Visual Storyboard Team, 30.10.2022
Arbeitsverhältnisse: Der Industriekomplex von Narela ist eine der größten Wirtschaftszonen in Asien, vollgepackt mit florierenden Kleinbetrieben. Er lebt ausschließlich von der Arbeit von Geringverdiener*innen, die kaum Einfluss auf ihre Bezahlung und Lebensbedingungen haben. Um Handel und Industrieproduktion zu liberalisieren, begann der indische Staat Anfang der 1990er Jahre mit der Umsetzung einer Reihe neoliberaler Wirtschaftsreformen nach dem Vorbild des Washington-Konsens. Dieser Liberalisierungsschub in einigen Sektoren öffnete zwar in der Zeit nach 1991 die Türen für ausländische Kapitalinvestitionen, doch der Staat war nicht frei von einer "Vereinnahmung" durch private Geschäftsinteressen in den Bundesstaaten und Provinzen. Ein näherer Blick auf die Industriekorridore in und um die nationale Hauptstadtregion Delhi und die Struktur der bestehenden Beschäftigungsmöglichkeiten veranschaulicht die strukturellen Schwächen des neoliberalen Pakts zwischen Staat und Arbeitnehmer*innen. Link
Visual Storyboard Team, 23.10.2021
Wazirpur ist eine von 29 Industriezonen in Delhi. Vor 200 Jahren war es ein Brachland mit wenigen Bewohner*innen. Heute sind dort hunderte kleine metallverarbeitende Werkstätten angesiedelt, die tausende Wanderarbeiter*innen aus Uttar Pradesh, Bihar und Westbengalen anziehen. Jobs werden durch Mittelsmänner vermittelt, die Arbeiter schuften in 12-Stunden Schichten und verdienen gerade einmal 10.000 Rupies im Monat (umgerechnet ca 120 Euro). Viele verletzen sich an den Maschinen ohne Arbeitsschutz. Die Frauen arbeiten oft als Hausangestellte und reinigen die Straßen und die Kanalisation. Für Toiletten, Wasser und Müllentsorgung in den Slums müssen sie selbst sorgen.
In: The Wire, October 23, 2021
EAS Sarma, 04.11.2022
In einem offenen Brief an den Arbeitsminister Yadav beklagt EAS Sarma, früherer Regierungsmitarbeiter in Andhra Pradesh, die miserablen Löhne und überlangen Arbeitstage bei inhumanen Arbeitsbedingungen von indischen migrantischen Bauarbeitern in Katar, die die Mehrzahl der Erbauer der Stadien für die Fußballweltmeisterschaft stellten. Zwar profitiert der indische Staat erheblich von den Rücküberweisungen der Migrant*innen, aber kümmert sich nicht um ihr Wohlergehen und ihre Rechte vor Ort, zum Beispiel durch Verhandlungen mit den Gastländern, etwa in Katar.
In: countercurrents. November 2022
Priya Chaudhary, 21.10.2022
Müll- und Kanalmanagement wurde während der Covid-19 Pandemie als systemrelevante Arbeit ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf Abfall- und Kanalarbeiter*innen und ihre katastrophalen Arbeitsbedingungen. ‚Sanitation workers’ arbeiten ohne gesundheitliche und soziale Sicherungssysteme. Sie leiden unter Kastendiskriminierung, Gesundheitsrisiken und unsicheren Lebensbedingungen als Vertragsarbeiter*innen. Lohnrückstände sind normal und vergrößern ihre Notlage. Kürzlich forderten sie mit einem Streik permanente Arbeitsverträge und bessere Arbeitsbedingungen.
Quelle: Feminism in India, October 21, 2022
Visual Storyboard Team, CNES, 16.11.2022
Nachdem sie in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Hauptstadt Delhi migriert sind, arbeiten die Müllsammler*innen in Delhi unter extrem schlechten Bedingungen und mit schlechter Bezahlung. Männer und Frauen sammeln den Abfall, Frauen trennen vor ihren ärmlichen Unterkünften den Müll. Sie haben kaum Möglichkeiten, sich Gehör zu verschaffen, ihre Lebensumstände sind prekär.
In: The Wire, November 16, 2022
Action Aid, 09.10.2022
‚Choulthry’ ist eine Halle, die kommerziell für Hochzeitsfeiern, religiöse oder andere soziale Veranstaltungen mit ein paar Hundert Gästen vermietet wird. Choulthry-Arbeiterinnen sind die Frauen, die die Hallen reinigen und manchmal auch beim Kochen für die Feiern helfen. Sie sind meist Dalits, kommen aus Slums am Rande der Städte oder aus umliegenden Dörfern. Action Aid hat mit den Frauen über diese informelle feminisierte Arbeit diskutiert, die unsichtbar, unterbewertet und hochgradig ausgebeutet ist. Die Frauen sind sich der Ursachen für ihre miese Lage bewusst und fordern von der Regierung Rechte, Sicherheiten und Schutz für sich selbst, aber auch Anerkennung und Würde für ihre Arbeit.
Quelle: ActionAid India, October 2022
Oktober/November 2022
Im Juni 2022 hat die indische Regierung die seit Längerem angekündigten neuen Arbeitsgesetze verabschiedet. Hier eine kurze Darstellung und Einschätzung derneuen Gesetzgebung. Mit einem 10-Punkte-Forderungskatalog (10 Point Letter to the Minister of Labour) reagierten die Gewerkschaften (Joint Platform of Central Trade Unions) Ende Oktober auf die neuen Arbeitsgesetze. Zentral ist die Forderung, die neuen Arbeitsgesetze zurückzunehmen, weil sie die in 29 alten Arbeitsgesetzen garantierten Rechte und Sicherheiten unterlaufen. Weiter wird gefordert, die Mindestrente zu erhöhen und auch für informelle Arbeiter*innen eine Rente einzuführen und sogenannte Scheme Workers wie die Kindergärtner*innen, ASHAs und die Köchinnen der Schulmahlzeit als normale Arbeiter*innen mit einem Mindestlohnanspruch anzuerkennen (siehe weiter unten das Interview mit Radhika Menon). Die Privatisierung öffentlicher Einrichtungen soll gestoppt werden.
Nach einer viermonatigen Mobilisierungskampagne fand zudem Mitte November in Delhi eine große Demonstration gegen die neuen Arbeitsgesetze statt, die von MASA, einem Bündnis von 16 Arbeiter*innen-Organisationen und Gewerkschaften, organisiert wurde. MASA grenzt sich gegen die etablierten parteigebundenen Gewerkschaften wie INTUC, AITUC etc. ab. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten, sinkender Löhne, zunehmender Erwerbslosigkeit und sozialer Unsicherheit wächst die Unzufriedenheit unter den Arbeiter*innen. Viele Frauen beteiligten sich an der Demonstration.
Programme sogenannter ‚freiwilliger‘ Gemeindearbeiterinnen im Gesundheits- und anderen Sozialbereichen (Scheme Workers) gibt es in allen südasiatischen Ländern. Sie werden nicht als normale Arbeiter*innen betrachtet und bekommen für ihre Arbeit nur minimale „Entschädigungen“, aber keine Arbeitsrechte. Seit Jahren fordern sie Anerkennung und Regularisierung ihrer Arbeit. Der folgende Podcastzeigt, wie in Nepal die Gesundheitsarbeiterinnen, die dort seit 36 Jahren in solchen Freiwilligenprogramm arbeiten, gegen die Regierung wegen ihrer schlechten Entlohnung und der Missachtung ihrer Arbeit protestierten.
Public Services International, Female Community Health Workers in Nepal talk about labor exploitation. August 19, 2
In Indien wurden auf dem Höhepunkt der Pandemie 2020 ‚freiwillige’ Gesundheitsarbeiterinnen, die für ihre Arbeit keinen regelmäßigen Lohn erhalten, dazu verpflichtet, Aufgaben der Pandemiebekämpfung in ihren Dörfern zu übernehmen, vor allem gegenüber Wanderarbeiter*innen und deren Familien. Ihr Lohn dafür waren symbolischer Applaus und Schlagzeilen in allen Medien, die in einer militarisierten Sprache lobten, dass ASHAs „an der Front“ und in der “vordersten Verteidigungslinie kämpfen“.
Vor dem Hintergrund internationaler Debatten über neue Formen von Zwangsarbeit muss konstatiert werden, dass die schwierigsten und gesundheitsgefährdetsten Aufgaben den Gemeindearbeiterinnen als schwächsten Gliedern in der Kette der Gesundheitsversorgung übertragen wurden. Sie streikten und forderten – wie Gesundheitsarbeiter*innen in anderen Ländern – für ein gut finanziertes öffentliches Gesundheitswesen. (Redaktionsnetzwerk Südasien).
"Heldinnen des Kampfes an vorderster Covid-19-Front".
Ein Speak-Up!-Interview mit Radhika Menon
Nagrik Learning
Der Podcast berichtet über Hotlines für informelle migrantische Arbeiter wie Yelappa, einen der 56 Millionen Bauarbeiter*innen in Indien. Seit 2021 können informelle Arbeiter*innen die India Labour Line anrufen, wenn sie ihren Lohn nicht bekommen oder irgendwie in Not geraten. Seit 2004 funktioniert bereits im Bundesstaat Rajasthan eine solche Helpline, die Aajeevika Bureau’s Hotline für Arbeitsrechte, die gerade während der Pandemie zum Vorbild für Arbeiter*innen-Hotlines in anderen Landesteilen wurde.
Quelle: The Nagrik Podcast, October 17, 2022