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Markus Mugglin, Konzerne unter Beobachtung

Der Untertitel „Was NGO-Kampagnen bewirken können“ ist vielversprechend. Wie reagieren Konzerne auf Druck der Zivilgesellschaft? Der Klappentext sieht hier nach mehr als vierzig Jahren Auseinandersetzungen zwischen NGOs und Konzernen eine „Erfolgsgeschichte“.

Im Mittelpunkt stehen dabei global agierende Schweizer Großunternehmen, darunter Konzerne aus dem Rohstoffbereich wie Glencore, aus der Pharmabranche wie Novartis und Banken wie UBS. Mit dabei ist auch Nestlé aus dem Agrar- und Ernährungsbereich – als ein besonders positives Beispiel für eine Strategieänderung aufgrund von Kampagnen: So habe der einst heftig kritisierte, weltweit führende Nahrungsmittelkonzern einen „eigentlichen Gesinnungswandel“ vollzogen, stellt die Alliance Sud, die Dachorganisation der Schweizer Hilfswerke, fest. Eine „große Wende“ sieht auch SigWatch, ein Unternehmen, das die Kampagnen von weltweit 6000 Nichtregierungsorganisationen beobachtet und bewertet und das Ranking "Corporations that NGOs Loved and Hated" aufstellt: Das Unternehmen bemühe sich um Transparenz in der Lieferkette, führt Projekte im Trinkwasserbereich durch, trat der Fair Labor Association (FLA), duldet keine Kinderarbeit und kündet Maßnahmen gegen Zwangsarbeit in der Fischindustrie in Thailand sowie „Nulltoleranz gegenüber Landraub“ an.

Auch weit über solche Einzelbeispiele hätten die immer professionelleren Kampagnen-Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Organisationen eine wichtige Rolle dabei gespielt, dass "die Begriffe Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und Menschenrechte Eingang in den geschäftlichen Alltag gefunden" haben. Zahllose Standards und Zertifizierungen, Leitlinien, Verhaltenskodizes und Selbstverpflichtungen - häufig nicht verbindlich oder ohne Sanktionsandrohung bei Verstößen - sollen dazu beitragen, dass Konzerne ihren sozialen, ökologischen oder arbeits- und menschenrechtlichen Verpflichtungen stärker nachkommen als noch vor ein, zwei Jahrzehnten. In Geschäftsberichten, sozialen Projekten und Stiftungen schlägt sich nieder, wie Unternehmen den Grundsatz "Eigentum verpflichtet" interpretieren.

Zugute gekommen ist dieser Entwicklung unter anderem die Angst der Konzerne vor den Konsumenten, die gerade NGOs und Kampagnenorganisationen weidlich nutzen, und vor den Anlegern, die beispielsweise im Klimabereich immer kritischer auf Kohle und Erdöl schauen und ihr Geld „nachhaltig“ anlegen wollen. Gerade in der Agrar- und Ernährungsindustrie gibt es aber auch handfeste ökonomische Gründe: In der Konkurrenz mit global operierenden Konzernen aus Schwellenländern wie China und Brasilien verspricht ein positives Image Vorteile,  Programme zur Förderung bäuerlicher Betriebe und ländlicher Regionen entspringen vor allem der Sorge um den Nachschub an Rohstoffen, der durch die langjährige Vernachlässigung der Landwirtschaft gefährdet ist. Daher handelt es sich nicht ausschließlich um Imagepflege, sondern es gibt auch sichtbare Veränderungen im immer stärker an Lieferketten orientierten „Geschäftsmodell“ – zumindest soweit es die angestrebten und von den Börsen verlangten Gewinnmargen zulassen.

Wie weit die Erfolge tatsächlich reichen, darin ist Mugglins Analyse dann doch differenzierter als der Klappentext suggeriert. So steht beispielsweise Nestlé weiterhin in der Kritik, etwa wegen der hinhaltenden Aufklärung seiner Rolle bei der Ermordung des kolumbianischen Gewerkschafters Luciano Romero, wegen der Auswirkungen seines Mineralwasser-Geschäfts auf die Wasserressourcen oder anhaltender Verstöße gegen Regeln für die Vermarktung von Baby-Nahrung. Und natürlich vollziehen bei Weitem nicht alle Konzerne einen solchen ‚Gesinnungswandel’, wie ebenfalls gezeigt wird.

So führt die Situationsbeschreibung denn auch zu dem Schluss, dass Veränderungen zwar erfolgen, den Entwicklungs- und Umweltorganistionen seien sie aber „zu langsam, zu wenig konsequent, zu wenig systematisch“. Häufig tangieren sie nicht das Kerngeschäft oder die Unternehmen korrigieren nur, was gerade in der Kritik steht. Insofern spiegelt die ausgewogene, wohlwollende „Zwischenbilanz“ auch die breitere Diskussion, die nach wie vor zwischen den Polen „Imagepflege“ oder echtes Engagement, Fortschritt und Rückschlägen, freiwillig oder rechtlich bindend changiert, aber grundlegende Fragen nach Grenzen durch Macht- und Kräfteverhältnisse oder Handlungslogiken kapitalistischer Konzerne gerne ausblendet.

Mugglin teilt dabei die Einschätzung einer wachsenden Zahl von NGOs, die große Chancen sehen (oder sehen wollen), auf Industrien und Konzerne einwirken und Verbesserungen erreichen zu können. Daher setzen viele in ihren Strategien und Aktivitäten neben Kampagnen auch immer stärker auf Kooperationen wie im ‚Bündnis für nachhaltige Textilien’ oder dem  ‚Runden Tisch für nachhaltiges Palmöl’. Welchen Anteil diese Doppelstrategie allerdings tatsächlich an den allgegenwärtigen Bekenntnissen zur ‚Unternehmensverantwortung’ und deren Umsetzung hat, ist faktisch nur schwer nachvollziehbar.

Markus Mugglin, Konzerne unter Beobachtung. Was NGO-Kampagnen bewirken können. Zürich (Rotpunktverlag) September 2016