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Reimon/Felber (2003), Schwarzbuch Privatisierung

Die Privatisierung wird weltweit vorangetrieben. Nicht nur in Deutschland oder in Europa, sondern auch in den Ländern des Südens werden Staatsbetriebe verkauft und vormals öffentliche Aufgaben an private Unternehmen übertragen. Teils geschieht das offen, teils schleichend, scheibchen- und schrittweise, teils auf nationaler Ebene, teils treiben EU-Kommission und WTO wirtschaftliche Liberalisierung und damit die Privatisierung voran. Die Begründungen sind immer die gleichen: Öffentliche Unternehmen hätten versagt, die Kassen des Staates und der öffentlichen Daseinsvorsorge seien leer, private Unternehmen seien kostengünstiger, effizienter, besser für Kunden und Verbraucher – kurzum: Es gebe keine Alternative, wie Margarete Thatcher die Privatisierungsoffensive in Großbritannien in den neunziger Jahren propagiert hatte.

Angesichts so viel Pro-Privatisierung-PR ist es hilfreich, sich an die Erfahrungen mit bisherigen Privatisierungen zu erinnern – und das tun Reimon/Felber ausführlich und spannend. Dass sie sich dabei auf die Institutionen der Grundversorgung wie Infrastruktur, Gesundheit oder Bildung beschränken, tut dem Informationswert keinen Abbruch, im Gegenteil: Gerade in diesen in den meisten Ländern bislang noch überwiegend öffentlichen Bereichen droht die Privatisierung die tiefsten Einschnitten und die spürbarsten Folgen für die Menschen zu bringen.

Der Ausgangspunkt des Buches ist geschickt gewählt: Die Privatisierung der Eisenbahnen in Großbritannien in den neunziger Jahren. Hier zeigte sich der Liberalisierungsglauben, wie ihn die „Eiserne Lady“ Thatcher als eine der ersten in Europa verkörperte, at its best – und seine Folgen auch. Nach einem kurzen Einschub über die Geschichte des Neoliberalismus als theoretisch-ideologischem Hintergrund zu Privatisierung, der den Bogen von Adam Smith über Milton Friedman und seine „Chicago Boys“ bis zu Thatcher, Weltbank und Internationalem Währungsfonds spannt, folgt dann ein breites Spektrum von Privatisierungs-Praxis pur – im Gesundheitssystem, bei Wasser, Strom und Bildung, von Renten, Information und schließlich öffentlicher Sicherheit. Um den Notenschnitt und damit die Attraktivität für „Kunden“ zu erhöhen, werfen Schulen nach der Privatisierung „Problemkinder“ raus, in Krankenhäusern bleiben Patienten stundenlang unversorgt, weil die private Krankenkasse nicht erreichbar ist, um die Übernahme der Kosten zu bestätigen, private Bahnlinien sparen an der Sicherheit, Gefängnisbetreiber geben Wahlkampfspenden an Politiker, die für längere Haftstrafen eintreten, .... die Beispiele, wie privatwirtschaftliche Rationalität gegen das Interesse an Gesundheit, Chancengleichheit und einer ausreichenden, menschenwürdigen Versorgung für alle verstoßen, sind vielfältig. Aber auch die jüngste Episode in der Geschichte der Privatisierung haben die Autoren bereits eingearbeitet: Nach zahlreichen Unfällen wurde im März 2002 das Schienennetz in Großbritannien wieder in öffentliche Verantwortung übernommen, allerdings erst, nachdem die privaten Betreiber auf Kosten der Allgemeinheit gewaltige Gewinne gemacht haben. „Wenn die Privatisierung von British Rail für eines gut war, dann um zu beweisen, dass der freie Markt Grenzen haben muss“, schreiben die Autoren. „Es gibt Bereiche, die sich nicht dazu eignen, profitorientiert gemanagt zu werden – nicht weil es ökonomisch unmöglich wäre, sondern weil es gesellschaftlich nicht wünschenswert ist.“(25)

Entsprechend dem Titel „Schwarzbuch“ konzentrieren sich die Autoren vorrangig darauf, skandalöse Fehlentwicklungen, Missstände und Problemfälle zu zeigen. Es gelingt ihnen aber, dahinter die allgemeinen Ursachen und die privatwirtschaftliche Logik dieser Fälle herauszuarbeiten und damit zu zeigen, dass es sich eben nicht um Einzelfälle handelt, sondern um ein System, bei dem für einen bestenfalls kurzfristigen Vorteil – die Entlastung öffentlicher Haushalte – langfristig ein Umbau der Gesellschaft und ein Rückzug aus kollektiver, solidarischer Verantwortung erfolgt, bei dem vor allem die ärmeren Bevölkerungsgruppen auf der Strecke bleiben.

Entstanden ist so ein gleichermaßen spannendes und informatives Buch, das Geschichten und Einzelschicksale erzählt, darin aber Hintergründe und Mechanismen einer drohenden gesellschaftlichen Umwälzung aufzeigen – mit der Absicht aufzurütteln, um diese Entwicklung zu stoppen und Alternativen zu verwirklichen. Uwe Hoering

Michael Reimon/Christian Felber, 2003, Schwarzbuch Privatisierung. Wasser, Schulen, Krankenhäuser – Was opfern wir dem freien Markt? Wien (Verlag Carl Ueberreuter) 2003