierung, sondern auch die Landwirtschaft steckt in einer Zwickmühle. Die Kluft zwischen schwindenden Ressourcen wie Land und Wasser und steigender Nachfrage, vor allem auch nach höherwertigen Agrarprodukten, wächst. Gleichzeitig wird geschätzt, dass immer noch 130 Millionen Menschen unterernährt sind oder keine gesicherte Ernährung haben, besonders in den nord- und südwestlichen Regionen (8).

Agrarminister Han Chengfu forderte denn auch vor dem jüngsten Volkskongress umfassende Agrarreformen. „Die landwirtschaftliche Produktion steht vor größeren Herausforderungen – natürliche Risiken, Marktrisiken, Sicherheitsrisiken – und tritt in eine Phase hoher Investitionen, hoher Kosten und hoher Preise ein“.

Kurz zuvor hatte des Kabinett neue strengere Regeln gegen interne Land grabs angekündigt und vor einer Bedrohung der Ernährungssicherheit und Unruhen in den ländlichen Gebieten gewarnt. Die Bemühungen, landwirtschaftliche Nutzflächen in Regionen im Westen des Landes zu erschließen, und große Agrarprojekte in Nachbarländern sind weitere Versuche, die Produktionseinbußen in den fruchtbaren Regionen im Südosten des Landes mit ihren ausufernden Industrieregionen und Millionenstädten auszugleichen.

Denn offensichtlich reichen die bisherigen Regeln, die Umwandlung von Agrarland im Zuge von Urbanisierung, Wirtschaftswachstum und Bodenspekulation zu stoppen, nicht aus, um die rote Linie, den Bestand von 120 Millionen Hektar Agrarland, einzuhalten. Die Abwanderung von bis zu 230 Millionen Menschen in die Industrieregionen beeinträchtigt zudem die landwirtschaftliche Produktivität. Und die meisten Felder sind klein, was einen Einsatz von Maschinen erschwert.

 

Industrialisierung der Landwirtschaft

Ein weiterer - und voraussichtlich der wichtigste - Ausweg aus der Zwickmühle sind wirtschaftliche Anreize, größere Betriebe, Mechanisierung und der beschleunigte Ausbau der Agrarindustrie. Um die Produktion zu steigern und die Importabhängigkeit zu begrenzen, forderte Agrarminister Han Changfu einen „neuen Typus von Akteuren und die Entwicklung großer, mechanisierter Agrarbetriebe“.

Hier eröffnen sich unter anderem Spielräume für ausländische Konzerne: Pioneer Hi-Bred International liefert bereits Saatgut für zwei Millionen Hektar Maisanbau. Bei Gemüse halten ausländische Unternehmen 15 Prozent des Saatgutmarktes, meldet das Agrarministerium. Im September 2011 investierten Monsanto und Sinochem, einer der größten Agrochemie-Konzerne des Landes, 77 Millionen US-Dollar in eine neue Saatgutanlage. Und die Ankündigung der Regierung, „Zusammenschlüsse von Unternehmen“ und den Aufbau von 20 großen einheimischen Saatgutkonzernen zu fördern, könnte dazu führen, dass es zukünftig für viele der mehr als 8.000 überwiegend kleinen einheimischen Hersteller eng wird.

Insgesamt will die Regierung in den kommenden zehn Jahren umgerechnet 500 Milliarden Euro in Saatgut, Tierhaltung und Infrastruktur für Transport und Lagerung von Agrarprodukten investieren (9).

Hoffnung, dass das Ziel der Ernährungssicherheit aus eigener Kraft erreicht und den Spekulanten ein Strich durch ihre Rechnung gemacht werden kann, weckte Chinas prominentester Agrarwissenschaftler Yuan Longping: Eine einheimische Hochertragssorte von Reis, die er entwickelt hat, brachte im vergangenen Jahr 13,9 Tonnen je Hektar – Weltrekord, wie Xinhua meldet. Allerdings nur auf dem Versuchsfeld.

(1) Agrimoney vom 29. November 2012

(2) Financial Times vom 27. November 2012

(3) China Daily vom 28. Dezember 2011

(4) http://www.indexmundi.com/agriculture/?country=cn&commodity=wheat&graph=imports

(5) Financial Times vom 27. November 2012

(6) China Daily vom 28. Dezember 2011

(7) Agrimoney vom 29. November 2012

(8) Ronnie Vernooy, China tries alternative to industrial agriculture, July 2012. http://www.thesolutionsjournal.com/node/1058

(9) China Daily vom 28. Dezember 2011