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Reportagen & Analysen

AUTORITARISMUS



Politisches Kesseltreiben gegen Harsh Mander

The Wire Staff, 3. Februar 2024

Autoritarismus: Der Menschenrechts- und Friedensaktivist Harsh Mander und die von ihm gegründete NGO Centre for Equity Studies (CES) sind schon häufig in die Schusslinie indischer Verfolgungsbehörden geraten. Am 2. Februar wurden Manders Privaträume und das CES von der Polizei durchsucht. Das Central Bureau of Investigation behauptet, das CES habe gegen die Finanzierungsregel des Foreign Contribution Regulation Act (FCRA) verstoßen. Mehr als 250 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Indien verurteilen in einer Presseerklärung den erneuten Versuch des indischen Staates, Harsh Mander und das CSE mundtot zu machen. Mander und das CES stehen in der vordersten Reihe im Kampf um die Einhaltung verfassungsmäßiger Rechte und für das friedliche Zusammenleben der Glaubensgemeinschaften in Indien.

The Wire Staff, ‘Vindictive Witch Hunt’: Over 250 Activists, Scholars Condemn Raids on Harsh Mander and His NGO. TheWire, February 3, 2024


Indiens oppositionsfreies Parlament

Redaktionsnetzwerk Südasien, Dezember 2023/Januar 2024

In der letzten Parlamentssitzung vor den Neuwahlen im nächsten Jahr wurden Ende Dezember 2023 146 Parlamentsmitglieder wegen unliebsamer Anfragen an die Regierung und ethischem Fehlverhalten aus Unter- und Oberhaus suspendiert. Die Bürgerrechtsorganisation PUCL kritisert das Vorgehen als ‚einen Schandfleck in der Geschichte der verfassungsmäßigen Demokratie in Indien‘.


India’s Opposition-free Parliament

Kavita Chowdhury, 28.December 2023

Die regierende Indische Volkspartei (BJP) bemüht sich um ein oppositionsfreies Parlament. In der letzten Parlamentssitzung vor den Neuwahlen im nächsten Jahr wurden Ende Dezember 2023 146 Parlamentsmitglieder wegen unliebsamer Anfragen an die Regierung und ethischem Fehlverhalten aus Unter- und Oberhaus suspendiert, ein Vorgehen, das der oppositionelle INDIA Block aus 28 Parteien als autokratische und undemokratische Bulldozing-Strategie bezeichnete. In ihrer Abwesenheit verabschiedete die Regierung 14 teilweise umstrittene Gesetze wie drei neue Strafrechtsgesetze, die mit dem Anspruch der Dekolonisierung das 160 Jahre alte, von den Briten eingeführte Strafrecht ersetzen.

Kavita Chowdhury, India’s Opposition-free Parliament. The Diplomat, December 28, 2023


Stellungnahme der People’s Union for Civil Liberties (PUCL)

Die Bürgerrechtsorganisation PUCL fordert die Rücknahme der Suspendierungen von Mitgliedern des Parlaments, die ‚einen Schandfleck in der Geschichte der verfassungsmäßigen Demokratie in Indien‘ darstellen würden.  Sie hätten zur Folge, dass 190 Millionen Menschen nicht im Unterhaus repräsentiert seien und im Oberhaus die von oppositionellen Parteien geführten Bundesstaaten weniger stark vertreten sind.

PUCL Press statement, Revoke suspension of 146 Members of Parliament. December 23, 2023


Proteste der Lastwagenfahrer
Ein Beispiel für den Erfolg der Politik der Straße

Deepanshu Mohan, 3. Januar 2024

Inzwischen tut der staatliche Machtapparat alles, um öffentlichen Widerstand und bürgerliche Freiheiten zu unterdrücken und Rechtsstaatlichkeit (Rule of law) durch Recht als von der Regierungsmacht definiertes Herrschaftsinstrument (Rule by law) zu ersetzen. Angesichts dieses Vorgehens stellt sich die Frage, wie Opposition überhaupt noch aussehen kann. Massenproteste auf der Straße scheinen derzeit die einzige Möglichkeit, Druck auf die Modi-Regierung auszuüben und sie zu Verhandlungen zu zwingen. Ein Beispiel dafür sind die Streiks der Lastwagenfahrer Anfang Januar 2024, die zumindest die Zusage der Regierung erreicht haben, die neuen Strafrechtsgesetze erst nach Konsultationen mit ihrer Gewerkschaft auch auf Delikte wie Fahrerflucht anzuwenden. Vorbild sind die gewaltfreien Bäuer*innenproteste von 2021/22, die eine Rücknahme von drei  Landwirtschaftsgesetzen erreichten. Um die indische Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gegen den staatlichen Autoritarismus zu verteidigen, sollte im Vorfeld der anstehenden Wahlen der oppositionelle INDIA Block Allianzen mit solchen Formen von ‚People’s Power’ bilden.

Deepanshu MohanTrucker Protests Are Another Instance of the Success of Street Politics. The Wire, 3. Januar 2024


Operation 'NewsClick'

Angriff auf die Pressefreiheit in Indien mit fast militärischem Ausmaß

Redaktionsnetzwerk Südasien, Oktober 2023

Repression:  Am Morgen des 3. Oktober 2023 wurden Wohnungen und Arbeitsräume von fast 100 Journalist*innen und Aktivist*innen, die mit dem Nachrichtenportal NewsClick direkt oder indirekt in Verbindung stehen, durchsucht und Telefone, Laptops, Festplatten und Bücher beschlagnahmt. Die Aktion führte eine Sondereinheit der Polizei von Delhi durch, die normalerweise Terrorismusfälle untersucht. NewsClick wird vorgeworfen, Gelder von einem pro-chinesischen Lobbyisten aus den USA angenommen zu haben, um die Politik der indischen Regierung zu kritisieren und chinesische Propaganda zu verbreiten. Prabir Purkayastha, Herausgeber von NewsClick, und Amit Chakravarty, Personalleiter des Nachrichtenportals, sollen zudem einen Teil der Gelder auf die Konten von prominenten Menschenrechtsaktivist*innen geleitet haben. Purkayastha und Chakravarty wurden auf der Grundlage des Gesetzes zur Verhinderung rechtswidriger Handlungen (Unlawful Activities (Prevention) Act) festgenommen. Reporter ohne Grenzen erklärte Indien im vergangenen Jahr zu einem der gefährlichsten Länder für Journalist*innen.            


„This Is the Biggest Crackdown on the Indian Press by the Indian State“ 

Ajoy Ashirwad Mahaprashasta, 5. Oktober 2023

Die Durchsuchungen bei NewsClick und die Verhaftungen führender Mitarbeiter lösten Befürchtungen aus, dass der kritische Journalismus vor den Parlamentswahlen 2024 zum Schweigen gebracht werden soll. NewsClick-Journalist*innen berichteten, dass die Polizei sie am 3. Oktober immer wieder danach fragte, warum sie über Themen berichteten, die Indien in einem schlechten Licht darstellen würden.

Ajoy Ashirwad Mahaprashasta, This Is the Biggest Crackdown on the Indian Press by the Indian State. The Wire, October 5, 2023


Witnessing the NewsClick raids, up close and personal

Taru Bhatia, 8. Oktober 2023

Bericht einer jungen NewsClick-Journalistin über die Razzien am 3. Oktober: Für ein Journalistin sei es eine verzweifelte, hoffnungslose Situation. 'Umso mehr, als wir jetzt wissen, dass sie auch Nachwuchskräfte und freie Mitarbeiter*innen nicht verschonen werden, wenn sie beschließen, gegen eine Nachrichtenorganisation vorzugehen’.

Taru Bhatia, Witnessing the NewsClick raids, up close and personal.Scroll.In, October 08, 2023


'Extent of Falsehoods Astounding': Farmers Launch Nationwide Protest Against Allegations

The Wire Staff, 9. Oktober 2023

In der Strafanzeige gegen den NewsClick-Herausgeber Purkayastha wird indirekt behauptet, dass die Samkyukt Kisan Morcha (SKM), der Zusammenschluss von mehr als vierzig indischen Gewerkschaften der Bäuerinnen und Bauern zur Koordinierung des gewaltlosen Widerstands gegen die im September 2020 erlassenen Agrargesetze, darauf abzielen würde, die Versorgung der Menschen mit lebenswichtigen Gütern zu unterbinden und die öffentliche Ordnung in Indien zu stören. Die Bewegung der Landwirt*innen wies diese Anschuldigung in einer Stellungnahme zurück. 

The Wire Staff, 'Extent of Falsehoods Astounding': Farmers Launch Nationwide Protest Against Allegations.The Wire, October 9, 2023


Voices Raised in Favour of NewsClick on a Large Scale in Punjab

Shiv Inder Singh, 11. Oktober 2023

Bäuerinnen und Bauern, Arbeiter*innen, Studierende, Menschenrechts- und Kulturorganisationen im Bundesstaat Punjab haben ihre Stimme gegen die von der Polizei in Delhi eingereichte Anzeige gegen NewsClick und zahlreiche mit dem Unternehmen verbundene Journalist*innen erhoben und dies als Angriff auf die Demokratie und die Meinungsfreiheit bezeichnet.

Shiv Inder Singh, Voices Raised in Favour of NewsClick on a Large Scale in Punjab. NewsClick, October 11, 2023


BJP Defaming Farmers' Movement, Will Appeal to People to Defeat it: SKM
Ravi Kaushal, 21. Oktober 2023

Bei einem Treffen der SKM am 20. Oktober appellierte die Kampagnen-Leitung an die Menschen, die BJP in fünf wahlentscheidenden Bundesstaaten abzuwählen. Die SKM kündigte an, dass die Bäuer*innen nach einer Kampagne auf Dorfebene im ganzen Land am 6. November Kopien der Strafanzeige gegen NewsClick verbrennen werden.

Ravi Kausha, BJP Defaming Farmers' Movement, Will Appeal to People to Defeat it: SKM.NewsClick, October 21, 2023


 


The D-Voters of Assam
 Migrant*innen wird das Wahlrecht verweigert

The Wire, 28.09.2023

Autoritarismus: Seit Jahrzehnten kämpfen Migrant*innen aus Bangladesh in Assam darum, Dokumente für die indische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Unter dem Vorwand, sie seien illegal eingewandert, stufte die indische Wahlkommission 1997 mehr als 100.000 Menschen als „fragwürdige“ (doubtful) Wahlberechtigte (D-Voters) ein und behielt ihnen damit das Stimmrecht vor. Jetzt hat der autoritäre Überwachungsstaat Mechanismen geschaffen, um „undokumentierte“ Migrant*innen im Land aufzuspüren. Zudem wurden Tribunale für „Ausländer*innen“, vor allem für bengalische Muslime eingerichtet, die dabei die Beweislast für die Staatsbürgerschaft tragen. Ziel der Maßnahmen ist es, ihnen die staatsbürgerlichen Rechte zu verweigern und sie letztlich zu internieren. Viele seit Jahrzehnten in Assam lebende Zugewanderte engagieren Rechtsbeistand, um die für die Beantragung der Staatsbürgerschaft notwendigen Dokumente zu besorgen. Das wiederum scheitert jedoch häufig daran, dass eine große Zahl von ihnen in Armut lebt und sich die hohen Verfahrenskosten nicht leisten kann. Die Exklusion auf staatsbürgerlicher wie auf wirtschaftlicher Ebene gehen Hand in Hand.

For 'Doubtful Voters' of Assam, Financial Precarity Makes Citizenship Quest Doubly Hard. In: The Wire, September 28, 2023

Siehe dazu die ausführliche Analyse Pushed into the fringes of Poverty: The D-Voters of Assam, Azaad Awaaz, Vol VII, Issue II

Siehe dazu auch das Dossier: Krisenherd Nordostindien



Indien
How India’s Data Protection Law Weakens Citizens’ Right to Information

Himanshu Jha, 12.08.2023

Autoritarismus: In der zweiten August-Woche verabschiedete das indische Parlament ein Gesetz, dass dem Namen nach dem Datenschutz dienen soll. Vordergründig soll mit dem Digital Personal Data Protection Bill der Datenmissbrauch durch große Hightech-Unternehmen unterbunden werden. Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen befürchten allerdings, dass dadurch der Schutz der Privatsphäre und das Recht auf Information ausgehöhlt werden. Das 2005 verabschiedete bahnbrechende Right to Information-Gesetz (RTI Act) habe mit einigem Erfolg die Un-Kultur der Intransparenz und Korruption von Behörden und mächtigen Interessengruppen durchbrochen, schreibt Himanshu Jha, doch dieser Fortschritt und damit die Demokratie seien jetzt in Gefahr. Bereits 2021 setzte die Regierung Modi weitreichende Regulierungen durch, um soziale Medien und digitale Plattformen direkt unter ihre Kontrolle zubringen, was nach Auffassung von Kritikern zu einer Online-Zensur in Indien führen kann.

In: The Diplomat, August 12, 2023

Siehe auch das Dossier: Digital Security threatens Digital Rights


Humor im Hindunationalismus
Modi ist der Witz, den Inder*innen nicht kapieren dürfen

Rosamma Thomas, Juni 2023

Autoritarismus: Komik, Ironie und Satire spielten immer schon eine große Rolle bei der Gesellschaftskritik in Indien. Traditionelle und moderne Kunstformen verstanden es, den Menschen Mut zu machen und sich gegen staatliche Gewalt, Ausbeutung und Unterdrückung zu wehren. In schwierigeren Zeiten stiften Künstler*innen Humor und Reflexion. Unter der hindunationalistischen Regierung von Premierminister Narendra Modi nehmen Angriffe und Hasskampagnen gegen Oppositionelle, kritische Medienarbeiter*innen, Stand-up-Comedians und Karikaturist*innen zu.                                Jörn Große-Rövekamp und Jean Donauer

In: iz3w 396, Mai / Juni 2023, 37-39. Der Originaltext vom 22. Juni 2022 wurde aus dem Englischen übersetzt von Jörn Große-Rövekamp.

Die Schriftstellerin und freiberufliche Journalistin Rosamma Thomas ist Teil des Projekts „Cultural Resistance in Times of Rising Authoritarianism in India: A Dossier“, das die Vielfalt kultureller Widerstandsformen in Indien gegen die autoritäre Wende aufzeigt. Bisher sind zehn Beitrage erschienen, darunter über eine Folk Rock-Band im ostindischen Manipur, über Kulturgruppen in Maharashtra, die gegen das Kastensystem aktiv sind, und die vielfältige Protestkultur der monatelangen Blockade der Hauptstadt Delhi durch Bauern vor zwei Jahren. , die digital unter bit.ly/3LmdcND zu finden sind.


India's Militant Hindu Nationalist Women Leaders

New Lines Magazine, 17.04.2023

Autoritarismus: In den vergangenen Jahren haben BJP und RSS konzertierte Anstrengungen unternommen, um mehr Frauen in die Politik zu bringen. Die BJP hat Frauen als wichtige Basis für die Partei erkannt, führende Vertreter der RSS sprechen davon, die Beteiligung von Frauen an den Aktivitäten der Organisation zu fördern - vor allem im Hinblick auf die Wahlen 2024 und die Hundertjahrfeier der RSS 2025 - und ihre Mitgliedschaft für Frauen zu öffnen. Gleichzeitig bildet sich in hindu-nationalistischen Kreisen eine Armee militant orientierter, finanziell unabhängiger, politisch und sozial konservativer Führungsfrauen heraus. Sie sind oftmals lauter und militanter als ihre männlichen Kollegen und bestimmen die hindu-nationalistische Agenda in ihren Regionen, während sie gleichzeitig gegen Patriarchate kämpfen, um politisch aufzusteigen. Die Ideologie, für die sie eintreten, und die Hindu-Nation, die sie sich vorstellen, sind jedoch zutiefst rückwärtsgewandt und patriarchalisch.

In: New Lines Magazine, April 17, 2023


Indien: IT Rules on Fact-Checking Tantamount to Censorship of Press

Indian Newspaper Society, 14. April 2023

Auch in Indien werden IT-Regeln genutzt, um Zensur auszuüben. Die Information Technology Rules geben einem von der Regierung bestellten Komitee die Macht zu entscheiden, was ‚Fake news’ sind, was falsch oder irreführend ist. Die Indian Newspaper Society (INS) kritisiert, dass die Regeln ohne jegliche Konsultation mit der Presse eingeführt wurden und ein Mittel sind, die Meinungsfreiheit einzuschränken.

In: The Wire, April 14, 2023


India
Data Protection Bill Fosters State Surveillance

Human Rights Watch, 22.12.2022

Autoritarismus: Der Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz (Digital Personal Data Protection Bill) ist der jüngste Versuch der von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführten Zentralregierung, Indiens erstes Gesetz zum Schutz persönlicher Daten zu beschließen. Ein früherer Vorstoß, der im Dezember 2019 im Parlament eingebracht worden war, wurde im August 2022 fallengelassen. Die Bedenken von Parlamentarier*innen der Opposition, Technologieunternehmen und Advocacy-Gruppen gegen die frühere Gesetzesvorlage werden vom jetzt vorgelegten Entwurf nicht berücksichtigt. Die Regierung sollte daher den Vorschlag überarbeiten, um den Schutz der Privatsphäre vor einer unkontrollierten staatlichen Überwachung sicher zu stellen, erklärte Human Rights Watch, eine öffentliche Beratung durchführen und die Vorschläge zivilgesellschaftlicher Gruppen und Experten für digitale Rechte einarbeiten.

HRW, India: Data Protection Bill Fosters State Surveillance. Draft Law Fails to Protect Privacy, Rights of Children


Protests in Karnataka Over New Reservation Policy Ahead of State Polls

B.S.Arun, 28.03.2023

Autoritarismus: Die BJP-Regierung des südindischen Bundesstaats Karnataka hat die Reservierungsquote für Muslime aufgehoben. Ihr bisheriger Anteil von vier Prozent wurde zwei großen Kastengruppen in Karnataka, den Lingayats und Vokkaligas, zugeschlagen, während sich Muslime jetzt die Reservierungsquote von zehn Prozent mit den wirtschaftlich schwächsten Gruppen teilen müssen. Muslime sind eindeutig die Verlierer dieser Maßnahme. Diese neue Quotenpolitik im Vorfeld der nächsten Wahlen in Karnataka ist ein Beispiel dafür, wie die Anti-Islamisierung Schritt für Schritt politisch umgesetzt wird und Hindu-Gruppen von der BJP umworben werden.

In: The Wire, March 28, 2023


Staatlich geförderte hinduistische Tempelwirtschaft

Pushpa Sundar, 7.3.2023

Autoritarismus: In der Verfassung ist verankert, dass Indien ein säkularer Staat ist. Doch zunehmend setzten BJP-Regierungen Haushaltsmittel für die Förderung religiöser Einrichtungen ein, wie jüngst die Regierung des Bundesstaates Karnataka. Das wirft Fragen nach der Vereinbarkeit mit der Verfassung, der fehlenden Gleichbehandlung der unterschiedlichen Religionen und der Bekämpfung der Armut auf.

Deutsche Übersetzung

Siehe dazu auch: Irfan Engineer and Neha Dabhade, Bulldozers, Discriminatory Laws and Demonization of Minorities: Communal Violence 2022 – Part III, Center for Study of Society and Secularism, CSSS, 2022.

Dieser Bericht über "symbolische Gewalt" in Indien, der nachzeichnet, wie die rechte Hindu-Ideologie durch Finanzierung von Hindu Tempeln und Symbolen, Hassreden, sozialen und Wirtschaftsboycott und Umbenennung von Orten, deren Name die islamische Herkunft signalisiert, öffentliche Diskurse beeinflusst, ist der dritte Teil einer Serie 'Bulldozers, Discriminatory Laws and Demonization of Minorities: Communal Violence 2022'über unterschiedliche Formen von Gewalt gegen religiöse Gemeinschaften und soziale Minderheiten. Die beiden anderen Texte analysieren "direkte physische Gewalt" und "strukturelle Gewalt".


‘It is better to die than live with no hope’
Inside India’s largest detention centre

Rokibuz Zaman, 07.03.2023

Autoritarismus: In Indiens größtem Auffanglager für "illegale Einwanderer*innen", in Matia in Assam, sind derzeit "Ausländer" sowie 300 Personen untergebracht, die im Rahmen des staatlichen Vorgehens gegen Kinderheirat festgenommen wurden. 69 Inhaftierte wurden von den Ausländergerichten Assams, quasi-richterlichen Gremien, die über Fragen der Staatsangehörigkeit in diesem Bundesstaat entscheiden, zu „illegalen Migrant*innen“ erklärt. Hintergrund ist das neue Staatsbürgerschaftsgesetz von 2019 (Citizenship Amendment Act) und das Nationale Bürger*innenregister, das die Aufgabe hat, eingewanderte Muslime als nicht-indische Bürger*innen auszusondern und abzuschieben. Auf Anordnung des Obersten Gerichtshofs wurden in Assam erstmals 2009 Haftanstalten für die Inhaftierung von als Ausländer deklarierten Personen errichtet. Die BJP-Regierung stellte 2018 erhebliche Geldmittel zur Verfügung und unterstützte den Bau eines großen Zentrums in Matia, in dem rund 3.000 Häftlinge untergebracht werden sollen. Die Reportage beleuchtet die Willkür der Inhaftierungen und die miserablen Haftbedingungen der in Matia eingesperrten Frauen, Männer und Kinder.

In: scroll.de, March 7, 2023


Indien: Online-Gewalt gegen kritische Journalistin

Global Voices, 16. März 2023

Autoritarismus: Rana Ayyub, Kolumnistin der Washington Post und eine der prominentesten unabhängigen Journalistinnen Indiens, war online täglich mit umfangreichen Drohungen, Belästigungen und Beschimpfungen konfrontiert. die von einer Armee von Trollen ausgehen.

Diese offen sexistische und mit Desinformationen gespickte Kampagne wird von „Lynchmobs“ getragen, die sich mit Indiens hindu-nationalistischer Regierungspartei identifizieren. Im Fall von Rana Ayyub bewegen sie sich an der Schnittstelle von muslim- und frauenfeindlicher Bigotterie, denn sie wurde wegen ihres muslimischen Glaubens attackiert und als "Dschihadistin" und "Terroristin" bezeichnet. Die Angriffe werden auch von regierungsnahen Boulevard-TV-Sendern und Propaganda-Websites geführt, die sich als Nachrichtenagenturen ausgeben und die kritische Berichterstattung von Rana Ayyub als Beweis für ausländische Einflussnahme und für ihre Illoyalität gegenüber Indien darstellen. Ihr Fall ist symptomatisch für die Verfolgung von Journalistinnen in Indien und der Region.

Online gender-based violence: A tool of digital authoritarianism in India. In: Global Voices, March 16, 2023

Siehe dazu auch die Studie des International Centre for Journalists (ICFJ), Rana Ayyub. Targeted online violence at the intersection of misogyny and islamophobia. February 14, 2023. Nach einer detaillierten Darstellung der Angriffe geht sie auch auf Hintergründe ein wie die Aushöhlung der Pressefreiheit in Indien unter der Regierung Modi und die Aufforderung von UN-Experten, Journalist*innen wie Rana Ayyub vor derartigen Angriffen zu schützen.


Public Statement by Indian Peoples Movements, Trade Unions and Other Civil Society Groups on G20

März 2023

Die indischen sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Gruppen, die dieses Statement vorgelegt haben, betrachten die G20, deren Vorsitz in diesem Jahr Indien hat, als exklusiven Club der Reichen und Mächtigen zur Stabilisierung neoliberaler Politiken und Rettung der globalen (Finanz-)Märkte. Das Modi-Regime benutzt diese dramatische Situation einer Mehrfachkrise, um sich nach innen vor den nächsten Wahlen als weltpolitischer Akteur zu profilieren und international das Image als größte Demokratie und größte Diversität der Welt aufzupolieren. Zum indischen Autoritarismus, der Verletzung von Menschenrechten, mangelnder Pressefreiheit, der rücksichtslosen Durchsetzung von großen Infrastrukturprojekten und wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten schweigt die G20. Arme und marginale Bevölkerungsgruppen haben keinerlei Einfluss auf die Themen und Entscheidungen der G20, aber kämpfen jenseits der Schönfärberei durch die indische Regierung weiter für demokratische, sozial und umweltgerechte Ökonomien und Gesellschaften.

Presserklärung, in: Countercurrents, March 3, 2023


Indien: Data Protection Bill Fosters State Surveillance

Human Rights Watch, 22.Dezember 2022

Autoritarismus: Der Entwurf für ein neues Datenschutzgesetz (Digital Personal Data Protection Bill) ist der jüngste Versuch der von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführten Zentralregierung, Indiens erstes Gesetz zum Schutz persönlicher Daten zu beschließen. Ein früherer Vorstoß, der im Dezember 2019 im Parlament eingebracht worden war, wurde im August 2022 fallengelassen. Die Bedenken von Parlamentarier*innen der Opposition, Technologieunternehmen und Advocacy-Gruppen gegen die frühere Gesetzesvorlage werden vom jetzt vorgelegten Entwurf nicht berücksichtigt. Die Regierung sollte daher den Vorschlag überarbeiten, um den Schutz der Privatsphäre vor einer unkontrollierten staatlichen Überwachung sicher zu stellen, erklärte Human Rights Watch, eine öffentliche Beratung durchführen und die Vorschläge zivilgesellschaftlicher Gruppen und Experten für digitale Rechte einarbeiten.

HRW, India: Data Protection Bill Fosters State Surveillance. Draft Law Fails to Protect Privacy, Rights of Children


Unipolar war gestern
Die multipolare Weltordnung beruht auf Autoritarismus

Kavita Krishnan, 20.12.2022

Die marxistische, feministische Aktivistin und Autorin Kavita Krishnan ist im vergangenen Jahr aus der CPI-ML (Communist Party of India-Marxist Leninist) ausgetreten, weil die Partei Russland nicht als Aggressor im Ukraine-Krieg kritisierte. In diesem Artikel analysiert sie das neue Verständnis vieler Linker von internationalen Beziehungen als Multipolarität, die die US-geführte Unipolarität ablösen würde. Diese Position würde nicht reflektieren, dass der Aufstieg neuer Großmächte und diese multipolare Weltordnung, die sich als Anti-Imperialismus legitimiert, auf Autoritarismus und anti-demokratischer Machtbildung in Staaten wie Indien, Russland, China und anderen beruht. Der Debatten-Beitrag erschien gerade in deutscher Übersetzung in iz3w (Heft 395, März/April 2023).

Originalbeitrag: Kavita Krishnan, Multipolarity, the Mantra of Authoritarianism.In: The India Forum, December 20, 2022


Kommentar
Schrittweise Zerstörung der indischen Zivilgesellschaft

Rahul Mukherji, 27.07.2022

Autoritarismus: Das Markenzeichen indischer Demokratie war jahrzehntelang die lebendige, vielfältige Zivilgesellschaft, die ihre Diversität spiegelte. Zwar waren auch schon frühere indische Regierungen misstrauisch gegenüber Nichtregierungsorganisationen (NRO). Aber jetzt werden von der Modi-Regierung die Rechte zivilgesellschaftlicher Gruppen durch Gesetze wie dem zur ausländischen Finanzierung (FCRA) und dem zur Vermeidung von Geldwäsche (PMLA) nach und nach abgebaut. Und das, obwohl Teile der Zivilgesellschaft während der Covid-19 Pandemie unermüdlich Hilfe an der Basis leisteten, während der Staat durch Abwesenheit glänzte. Link


Indien: Razzien gegen politische Anführer*innen und Aktivist*innen

India Justice Project, 26.September 2022

Autoritarismus: Das India Justice Project verurteilt die landesweiten Übergriffe und Razzien gegen systemkritische Organisationen, die die Rechte von Muslim*innen vertreten, mit dem Vorwurf des Terrorismus und krimineller Aktivitäten. Politische Grundrechte und die Demokratie werden auf diese Weise systematisch ausgehebelt. Link


Hijab und die zunehmende anti-muslimische Hysterie

Samina Salim, Mai 2022

Autoritarismus: Anlässlich des Kopftuchverbots für muslimische Schülerinnen reflektiert Samina Salim, eine gebürtige Inderin, die seit über 20 Jahren in den USA lebt, in diesem Beitrag, dass Indien heute nicht mehr das multikulturelle diverse Land ihrer Kindheit ist. Politisch geschürt und von Verschwörungstheorien getrieben hat sich in breitenBevölkerungsschichten eine aggressive anti-islamische Stimmung ausgebreitet. Wir dokumentieren Salims Meinungsartikel, auch wenn wir nicht alle ihre Einschätzungen teilen. Das trifft insbesondere auf die Behauptung zu, Indien befinde sich schon auf dem Weg zu einem „Völkermord“ an den Muslim:innen.

Speak Up! Deutsche Übersetzung: link


Der Oberste Gerichtshof hegt Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes über Volksverhetzung

People's Union for Civil Liberties (PUCL), Mai 2022

Autoritarismus: Indiens Oberster Gerichtshof hat die Exekutive aufgefordert, keine Verhaftungen unter Berufung auf Volksverhetzung vorzunehmen und den entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuchs zu überdenken. Unter der Modi-Regierung wird das Gesetz aus der Kolonialzeit exzessiv gegen Regierungskritiker:innen eingesetzt.

Speak Up! Deutsche Übersetzung: link


Indien: Medienkritik im In- und Ausland

Bharat Bushan, Mai 2022

Autoritarismus: Der Journalist und Kolumnist Bharat Bhushan beschreibt, wie das hindu-fundamentalistische Regime in Indien den Medien immer engere ideologische Fesseln anlegt. Die internationale Kritik an der Missachtung von Verfassungsrechten kann die Modi-Regierung aber nur schwer kontrollieren. Link


Offener Brief zum Besuch des indischen Premierministers Modi in Deutschland

Mai 2022

Autoritarismus: Im Vorfeld der 6. Deutsch-Indischen Regierungskonsulationen haben Organisationen von in Deutschland lebenden indischen Staatsbüger:innen einen offenen Brief an die deutsche Regierung geschrieben, um auf die dramatische Menschenrechtssituation in Indien aufmerksam zu machen. Mit einem Offenen Brief haben sich am 28. April Organisationen von in Deutschland lebenden indischen und deutschen Staatsbürger:innen an Außenministerin Baerbock, die Menschenrechtsbeauftragte Amtsberg, Bundeskanzler Scholz und weitere deutsche Bundestags- und Europaabgeordnete gewandt, um anlässlich der 6. Deutsch-Indischen Regierungskonsultationen ihre Bedenken bezüglich dieses Treffens auszudrücken und auf den autoritären Rechtsruck und die alarmierende Menschenrechtslage in Indien hinzuweisen. Wir halten es für wichtig, den offenen Brief zu dokumentieren. Wir möchten zugleich betonen, dass wir nicht alle politischen Einschätzungen und Schlussfolgerungen des offenen Briefes uneingeschränkt teilen. Das trifft insbesondere auf die thesenhaften Ausführungen zu einem drohenden „Völkermord“ an den Muslim:innen in Indien zu.

Speak Up! Deutsche Übersetzung: Link


Der Fußabdruck der Pandemie - Auswirkungen der Corona-Krise auf Demokratie und Geschlechtergleichstellung

Pamela Philipose, September 2021

Autoritarismus: Die hindufundamentalistische BJP-Regierung unter Premierminister Modi nutzt die Covid-19- Krise, um ihre Vorherrschaft zu stärken und die Demokratie zu unterminieren. Im Schatten der Pandemiebekämpfung wurden drakonische Gesetze und Maßnahmen erlassen, die dazu beitragen, Minderheiten zu kriminalisieren und die Kluft zwischen Reich und Arm weiter zu vergrößern. Besonders betroffen sind Frauen, die mehr denn je unter Gewalt, Armut und Rechtlosigkeit zu leiden haben.

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Heldinnen an vorderster Front

Interview mit Radhika Menon zu ASHAs, November 2021

Autoritarismus: Zum Höhepunkt der Pandemie 2020 wurden ‚freiwillige’ Gesundheitsarbeiterinnen, die für ihre Arbeit keinen regelmäßigen Lohn erhalten, dazu verpflichtet, Aufgaben der Pandemiebekämpfung in ihren Dörfern, vor allem gegenüber Wanderarbeiter:innen und ihren Familien zu übernehmen. Ihr Lohn dafür war symbolischer Applaus und Schlagzeilen in einer militarisierten Sprache in allen Medien, dass die ASHAs „an der Front“ und in der “vordersten Verteidigungslinie kämpfen“. Vor dem Hintergrund internationaler Debatten über neue Formen von Zwangsarbeit muss konstatiert werden, dass die schwierigsten und gesundheitsgefährdetsten Aufgaben den Gemeindearbeiterinnen als schwächsten Gliedern in der Kette der Gesundheitsversorgung übertragen wurden. Sie streikten und forderten – wie Gesundheitsarbeiter:innen in anderen Ländern – ein gut finanziertes öffentliches Gesundheitswesen.

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Corona Kapitalismus und das Hindu-Reich

Nivedita Menon, September 2021

Autoritarismus: Die Covid-Pandemie wird sowohl von der Politik des Hindu-Reichs als auch vom neoliberalen Kapitalismus genutzt, um ihre Vorherrschaft durch Islamophobie und den Lockdown zu stabilisieren. Corona-Kapitalismus bedeutet, dass am oberen Ende im Gefolge der Corona-App ein Datenkapitalismus als politisches und wirtschaftliches Überwachungssystem installiert wird, während am unteren Ende Zwangsarbeit und extrem prekäre Arbeit durch die Wanderarbeiter:innen geschaffen wird, um die Produktion zu sichern.Nivedita Menon beleuchtet Aspekte des Corona-Kapitalismus.

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