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Reportagen & Analysen

Wer bringt Afrikas Landwirtschaft voran?

von Uwe Hoering, März 2013

In zwei neuen Berichten sorgen sich Weltbank und IFPRI, das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungspolitik, um die Entwicklung der Landwirtschaft, besonders in Afrika, um den Hunger und die Armut und machen Vorschläge für Lösungen, bei denen die bäuerliche Landwirtschaft allerdings nur eine untergeordnete Rolle spielt.

Während UN-Ernährungsorganisationen wie die FAO das internationale Ziel, den Anteil der Hungernden und Unterernährten an der Weltbevölkerung bis 2015 zu halbieren, in greifbarer Nähe sehen (nicht zuletzt durch eine Korrektur in der Statistik), UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bereits „Null Hunger“ als neue Perspektive verkündet und sich das öffentliche Interesse zunehmend auf Ernährungsfragen und Nahrungsmittelverschwendung verschiebt, ist das Forschungsinstitut IFPRI skeptischer: „Neuere Zahlen lassen erwarten, dass das Ziel nicht erreicht werden wird“, heißt es im '2012 Global Food Policy Report'. Da hilft auch die Feststellung wenig, dass die Agrarproduktion weltweit wieder stärker zu wachsen scheint, gehört es doch inzwischen zum Allgemeinwissen, dass das nur begrenzt Auswirkungen für die Hungernden hat. Zudem würden viele Länder in Afrika und in Südasien hinterherhinken, weil dort die Politik versagt habe und die Handelshindernisse nicht ausreichend abgebaut worden seien.

Politikversagen machen die Forscher aber auch bei den Industrieländern aus, die ihre Versprechungen vom G8-Gipfel 2009 im italienischen L'Aquila nicht eingehalten hätten (was diese selbst dementieren). Dazu kommt, nicht ganz neu, die Kritik an den direkten und indirekten Subventionen der USA und der EU für ihre Bauern und die Agrarexporte. In dem Bericht werden aber auch die Regierungen von Brasilien, China und Indien ermahnt, angesichts ihrer gestiegenen Bedeutung im globalen Agrarhandel die „Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf die Zukunft der Ernährungssicherheit“ zu bedenken.

Nahrungsmittelspekulation, Agrartreibstoffe, Land grabbing oder die Exportproduktion auf Kosten einheimischer Versorgung mit Grundnahrungsmitteln spielen dagegen bei dieser Ursachenanalyse bestenfalls eine marginale Rolle. Kern dieser arg verengten Bestandsaufnahme der globalen Ernährungssicherungs-Politik: Die „Weltgemeinschaft“ müsse sich bewegen, weg von einer „Szenerie voller Rhetorik und Versprechungen“, hin zu Aktionen.

Etwas Hoffnung, das Ruder doch noch herumzureißen, verbreitet der Bericht dennoch: Dafür müssten vor allem die Investitionen in Forschung und Innovation erhöht werden – eine nicht ganz uneigennützige Empfehlung. Auch die zunehmende Anerkennung des wichtigen Beitrags, den Frauen zu Landwirtschaft und Ernährungssicherung leisten, die in letzter Zeit beispielsweise vom Weltentwicklungsbericht der Weltbank 2012 und dem FAO-Bericht 'Die Lage von Ernährung und Landwirtschaft 2010' kam, und der schädlichen Auswirkungen der Nahrungsmittelverluste gelten als zukunftsträchtige Ansatzpunkte.

Auffällig ist, dass der Bericht nicht das Loblied auf die Agrarindustrie anstimmt, die die Landwirtschaft aus der Krise führen werde. Ganz im Sinne der Ausgewogenheit fehlt aber auch die Anerkennung bäuerlicher Landwirtschaft als eine der unabdingbaren Säulen für Armutsminderung, Ernährungssicherung und Umwelt- und Ressourcenschutz.

So bleiben sowohl die Analyse als auch dementsprechend die Lösungsvorschläge merkwürdig farblos und beschränken sich weitgehend auf Binsenweisheiten wie „höheres Angebot bringt niedrigere Preise“, auf Generalisierungen wie „die Ressourcennutzung zu optimieren“, „landwirtschaftliches Wachstum zu erhöhen und die Landwirtschaft in eine moderne und zukunftsorientierte Beschäftigung“ zu verwandeln, und auch die „Grüne Ökonomie“ soll irgendwie dazu beitragen, die Ernährung zu sichern. Ohne auf die völlig unterschiedlichen Ausgangs- und Umsetzungsbedingungen einzugehen, wird den Ländern in Afrika südlich der Sahara zudem geraten, „den Beispielen der Erfolgsgeschichten wie Brasilien und China zu folgen“ - Politikberatung ohne den Blick für die Realitäten.

 

Agrobusiness is Big Business

Sehr viel handfester, wenn auch nicht unbedingt realistischer, dagegen die Weltbankstudie 'Growing Africa. Unlocking the Potential of Agribusiness', die anknüpft an 'Awakening Africa's Sleeping Giant' und die 'Entdeckung' von 400 Millionen Hektar „ungenutzter“ landwirtschaftlicher Nutzfläche in Afrika. „Afrika ist die 'letzte Grenze' der globalen Nahrungsmittel und Agrarmärkte“, versucht die Weltbank, Pioniergeist zu wecken.

Wichtig und richtig ist die Wiederentdeckung der Landwirtschaft in Afrika, für die die Weltbank einen Gutteil der Mitverantwortung trägt. In der Tat entscheidet sich hier die weitere Entwicklung. Unstrittig ist auch, dass sich hier etwas ändern muss. Und dass, ganz abstrakt, das Potential dafür vorhanden ist – Land, Wasser, Vielfalt, erfahrene Bauern und Bäuerinnen, ... Offen ist allerdings, ob diese Entdeckung - ähnlich wie die Entdeckung Amerikas durch Columbus - für die einheimischen Bevölkerungen wirklich eine gute Nachricht ist.

Im Zentrum des Berichts steht das „Potenzial“ der Agrobusiness-Entwicklung, die die Wachstumsspielräume der afrikanischen Landwirtschaft (geringe Produktivität, ungenutzte oder untergenutzte Land- und Wasserressourcen, eine breite agroklimatische Diversität, die die Erzeugung einer Vielzahl unterschiedlicher Agrarprodukte möglich macht, usw.) ergänzen soll: Gemeinsam, so die Weltbank, könnten kommerzielle Landwirtschaft und Agrobusiness eine gewaltige Industrie darstellen – bis zu eine Billion US-Dollar in 2010, dreimal mehr als gegenwärtig. „Globales Agrobusiness ist Big Business“, heißt es denn auch doppeldeutig.

Theoretisch bietet zum einen die Importsubstitution ein enormes Marktpotential: Afrika wurde in den vergangenen Jahrzehnten vom Exporteur zum Nettoimporteur von Agrarprodukten, vor allem von Nahrungsmitteln. Die steigende Nachfrage nach höherwertigen Agrarprodukten in den Städten durch die auch in Afrika reicher und größer werdenden Mittelschichten verspricht weitere Absatzmöglichkeiten. Dazu soll eine Rückeroberung der Exportmärkte kommen, die Afrika an Konkurrenten verloren hat: So exportieren Brasilien und Thailand heute mehr als ganz Afrika südlich der Sahara zusammen. Das Agrobusiness soll helfen, die globale Konkurrenzfähigkeit zu steigern und diese Märkte zu erschließen.

Dieser marktorientierte Optimismus geht einher mit einigen Einsichten, die früher nicht selbstverständlich waren. Dazu gehört eine vorsichtige Absage an große Plantagen: „Die Landwirtschaft hat wenig economies of scale und die Familienlandwirtschaft wird weithin anerkannt als ein effizientes Organisationsmodell für Landwirtschaft“. Daher appelliert der Bericht denn auch an die Investoren, sie sollten „soweit möglich bemüht sein, die Produktivität der gegenwärtigen Landnutzer zu steigern“, vor allem durch verschiedene Formen von Vertragslandwirtschaft.

Optimismus auch, was die erforderlichen Investitionen anbelangt: „Mindestens 31 Agrobusiness-Investmentfonds mit eine Kapitalisierung von 8 Millionen bis 2,7 Milliarden US-Dollar zielen auf Afrika“. Beim G8-Gipfel im italienischen L'Aquila haben die Regierung 20 Milliarden US-Dollar versprochen, in der 'New Alliance' 2012 kündigten drei Dutzend global agierender Konzerne bislang über 3 Milliarden US-Dollar für die Verringerung der Armut in Afrika an. Einzelne Konzerne wie Monsanto, Pioneer Hi-Bred und andere verkünden weitere Investitionen, etwa in Düngemittelfabriken, in- und ausländische Agrarinvestoren pachten große Ländereien. Auch internationale Entwicklungsfinanziers wie die Weltbank, regionale Entwicklungsbanken und bilaterale Geber wie USAID oder DFID versprechen mehr Geld für die Agrarentwicklung. Und nationale Regierungen haben sich im Agrarentwicklungsprogramm für Afrika, CAADP, verpflichtet, mindestens zehn Prozent der staatlichen Ausgaben in die Landwirtschaft zu stecken – eine Zielgröße, die jedoch erst wenige erreicht haben.

Gebündelt werden sollen diese öffentlichen und privaten Investitionen in Public Private Partnerships, besonders im Infrastrukturbereich und in der Bewässerungslandwirtschaft, um unter anderem in sogenannten 'Landwirtschaftlichen Entwicklungskorridoren' kommerzielle Landwirtschaft, verarbeitende Industrien und verbesserte Vermarktung aufzubauen. Bei vielen Ankündigungen muss sich allerdings erst noch erweisen, was daran Rhetorik, was Aktion ist.

 

Wert(ab)schöpfungsketten

Das neue Zauberwort für diese Entwicklung ist 'Wertschöpfungsketten'. Bauern – „wenn möglich“ auch Kleinbauern – sollen mit den einträglichen Verbrauchermärkten in den Städten, aber auch in den Industrie- und Schwellenländern verbunden werden, integriert in die gesamte Produktionskette von der Belieferung mit Saatgut und Agrarchemie über den Handel und die Verarbeitungs- und Verpackungsindustrie.

Voraussetzungen dafür, so der Weltbank-Bericht, sind ein förderliches Geschäftsklima und strategische Unterstützung durch Regierungen. Im einzelnen zählt er dazu die Liberalisierung der Nahrungsmittelmärkte, auch und gerade grenzüberschreitend, verbesserten Zugang für Bauern zu Saatgut, Dünger und anderen Betriebsmitteln, wofür zuvörderst Geistige Eigentumsrechte und die erleichterte Zulassung gentechnisch veränderter Agrarpflanzen gehören, was Unternehmen seit Jahren fordern. Regelungen für Landtransfer und Landmärkte sollen endlich die imageschädliche Kritik an Land grabbing beenden und die „Transaktionskosten und Risiken für Investoren“ verringern, Öffentlich-private Partnerschaften die Privatisierung im Infrastrukturbereich und der Bewässerungslandwirtschaft einschließlich der privaten Kontrolle über Wasserressourcen vorantreiben. Wenn diese Voraussetzungen geschaffen sind, so die Optimisten von der Weltbank, dann wird – ganz uneigennützig – die Agroindustrie zu einem wichtigen Helfer in der Agrarentwicklung, von der - am Ende - auch die bäuerliche Landwirtschaft, die kleinen Verarbeitungsbetriebe, die Armen, Arbeitslosen und Hungrigen profitieren werden.

Klar ist schon mal, dass bei der Gewinnverteilung des 1 Billion US-Dollar-Topfs, den die Weltbank in Aussicht stellt, Agrarindustrie, Handel, Transport und Verarbeitung den Löwenanteil unter sich ausmachen werden. Studien über Wertschöpfungsketten bei Agrarprodukten wie Bananen oder Ananas zeigen, dass die Vertragsbauern und Landarbeiter oft nur einen geringen Anteil bekommen. Gänzlich offen lässt der Bericht die Frage, ob es nicht auch Verluste geben wird, beispielsweise die Verdrängung bäuerlicher Betriebe, die nicht das Kapital haben, sich an dieser 'Wertschöpfung' zu beteiligen. Oder ob sich Investoren wohl an den Appell halten werden, die bäuerlichen Betriebe zu fördern oder nicht doch lieber großflächige mechanisierte Anbaumethoden durchsetzen, weil das für die Rendite besser ist.

Die Wahl des Titelbildes weckt denn auch Skepsis an den Versprechungen des Berichts, durch Agrobusiness “mehr Arbeitsplätze zu schaffen, die Armut wesentlich zu verringern, ausreichend Nahrungsmittel zu erzeugen und den Schutz der Umwelt zu verbessern“: Ein Foto von Bananenbündeln. Denn die Wertschöpfungskette des Bananen-Anbaus, zumindest wie sie in Lateinamerika funktioniert, steht weder für kleinbäuerliche Landwirtschaft noch für kleine Verarbeitungsbetriebe, sondern für Konzerne, gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, Ausbeutung, Monokulturen und Preisdumping. Sollte dies das Vorbild sein, das Afrika nachahmen soll?

IFPRI: 2012 Global Food Policy Report. Washington D.C. 2013.Link: www.ifpri.org/gfpr/2012

The World Bank: Growing Africa. Unlocking the Potential of Agribusiness. Washington D.C. 2013. Link: siteresources.worldbank.org/INTAFRICA/Resources/africa-agribusiness-report-2013.pdf

The World Bank; FAO, Awakening Africa's Sleeping Giant: Prospects for Commercial Agriculture in the Guinea Savannah Zone and Beyond. Rome 2009. Link: siteresources.worldbank.org/EXTARD/Resources/336681-1231508336979/SleepingGiantFinal.pdf