Seit dem globe-spotting-Literaturüberblick vom September 2010 (1) gab es eine Reihe interessanter neuer Publikationen und Diskussionen zum Thema Land grab, von denen die meisten auf http://farmlandgrab.org/ zugänglich sind. Ein Update (November 2010)
Allgemein
Olivier De Schutter, der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, hat sich zu einem profilierten Kommentator des Themas entwickelt. Seine zahlreichen Stellungnahmen finden sich auf seiner Website (2), unter anderem seine Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 21. Oktober 2010 in New York (3) und sein Bericht „The right to food“ vom 21. August 2010 (4).
Eine neue themenorientierte Website „Die Verdammten ohne Erde – Die Jagd nach Land und ihre Opfer“ des Forschungs- und Dokumentationszentrums Lateinamerika (fdcl) will das Problem der neuen Landnahme aus einer menschenrechtlichen und entwicklungspolitischen Perspektive heraus thematisieren, grundlegende Informationen über den globalen Trend vermitteln und auf dessen vielfältige Folgewirkungen aufmerksam machen. Darüber hinaus sollen Wege aufgezeigt werden,wie zivilgesellschaftliche Akteure intervenieren können, um die sozialen und politischen Risiken dieser Prozesse zu mindern. (5)
Investoren
Einen aufschlussreichen Überblick über Investmentfonds, Hedgefonds und Immobilienfonds und deren Kriterien, Aktivitäten und Auswirkungen bietet der Text „Private Financial Sector Investment in Farmland and Agriculture Infrastructure“ von HighQuest Partners, einer privaten US-amerikanischen Beraterfirma, in einem „confidential survey“ für die OECD. Die Anleger, so heisst es, wurden „increasingly attracted to agriculture primarily because of current prospects for income generation, capital appreciation, and uncorrelated returns with equity markets and as a hedge against inflation“. Obwohl angeblich vertraulich, steht die Studie inzwischen im Netz (6).
Viele der dort vertretenen Namen tauchen auch unter den "Vultures of Land Grabbing" auf: Die Publikation, die im Rahmen eines NGO-Projekts über das globale Finanzsystem entstanden ist (7), hat Profile von 30 europäischen Finanzunternehmen erstellt, die in großflächiger Landnahme involviert sind. Erfasst sind nicht nur Entstehung , beteiligte Investoren und Interessenregionen, sondern auch Kontroversen um ihre Aktivitäten. (8)
Mit Ost- und Zentralasien betrachtet Ian Luxt, Berater von NOViROST in Moskau, eine weitgehend ausgeblendete Region. Seine Präsentation von Oktober 2010 beim EastAgri Annual Meeting in Istanbul bietet einen profunden Überblick über die Aktivitäten und Strategien von Investmentsfonds, darunter zahlreiche osteuropäische Anleger, in Nahrungsmittel und Agrobusiness, unter anderem in Russland und der Ukraine. (9)
Einen ganz anderen Blick wirft die Zeitschrift Rolling Stone auf das Thema: Eine Reportage über Phil Heilberg, einen früheren Wall Street-Händler, der in die Schlagzeilen kam, weil er – neben anderen Deals - mit dem Kriegsherrn Paulino Matip in südlichen Sudan einen Vertrag über 400.000 Hektar Land abgeschlossen haben soll. Von landwirtschaftlicher Entwicklung ist hier nicht die Rede, es ist vielmehr das Porträt eines Glücksritters, der mit der immer knapper und damit immer teurer werdenden Ressource Land Geschäfte macht. (10)
Dazu passt der kleine Beitrag von Robin Palmer, der die gegenwärtige Landnahme mit früheren Formen in Afrika vergleicht und die – natürlich hypothetische – Frage stellt, ob Cecil Rhodes bei der Kolonisierung des späteren Rhodesien, heute Sambia beziehungsweise Simbabwe, wohl vorher einen Verhaltenskodex unterschrieben hätte. (11)
Analysen
Die International Land Coalition (ILC) stellte bei der World Bank Annual Conference on Land Policy and Administration im April 2010 in Washington einen umfassenden Überblick über den globalen Run auf Land vor: Die Präsentation (ppt) „Building an informed and inclusive response to the global rush for land“ (12) bietet viele Informationen sowohl über die Einschätzung von Landnahmen durch eine zivilgesellschaftliche, mit Bauernorganisationen vernetzte Organisation, als auch über den Forschungs- und Dialogprozess, den ILC durchführt. (13) Für diesen Monat sind erste Ergebnisse („studies and synthesis report“) dieses dialogischen Forschungsvorhabens angekündigt, das in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Forschungsinstitutionen und Experten durchgeführt wird.
Das Transnational Institute (TNI) in Amsterdam, bei dem die Arbeitsgruppe Agrarian Justice angesiedelt ist (14), hat anlässlich der Sitzung des UN-Committee on World Food Security (CFS) im Oktober in Rom eine Veranstaltung durchgeführt, bei der unter anderem Philip McMichael und Wendy Wolford (Cornell University), Ian Scoones (University of Sussex), Oane Visser (Radboud Universiteit Nijmegen), Ben White (International Institute of Social Studies, The Hague) und Ruth Hall (Institute for Poverty, Land and Agrarian Studies, PLAAS, Cape Town) „Competing Views and Strategies on Global Land Grabbing“ diskutierten. Neben Afrika (Hall) und Südostasien (White) gab es auch einen Beitrag zu Land grabbing in den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion (Visser). (15)
Schwerpunkt des Jahrbuch zum Menschenrecht auf Nahrung 2010, herausgegeben von Right to Food and Nutrition Watch, ist „Landraub durch Konzerne“, erstellt von FIAN International. (16) Darin finden sich Überblickartikel wie zum Beispiel zu Europas Beteiligung an der Landnahme in Afrika und eine Reihe von Länderstudien, unter anderem zu Burkina Faso, Kambodscha, das sich anscheinend immer mehr zu einem Eldorado für Land grabbing entwickelt (17), Kenia und Mosambik, das mit seinem Landgesetz ein Modell sein könnte, um Investitionen zu regulieren.
Der Beitrag „Die neue Landnahme, Globales Agrobusiness und der Ausverkauf der Entwicklungsländer“ ist zwar bereits im September 2009 in „Blätter für deutsche und internationale Politik“ erschienen, steht jetzt aber auch als Download (pdf-Datei) zur Verfügung. (18)
Verhaltensregeln
Die Diskussion über Land grabbing und seine Regulierung durch freiwillige Richtlinien bei der CFS-Sitzung Mitte Oktober bei der FAO in Rom hat gemischte Reaktionen hervorgerufen. Zum einen spricht beispielsweise FIAN von „important achievements“ durch die Beteiligung zivilgesellschaftlicher Organisationen. (19) So wurden die „Prinzipien für verantwortliche Agrarinvestitionen“ (Principles for Responsible Agricultural Investment, RAI (20)), die die Weltbank und eine Reihe von Regierungen der Industrieländer vorgeschlagen haben, unter anderem von China, Ägypten und Südafrika, die selbst zu den land grabbers gehören, abgelehnt, womit sie, so FIAN, „einen kräftigen Dämpfer erhalten haben“. Aber auch der Verhaltenskodex für ausländische Agrarinvestitionen, wie ihn UN-Organisationen wie die FAO seit 2008 vorantreiben und der von zivilgesellschaftlichen Organisationen unterstützt wird, wurde nicht verabschiedet, sondern soll jetzt weiter entwickelt werden und in einem Jahr dem CFS wieder vorgelegt werden (21). „Es war schrecklich enttäuschend“, wird daher Olivier De Schutter von der Nachrichtenagentur Reuters zitiert, „wir kommen nicht zügig genug voran, um wirksame Antworten auf die Probleme zu finden, die durch Investitionen in Land verursacht werden“ (22). Bis auf Weiteres fordern daher FIAN und andere zivilgesellschaftliche Organisationen ein Moratorium auf großflächige Landnahmen durch private Unternehmen.
Siehe dazu auch die Stellungnahme von LRAN (Land Research Action Network (23)), warum sie die RAI-Prinzipien ablehnen (24) und deren Gegenüberstellung mit den FAO-Richtlinien. (25)
Uwe Hoering, November 2010
Quellen:
(1) http://www.globe-spotting.de/land_grab_literature.html
(2) www.srfood.org
(4) Olivier De Schutter, Access to Land and the Right to Food. Report presented to the 65th General Assembly of the United Nations. www.srfood.org/index.php/en/documents-issued
(5) land-grabbing.de
(6) Private Financial Sector Investment in Farmland and Agricultural Infrastructure, OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers, No. 33, OECD Publishing. http://farmlandgrab.org/16060
(7) www.regulatefinancefordevelopment.org
(8) The Vultures of Land Grabbing. The involvement of European financial companies in large-scale land acquisition abroad. http://farmlandgrab.org/17004
(9) Ian Luyt, Fund Investments in Food and Agribusiness. Recent trends in ECA, October 2010 (ppt). farmlandgrab.org
(10) Will global warming, overpopulation, floods, droughts and food riots make this man rich?Meet the new capitalists of chaos, by McKenzie Funk. In: Rolling Stone, May 27, 2010. farmlandgrab.org/wp-content/uploads/2010/10/Capitalists-of-Chaos-Mckenzie-Funk.pdf
(11) Robin Palmer, Would Cecil Rhodes have signed a Code of Conduct? Reflections on Global Land Grabbing and Land Rights in Africa, Past and Present. In: African Studies Association of the UK, Biennial conference, Oxford, 16-19 September 2010. farmlandgrab.org/15747
(12) Diese Präsentation und weitere Papiere, siehe Conference on Land Policy and Administration:web.worldbank.org/WBSITE/EXTERNAL/TOPICS/EXTARD/0,,contentMDK:22472895~pagePK:148956~piPK:216618~theSitePK:336682,00.html
(13) www.landcoalition.org/program/cpl_collaborative.html
(14) www.tni.org/work-area/agrarian-justice
(15) TNI, Competing Views and Strategies on Global Land Grabbing. www.tni.org/article/tni-sponsored-land-grabbing-side-event-fao-food-security-world-committee-session-rome-2010
(16) Right to Food and Nutrition Watch, www.rtfn-watch.org/fileadmin/media/rtfn-watch.org/ENGLISH/pdf/Watch_2010/watch_engl_innen_final_a4_weiss.pdf
(17) Siehe 2nd Global Large Scale Farm Forum Explores Options to Maximize Investments, Regional Opportunities & Outlooks, Ende November/Anfang Dezember 2010 in Siem Reap, Cambodia. farmlandgrab.org/16096
(18) Uwe Hoering, Die neue Landnahme, Globales Agrobusiness und der Ausverkauf der Entwicklungsländer. In: Blätter für deutsche und internationale Politik, 9/2010. Download (pdf-Datei): www.globe-spotting.de/fileadmin/user_upload/globe-spotting/Africa/Landnahme_Blaetter.pdf
(19) FIAN International, Forerunning new international decision-making on land issues? A report on the CFS land discussion, Rome, October 8-16, 2010. farmlandgrab.org/16827
(20) Principles for Responsible Agricultural Investment that Respects Rights, Livelihoods and Resources. A discussion note prepared by FAO, IFAD, the UNCTAD Secretariat and the World Bank Group to contribute to an ongoing global dialogue. Synoptic Version. March 2010
(21) Committee on World Food Security, Policy Roundtable Land Tenure and International Investment in Agriculture, Rome, 11-14 and 16 October 2010. www.fao.org/docrep/meeting/019/k8929e.pdf
(23) www.landaction.org
(25) www.landaction.org/spip/IMG/pdf/Final_ENGL_FAO-VG-Principles.pdf