Keine drei Jahre, nachdem GRAIN mit seinem Bericht „Land grab!“ auf das Thema aufmerksam gemacht hat, ist die großflächige kommerzielle Landnahme fest in der politischen Diskussion verankert. Immer neue Fälle werden bekannt, immer weitere Aspekte aufgerollt. Auch der Widerstand gegen einzelne Vorhaben und die Strategien, wie Politik, Bauernorganisationen und Zivilgesellschaft auf die Risiken und Gefahren antworten können, entwickeln sich. Insgesamt werden die Lage, die Themen und die Diskussion immer vielfältiger, aber auch unübersichtlicher. Deshalb ein weiteres globe-spotting-Update:
Allgemein
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von Themenportalen, die sich mit Land grab beschäftigen. Dazu gehört natürlich die nach wie vor unverzichtbare Seite farmlandgrab.org, das globe-spotting-SPECIAL zu Land grab, die Seite von alliancesud, dem Verbund nichtstaatlicher Hilfswerke in der Schweiz, die Studien und Berichte der International Land Coalition (ILC), die eine systematische Bestandsaufnahme und Analyse vorantreibt, und die Seite des Forschungs- und Dokumentationszentrum Lateinamerika (FDCL), auf der unter anderem eine Reihe von Fallstudien eingestellt sind, mit einem Schwerpunkt auf Entwicklungen in Lateinamerika, die ansonsten ein wenig im Windschatten der Aufmerksamkeit für Afrika bleiben.
Ein wichtiges Forum der wissenschaftlichen Auseinandersetzung ist die Konferenz „Global Land Grabbing“, Anfang April in Brighton, UK, organisiert unter anderem vom Future Agricultures Consortium und The Journal of Peasant Studies. Die Beiträge liegen jetzt zum Herunterladen bei Future Agricultures vor.
Umfassend mit zahlreichen Beiträgen auch die neue Ausgabe der Zeitschrift Development, herausgegeben von SID (Society for International Development), die den Themenschwerpunkt „Land Speculation, Commodity and Food Speculation“ hat. Einige der „üblichen Verdächtigen“ der Diskussion wie Autoren von GRAIN, LRAN (Land Research and Action Network), FIAN und Via Campesina erläutern hier in kurzen Beiträgen den Stand der Dinge aus ihrer Sicht. Besonders interessant dabei die Beiträge zu Aspekten, die nicht so häufig behandelt werden - Jessica Chu zu „Gender and 'Land Grabbing' in Sub Saharan Africa“, Faustino Torrez erklärt die Arbeit der Agrarian Reform Commission von Via Campesina, weitere Artikel befassen sich mit Landkonflikten in China, den Auswirkungen von Sonderwirtschaftszonen (Special Economic Zones) als besondere Formen der kommerziellen Landnahme und mit Konflikten in Vietnam und Indonesien, Kambodscha und Laos. Hilfreich ein umfangreicher Anhang mit Hinweisen auf Publikationen und Organisationen. Und das Schönste: Bis Ende März können viele Beiträge noch kostenlos heruntergeladen werden.
Zum bislang häufig ausgeblendeten Thema „Gender Implications of Large-Scale Land Deals“ hat inzwischen auch das International Food Policy Research Institute (IFPRI) im Januar 2011 ein Diskussionspapier vorgelegt, das Literatur zu Landakquisitionen, aber auch zu Kommerzialisierung und Vertragslandwirtschaft auswertet, „vielversprechende Initiativen“ vorstellt und Empfehlungen formuliert.
Nach „Peak Soil“ legt Thomas Fritz eine weitere Publikation vor, die sich intensiv mit der Landfrage beschäftigt: „Das große Bauernlegen“ analysiert sehr anschaulich an Fallbeispielen die verschiedenen Akteure und die Auswirkungen ihres Engagements – Regierungen, darunter die chinesische, Finanzanleger, wobei im Mittelpunkt die Deutsche Bank steht, die an zahlreichen Investitionen teils berüchtigter Agrarkonzerne wie des in Singapur ansässigen Palmölgiganten Wilma oder des thailändischen Unternehmens Khon Kaen Sugar Industry in Kambodscha beteiligt ist, sowie der internationalen Entwicklungsbanken wie der Weltbank-Tochter IFC. Außerdem klopft er einige der offiziellen Vorschläge, Land grabbing zu regulieren, auf ihre Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit ab und formuliert Anregungen für eine „alternative Agenda“.
Einen interessanten Einblick in die Denke der Agrarindustrie bietet die Studie „EU agricultural production and trade“ von Witzke und Noleppa, die von den Agrarkonzernen Bayer CropScience und Syngenta unterstützt und auf „Anfrage einer Reihe von Akteuren im Agrarsektor“ erstellt wurde. Sie versucht, die verbreitete Kritik am Land grabbing auf die Mühlen der Chemie- und Saatgutindustrie umzuleiten. Das Ausmaß der Landnahme, so ihr Kernargument, könne durch moderne industrielle Landwirtschaft in Europa verringert werden, also durch mehr Agrarchemie und neues Saatgut, gentechnisch verändertes Saatgut eingeschlossen. Bedenkenswert ist aber ihre Berechnung, dass Europa 2007/2008 49 Millionen Hektar Land in Form von Agrarprodukten virtuell importierte, eine riesige Fläche, die durch die besagten Produktionssteigerungen in Europa angeblich deutlich verringert werden könnte.
Afrika
Der Fokus vieler Publikationen liegt auf Afrika, was nicht überraschend ist, da die Landnahme hier anscheinend das größte Ausmaß hat. Ein halbes Dutzend aktueller Artikel innerhalb weniger Tage auf farmlandgrab belegt beispielsweise einmal mehr, dass Agrarinvestoren Äthiopien lieben und die Landnahme dort unvermindert anhält. Nach offiziellen Angaben haben bislang 8420 ausländische Investoren Lizenzen für kommerzielle Farmen erhalten. Erstmals spricht der saudische Milliardär Al-Amoudi (Saudi Star Agriculture Development Plc.) offen über seine Pläne, die Agrarproduktion für den Export von 10.000 auf 250.000 Hektar auszuweiten, zum Beispiel in Gambella. Die möglichen Auswirkungen in dieser dünn besiedelten Region behandelt ein Artikel von Genet Mersha ausführlich. Investoren machen anscheinend auch nicht vor 'Heiligen Wäldern' Halt, die Teeplantagen weichen sollen. Andererseits gibt es auch Bauern, die glücklich darüber sind, ihr Land an Investoren aus Israel, Äthiopien und Holland abgetreten zu haben. Und auch ein hochrangiger Manager der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) lobt die "Süd-Süd-Kooperation" und die "ernsthaften Investoren", die keinerlei Anlass für Sorge geben würden. Siehe dazu auch den Beitrag „Äthiopien - Blühende Investitionslandschaften“, Download (pdf-Datei 113 kb).
Das Forschungsvorhaben Global Land Project, das sich allgemein mit Landnutzungsänderungen beschäftigt, formuliert für seinen Bericht „Land Grab in Africa“ den „Ehrgeiz“, die verstreuten quantitativen Informationen unterschiedlicher Quellen über Afrika zu prüfen und abzugleichen, um die Fragen zu beantworten, wer wie viel Land wofür akquiriert hat. Dafür werden die Angaben der International Land Coalition (ILC), der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ, inzwischen GIZ), von GRAIN und zahlreiche Medienberichte herangezogen, mit dem Ergebnis, dass mittlerweile zwischen 51 und 63 Millionen Hektar „erworben wurden“ – eine Fläche so groß wie Frankreich, das meiste davon in Äthiopien, Madagaskar und Sudan.
Verhandlungen über großflächige Landpacht und Konzessionen finden in der Regel hinter verschlossenen Türen statt, Parlamente werden kaum beteiligt, geschweige denn die lokalen Landnutzer. Geheim gehaltene Verträge legen die Bedingungen für ein Investitionsprojekt fest, die Verteilung von Risiken, Kosten und Nutzen. Diese Intransparenz ist ein gravierendes Problem für die politische Mobilisierung. Das IIED untersucht mit einer neuen Schrift „Land Deals in Africa"zwölf Verträge - drei in Liberia, drei in Mali, weitere in Kamerun, Äthiopien, Madagaskar, Senegal und Sudan. Die Analyse bestätigt zum einen die verbreitete Praxis, die Öffentlichkeit so wenig wie möglich zu informieren, sind doch eine Reihe der Verträge lediglich kurze, allgemein gehaltene Dokumente, obwohl sie weitreichende, langfristige und häufig übertragbare Nutzungsrechte an großen Ländereien, in einigen Fällen auch vorrangige Zugangsrechte zu Wasserressourcen vergeben. Die Gegenleistungen, zu denen sich die Vertragsnehmer verpflichten, sind dagegen gering, die Versprechungen vage und kaum einklagbar. Positive Ausnahmen wie die Verträge in Liberia benennen klar die Ländereien, die transferiert werden, legen vergleichsweise konkrete Anforderungen an den Investor fest und versuchen, soziale und ökologische Standards zu bestimmen. Aber die Untersuchung erinnert auch daran, dass selbst dann eine entsprechende Umsetzung solcher Verträge nicht gesichert ist und von verschiedenen Umständen, etwa der rechtlichen und politischen Situation, abhängt.
China 'going global', auch in der Landwirtschaft
Die Rolle Chinas beim globalen Land grab rückt immer stärker in den Fokus. Immer wieder gehen Geschichten über riesige Landgeschäfte durch die Medien: Berichte von Pachtverträgen für eine Million Hektar auf den Philippinen, für riesige Ländereien in Mosambik, Indonesien, Papua-Neuguinea, der Demokratischen Republik Congo, Simbabwe oder im Nordosten Brasiliens machen die Runde. Dazu gehören auch Gerüchte über hunderte von Dörfern in Afrika, in denen chinesische Bauarbeiter oder Bauern angesiedelt werden. Angesichts der beschränkten eigenen Land- und Wasserressourcen und des bekannten Appetits chinesischer Investoren scheinen sie nur allzu plausibel. Während Chinas Investitionen in anderen Bereichen wie Bergbau, Erdölförderung oder Infrastruktur erheblichen Umfang angenommen haben, sind diese Agrarinvestitionen anteilig eher noch gering – wenn auch ihre Zahl steigt. Versuche, das Ausmaß und die Auswirkungen zu bestimmen, unternehmen Thomas Fritz in „Peak Soil“, Uwe Hoering in der Studie „Landwirtschaft in China“ und Deborah Brautigam in ihrem Buch „The Dragon's Gift: The Real Story of China in Africa“, das leider nicht im Internet verfügbar ist.
Aufschlussreich bei diesem Blick auf die Rolle Chinas in Afrika ist unter anderem, dass eine ganze Reihe der Projekte gescheitert ist. Die steigende Zahl von Berichten über gescheiterte Vorhaben auch anderer Investoren ist wichtig, um die Kritik an der Landnahme zu fokussieren und zu präzisieren.
Asien
Ähnlich wie die Entwicklungen in Lateinamerika, drängt die Konzentration auf Afrika die Entwicklungen in Asien etwas in den Hintergrund, obwohl sie massiv sind. Der umfangreiche Bericht von Saturnino Borras Jun. und Jennifer Franco „Political Dynamics of Land-grabbing in Southeast Asia. Understanding Europe's Role“ ist da eine Ausnahme. An drei Ländern – Kambodscha, Indonesien und Philippinen – wird der jeweilige Prozess der Landnahme und die Rolle europäischer Unternehmen, der Politik der Europäischen Union und multilateraler Organisationen untersucht. Diese hätten zwar „keine große sichtbare Präsenz“, heißt es dort, wären „aber dennoch wichtige Triebkräfte für Land grabbing in dieser Region“. An Bestandsaufnahme und Analyse schließen sich Empfehlungen an die Adresse der europäischen Politik an, etwa die Revision der Agrartreibstoff-Politik oder die Stärkung der seit 2004 bestehenden Richtlinien der EU für Landpolitik.
In diesem Zusammenhang auch ein Hinweis auf ein Papier der Heinrich-Boell-Stiftung vom November 2010 zu Kambodscha: „Donor Playground Cambodia?“. Wie der Titel besagt, geht es darin um die Rolle von Entwicklungspolitik und entwicklungspolitischen Organisationen. Die Untersuchung der Landfrage, der Landreformen und der Erfahrungen mit der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Kambodscha liefert eine Reihe interessanter Einsichten in die Funktionsweise und die Wegbereiter-Rolle von Gebern für ausländische Investoren.
Was tun?
Eins der neueren, wichtigen Dokumente, die den zivilgesellschaftlichen Widerstand vernetzen und stärken wollen, ist der "Dakar Appeal against the land grab", der beim Weltsozialforum Anfang Februar im Senegal verabschiedet wurde und jetzt von Organisationen unterzeichnet werden kann. Auch das Positionspapier „Landhunger. Ausländische Großinvestitionen in Land“ des katholischen Hilfswerks Misereor, das bereits im Mai 2010 erschienen ist, ist ein Versuch, aus zivilgesellschaftlicher Sicht Forderungen und Anforderungen an die (deutsche) Politik zu formulieren und stellt eine Reihe notwendiger Weichenstellungen und Handlungsansätze vor. Und Brasilien hat die Restriktionen für ausländische Spekulanten und Fonds, Land zu erwerben, weiter verschärft.
Unterdessen gehen auch die Bemühungen munter weiter, Richtlinien und Verhaltensregeln für Investoren aufzustellen. Vom 24. Januar bis 10. Februar 2011 hatte das High Level Panel of Experts beim Committee on World Food Security (CFS) zu einer online-Konsultation zu Landbesitz und internationalen Investitionen in die Landwirtschaft eingeladen. Eine erste, sehr kurz geratene Auswertung liegt jetzt vor. Interessanter sind die als Proceedings of Discussion dokumentierten Einzelbeiträge zur Diskussion von 47 Organisationen aus 34 Ländern. Sie sollen in die Formulierung der Voluntary Guidelines on land tenure einfließen, die zur nächsten Sitzung der CFS in Oktober 2011 vorliegen sollen.
Und da alle an Richtlinien und Verhaltensregeln arbeiten, um dem Landraub den Stachel zu ziehen, hat im Herbst vergangenen Jahres auch die Afrikanische Union, gemeinsam mit der UN-Wirtschaftskommission für Afrika (ECA) und der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) ein "Framework" entwickelt, um "Landrechte zu stärken, Produktivität zu steigern und Lebensbedingungen zu sichern".
Literatur
AU-ECA-AfDB Consortium, Framework and Guidelines on Land Policy in Africa. Addis Ababa, September 2010, link (pdf-Datei 4 MB)
Julia Behrmann, u.a., The Gender Implications of Large-Scale Land Deals. Washington DC, January 2011 (IFPRI Discussion Paper 01056), link (pdf-Datei)
Saturnino Borras Jun. und Jennifer Franco, Political Dynamics of Land-grabbing in Southeast Asia. Understanding Europe's Role. Amsterdam, January 2011 (Transnational Institute), link
Land Speculation, Commodity and Food Speculation, Thematic Section in: Development (Volume 54, Issue 1, March 2011), herausgegeben von SID (Society for International Development), link, um Beiträge herunterzuladen (nur bis Ende März)
Thomas Fritz, Das große Bauernlegen. Agrarinvestitionen und der Run auf's Land, Berlin, Dezember 2011 (FDCL), link
Global Land Project, Land grab in Africa. Emerging land system drivers in a teleconnected world. Copenhagen 2010 (GLP Report No.1), link (pdf-Datei)
Uwe Hoering, Chinas Landwirtschaft global, in: Landwirtschaft in China. Zwischen Selbstversorgung und Weltmarktintegration, herausgegeben von der Asienstiftung und dem Netzwerk „EU-China: Civil Society Forum“. Dezember 2010, link (pdf-Datei)
IIED, Land Deals in Africa -What's in the Contracts? February 2011, link
International Academic Conference on 'Global Land Grabbing', 6.-8. April 2011, University of Sussex, Brighton, UK, link für das Herunterladen der Beiträge
Harald von Witzke und Steffen Noleppa, EU agricultural production and trade: Can more efficiency prevent increasing 'land-grabbing' outside of Europe? link (pdf-Datei)