Globe Spotting

Themendienst

Reportagen & Analysen

Kritik der Grünen Ökonomie

November 2015: Beim 'Erdgipfel' 1992 in Rio de Janeiro, der UN Conference on Environment and Development, ging es darum, auf globaler Governance-Ebene ‚Umwelt’ und ‚Entwicklung’ zusammen zu bringen. 20 Jahre später wurde bei der Rio+20-Konferenz versucht, den Begriff der Nachhaltigen Entwicklung durch das Konzept der Grünen Ökonomie zu ersetzen (Siehe: Boykottiert Rio+20!), ein Versuch, der vor allem aus der Zivilgesellschaft auf heftige Kritik stieß. Die Wirtschaft selbst soll demnach den Weg aus den ökologischen Krisen weisen – mit Unternehmern als wichtigsten Akteuren. Diese Strategie ist längst auch in anderen Bereichen wie der Entwicklungspolitik oder im Infrastrukturbereich zum gängigen Leitbild geworden, an dessen Umsetzung sich staatliche Politik, multilaterale Organisationen, Stiftungen, Wissenschaft und zunehmend auch zivilgesellschaftliche Organisationen orientieren.

Anders als häufig bei der Kritik an der Grünen Ökonomie, geht das Buch nicht ein weiteres Mal auf den Widerspruch ein, dass hier das Wachstumsmodell durch weiteres 'ressourenschonendes’ und ‚umweltvertägliches’ Wachstum ("Green Growth") gerettet werden soll, sondern greift zwei Kernbereiche der kapitalistischen Ökonomie an: Markt und Technologie. An vier Bereichen wird durchdekliniert, warum dieses Konzept ungeeignet ist, wie von ihm behauptet die akuten Krisen zu bewältigen: Klimawandel, der Verlust biologischer Vielfalt, die Auswirkungen der industriellen Landwirtschaft, sowie Ungleichheit, Armut, Hunger. Ausführlich wird unter anderem auf das Konzept von ‚Naturkapital’ und die damit angestrebte "Einbeziehung der Natur in die Ökonomie" eingegangen, es wird nachgezeichnet, wie die Durchsetzung des CO2-Handels dazu diente, "Klimapolitik als ökonomische Transformation im Kontext der Grünen Ökonomie zu definieren", und es werden die problematischen Auswirkungen einer Bepreisung sogenannter "Umweltdienstleistungen" diskutiert. Anschaulich wird, wie politisch und ökonomisch argumentiert – und bei Bedarf auch falsch informiert - wird, um die Fortsetzung des Systems, das die Krisen produziert, zu legitimieren.

Neben dieser Kritik an marktwirtschaftlichen Konzepten und der Vorstellung, Krisenlösungen seien durch wirtschaftliche Anreize anstatt durch Regulierung zu erreichen, steht eine Zeitreise durch folgenschwere Beispiele technologischer Innovationen – von der industriellen Revolution durch Stahl, Zement und Autoindustrie, über die Grüne Revolution und Bioenergie als Hoffnungsträger für eine Grüne Ökonomie durch erneuerbare Energien, bis hin zu synthetischer Biologie und Geoengineering.

Ein weiterer Angriff zielt auf die blinden Flecken im Konzept der Grünen Ökonomie  - die Rechte indigener Völker, Gerechtigkeitsfragen, die Ausblendung der Rolle sozialer Akteurinnen und Akteure und der Bedeutung von Geschlechterverhältnissen, deren Analyse "essenziell ist, wenn wir Umweltkrisen bewältigen und Ungerechtigkeiten und Ungleichheit überwinden wollen". Damit reicht die Analyse weit über die Grüne Ökonomie hinaus direkt hinein in den Mainstream der herrschenden Politik.

Den Versuchen, mit marktwirtschaftlichen Konzepten und technologischen Innovationen Auswege aus den Krisen zu finden, setzt das Buch die Forderung nach einer Repolitisierung der Umweltpolitik und die Ausweitung der Ansätze "sozialer Innovationen" entgegen. Hoffnungen werden in die Rückkehr zu einem "regulierenden und dem Allgemeinwohl und der ökologischen Zukunftsvorsorge verpflichteten Staat unter demokratischer Kontrolle und eine starke Zivilgesellschaft, die konfliktfähig ist", gesetzt. Anstelle einer Transformation des Kapitalismus zu einem grünen Kapitalismus, deren Aussichten – und Absichten - in Frage gestellt werden, steht die Forderung nach einer "Transformation durch visionäre Alternativen und schrittweise Veränderungen", die eine "Wiedereinbettung der Ökonomie in die Gesellschaft" unterstützen.

Thomas Fatheuer, Lili Fuhr, Barbara Unmüßig, Kritik der Grünen Ökonomie. München (oekom Verlag mit Vorwort und Leseprobe) 2015. Siehe auch das Dossier zum Thema