Von Uwe Hoering, Dezember 2010
Satellitenbilder zeigen, dass der Sahel, der in den 1970er Jahren zum Synonym für Dürre, Hunger und vorrückende Wüsten wurde, seit zwei Jahrzehnten wieder grüner wird. Das ging einher mit höheren Niederschlägen. (1) Soweit die erfreuliche Nachricht für die Savannenlandschaft am südlichen Rand der Sahara. „Aber unten on the ground reden alle von Desertifikation“, stöhnt Thomas Hickler vom Forschungszentrum Biodiversität und Klima an der Universität Frankfurt, der diese Ergebnisse bei einem Symposium in Bonn vorstellte. (2) „Ich verstehe das nicht.“
Nach vorherrschender Meinung ist nicht nur in Afrikas Sahel, sondern in vielen trockenen Regionen der Welt die Desertifikation eines der gravierendsten Probleme für Land- und Viehwirtschaft. Zwei Drittel von Afrikas Bevölkerung seien durch schwindende Vegetation, Verlust der Bodenfruchtbarkeit und zunehmende Trockenheit betroffen, so die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). (3) Mit dieser Dramaturgie haben afrikanische Regierungen beim UN-Gipfel Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro der Welt eine Desertifikations-Konvention abgerungen, um die es inzwischen allerdings eher still geworden ist. (4)
Der menschliche Faktor
Auch auf den Dias, die Chris Reij vom Zentrum für Internationale Zusammenarbeit an der VU Universität von Amsterdam vorstellt, ist viel Grün zu sehen, eine parkähnliche Landschaft mit zahlreichen Akazien und anderen Bäumen, hohem Gras und Feldern. Seit Mitte der 1980er Jahre „geschieht Großes“, fasst er seine Erfahrungen am Boden zusammen, die den Blick aus dem All bestätigen. Im westafrikanischen Niger hätten Bauern die Regeneration von Büschen und Bäumen auf fünf Millionen Hektar Feldern gefördert und damit die „größte ökologische Transformation“ bewirkt. Und das trotz steigender Bevölkerungsdichte, die oftmals für den Vegetationsverlust verantwortlich gemacht wird. Das Gegenteil sei richtig, widerspricht Chris dieser Auffassung: Der Bevölkerungsdruck sei gut, weil er die Rehabilitierung notwendig mache. Die gestiegenen Niederschläge seien „wichtig“, doch der Schlüssel sei der „menschliche Faktor“ und die Form der Landnutzung. Anscheinend, so scherzt er, hätten die Bauern in Niger die Vision eines grünen Schutzwalls umgesetzt.
Reij spielt damit auf das EU-Projekt einer 'Großen grünen Mauer' an, ein 15 Kilometer breiter Streifen mit gemischtem Baumbestand, der sich über mehr als 7000 Kilometer von Dakar im Westen bis Dschibuti im Osten erstrecken und den Vormarsch der Sahara gen Süden aufhalten soll. (5) Bäume sind gut, sagt Chris Reij, aber von dem Projekt selbst hält er nicht viel. Weil erfahrungsgemäß bei solchen öffentlichen Projekten die Überlebensrate der neu gepflanzten Bäume weniger als 20 Prozent beträgt, „werde es scheitern“.
Dagegen lautet sein Stichwort Agroforestry. Die Kombination von Bäumen, Buschwerk und Landwirtschaft sei die einfachste und preiswerteste Methode, die Landnutzung zu intensivieren. Zwischen den Bäumen, die den Wind bremsen und damit die Bodenerosion, wächst Sorghum, die Bäume selbst liefern Brennholz und Futter, auch für die Herden durchziehender Viehhalter, der Dung trägt dazu bei, die Bodenfruchtbarkeit zu verbessern - ein idealer Kreislauf zu gegenseitigem Nutzen. Konflikte zwischen Land- und Viehwirtschaft seien zurückgegangen. Und die Frauen, die zum Beispiel nicht mehr stundenlang nach Brennholz suchen müssen, hätten den größten Nutzen davon, so ein enthusiastischer Chris Reij.
Mythos Desertifikation?
Die ebenfalls in Afrika forschende Geografin Hannelore Kußerow von der FU Berlin hingegen kann „die Feststellungen, die Chris in Niger gemacht hat, nicht bestätigen“. Zwar wandert die Wüste anscheinend nicht weiter nach Süden vor, der Vormarsch der Sahara sei vielmehr ein Jahrzehnte alter Mythos, sagt sie. Eher lasse sich sogar ein Rückzug feststellen. Aber die Desertifikation nehme zu, vor allem wegen der wachsenden Bevölkerung im empfindlichen Sahel-Streifen.
Wird der Sahel nun grüner oder nicht? Ist vielleicht auch die Desertifikation ein Mythos? Der Kompromiss lautet: Sowohl als auch. In manchen Gegenden wird es grüner, in anderen brauner. Natürliche Gebiete würden kahl und öd', Felder dagegen geschont und grün. Auch hinter einem Schutzzaun, ein Konzept, wie es beispielsweise im äthiopischen Tigray großflächig durchgesetzt wird, erholt sich die Vegetation rasch. Dafür wird jedoch der Zugang der lokalen Bevölkerung zu Futter und Brennholz abgeschnitten. Grün ist daher nicht gleich grün. Wichtig ist, welche Art von Vegetation entsteht, ob sie landwirtschaftlich genutzt wird oder als Weide, ob sie der lokalen Bevölkerung nützt.
Ähnlich kontrovers die Ursachenanalyse für die Umweltprobleme: Die verbreitetsten Erklärungsmuster sind Bevölkerungsdruck und Überweidung. Menschen auf der Suche nach einem Stück Land und nomadisierende Rinderherden auf der Suche nach Wasser und Futter würden erst die Vegetation und damit dann die Böden kaputt machen, bis am Ende nur rissige Erde und kahle, staubige Flächen zurück bleiben.
Dagegen ist für Melchior Landolt, Direktor der nichtstaatlichen Entwicklungsorganisation Terra-Verde in Burkina Faso, „der Druck auf das Land die wichtigste Triebkraft für ein Wiederergrünen“. Voraussetzung sei allerdings, dass die Bauern ausreichend Unterstützung erhalten. Es überrascht nicht, wenn Chris Reij in die gleiche Kerbe schlägt: „Krise ist die Mutter der Intensivierung“, erklärt er, sie zwingt die Bauern zum Schutz und zur Erhaltung und macht damit den Sahel grün. Kern des Erfolgs im Niger war nach seiner Auffassung allerdings ein externer Anstoß - ein neues Forstgesetz, das den Bauern die Bäume und ihre Nutzung zuspricht.
Konzepte für ein „Wiederergrünen Afrikas“ wie die Agroforstwirtschaft sind nicht wirklich neu. (6) An Vorschlägen mangelt es nicht, aber meist an ihrer nachhaltigen Umsetzung. Um wirksam zu sein, so Chris Reij, müssten die Maßnahmen auf einer Fläche drei bis vier mal größer als die „Große grüne Mauer“ der Europäischen Union durchgeführt werden. Doch viele Entwicklungsprojekte hätten bislang nur sehr beschränkte Verbesserungen gebracht, auf jeden Fall nicht genug, dass sie sich in Satellitenbildern zeigen würden. Also doch die Kombination von höheren Niederschlägen, „menschlichem Faktor“ und gesicherten Eigentumsrechten, wie Chris Reij meint, die entscheidend ist für einen grünen Sahel?
Allerdings: Selbst wenn die Satellitenbilder die Wahrheit über die Situation on the ground aussagen und der Sahel tatsächlich und großflächig grüner wird, bedeutet das noch keine Entwarnung: Vorhersagen über Auswirkungen des Klimawandels auf die Niederschlagsentwicklung im Sahel stehen Fifty-Fifty - die einen Modelle erwarten mehr, die anderen weniger Regen. Gute Nachrichten für einen grüneren Sahel könnte dagegen eine andere Folge gestiegener Treibhausgas-Emissionen bedeuten: Akazien und andere Holzgewächse wachsen bei höherem CO2-Gehalt besser.
(1) Jonathan W. Seaquist, u.a., The Grass is Greener in the Sahel – The View from Lund, in: GLP News, No. 5 / June 2009, www.globallandproject.org/Newsletters/GLP_NEWS_05.pdf
(2) GTZ, Abteilung für Agrarwirtschaft, Fischerei und Ernährung, Fachgespräch „Green Sahel“, 28. Oktober 2010, Bonn
(3) GTZ, Fact Sheet Desertification Africa, www.gtz.de/
(4) Convention to Combat Desertification, CCD, mit Sekretariat in Bonn: www.unccd.int/
(6) Siehe zum Beispiel Paul Harrison, The Greening of Africa, 1987