Wegen des steigenden Verbrauchs von Agrarkraftstoffen und Kraftfutter wird immer mehr Grünland zu Ackerflächen umgebrochen. Das ist fatal für das Klima ebenso wie für bisherige Nutzer wie tierhaltende Kleinbauern und Hirtenvölker.
Ein Briefing-Papier von Susanne Gura
Grünland stellt eine wichtige Kohlenstoff-Senke dar. Buschland, Savannen, Prärien und Pampas haben hohe CO2-Speicherkapazität und bedecken riesige Flächen. Mit 35 bis 40 Prozent der Landfläche sind Grünland-Ökosysteme ähnlich groß wie die Waldgebiete der Erde. Doch anders als im Fall von Wäldern speichert Grünland Kohlenstoff vor allem im Boden. Schätzungsweise bis zu 30 Prozent des weltweiten Kohlenstoffs, der in den Böden gespeichert wird, lagert im Grünland, besonders in seiner Wurzelmasse. Zusätzlich wird ein erheblicher Teil des oberirdischen Kohlenstoffs in Bäumen, Büschen, niedriger Vegetation und Gräsern gespeichert.i Wissenschaftler haben zeigen können, dass die Umwandlung von Grünland in Anbauflächen stets zu einem Verlust von Kohlenstoff aus dem Boden führt, wobei die Verringerung bis zu 32 Prozent betragen kann.ii
Vieh und Grünland gemeinsam erzeugen auf nachhaltige Weise Nahrung. Wiederkäuer haben sich zusammen mit den Grünlandökosystemen entwickelt und sind die wichtigste Form, auf ihnen nachhaltig Nahrung zu erzeugen. 70 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ist Grünland, und eine Milliarde Menschen sind auf seine Nutzung angewiesen.iii Ein großer Teil der Fleisch- und Milchproduktion der Welt kommt vom Grünland. Viehhalter schätzen Grünland wegen seiner Fähigkeit, Herden zu ernähren und damit Milch, Fleisch und Häute zu liefern. In vielen Entwicklungsländern liefert die Viehhaltung zudem Zugkraft, Energie, Düngemittel, Kredit, sozialen Status und kulturelle Identität. Immer noch wird ein Großteil der weltweiten landwirtschaftlichen Anbauflächen mit der Hilfe von Zugtieren bearbeitet. Wenn die Benzinpreise steigen, steigt selbst in Südeuropa die Zahl der Zugtiere. 70 Prozent der Armen halten Vieh, das für sie ein wichtiges Sicherheitsnetz darstellt.ivSie werden weniger mit Getreide als vielmehr mit Raufutter, dem faserreichen Futter der Grünland-Vegetation gefüttert, was für die artgerechte Haltung der Wiederkäuer wichtig ist.
Treibhausgas-Emissionen vonRaufutter im Vergleich zu Kraftfutter: Es wird oft argumentiert, dass Rinder, die mit Raufutter ernährt werden, pro kg Milch mehr Emissionen erzeugen als Tiere, die mit Getreide oder Soja gefüttert werden. Dass durch den Ersatz von Raufutter durch Kraftfutter die Treibhausgase weniger würden, wäre jedoch ein falscher Schluss. Kraftfutter wird meist mithilfe von Kunstdünger angebaut, aber auch manche Weiden werden chemisch gedüngt. Chemiedünger ist die Hauptquelle der gefährlichen Stickoxide in der Atmosphäre. Das Lachgas (so benannt wegen seines Einsatzes als Betäubungsmittel) verbleibt 150 Jahre in der Atmosphäre. Seit der Erfindung des Kunstdüngers ist sein Anteil um 46ppb angestiegen. Fast ein Drittel des weltweiten chemischen Düngers geht in die Kraftfutterproduktion, mit rasch steigender Tendenz. Dagegen überwiegt laut der britischen Ökolandbauvereinigung Soil Association der Nutzen der Kohlenstoff-Sequestrierung durch Weidehaltung die Methan-Emissionen um 1.383 Tonnen CO2 je Hektar und Jahr. Zusätzliche Einsparungen durch die Nichtverwendung von Chemiedünger betragen 0.985 Tonnen CO2 je Hektar im Jahr.v
Kann die Fleisch- und Milchproduktion auf die Weidehaltung beschränkt werden? Kraftfutter ermöglicht überhaupt erst die hohen Tierzahlen auf dem Planeten. Die hohe Anzahl Nutztiere hat zu den gefährlich hohen Treibhausgasemissionen geführt, sie liegen sogar höher als die des Transportsektors. Die FAO erwartet zudem, dass die Zahl der Rinder von 1,6 Milliarden im Jahr 2000 auf 2,6 Milliarden in 2050 steigen wird.vi
Um die Fleisch- und Milcherzeugung bei Wiederkäuern auf Raufutter zu beschränken, müsste der globale Verbrauch gewaltig sinken. Der Gesundheit der Menschen würde das nützen: Etwa eine Milliarde Menschen mit Übergewicht essen durchschnittlich weitaus mehr tierische Produkte, als die UN-Ernährungsorganisation FAO bzw. die Weltgesundheitsorganisation WHO für gesund halten. Wahrscheinlich würden die Grundnahrungsmittelpreise sinken; davon könnten eine weitere Milliarde Menschen profitieren, die unzureichend ernährt sind. Im Gegensatz zur verbreiteten Vorstellung fehlen ihnen in ihrer Ernährung in erster Linie Energieträger und Mikronährstoffe, jedoch kaum tierische Proteine.
Grünland für Agrarkraftstoffe? Grünland ist besonders gefährdet durch “land grabbing”. Die Suche nach Land für Energiepflanzen konzentriert sich immer mehr auf Grünland. Es handelt sich oft um Gemeinschaftsland, die Gefahr von “land grabbing” ist darum groß. Während Regenwälder und Moore ihre Fürsprecher haben, kümmern sich nur wenige Umweltorganisationen um Grünland.
Im Süden: Der Cerrado in Brasilien und Paraguay ist eines der wildreichsten Grünland-Ökosysteme der Welt und ein Gebiet, das besonders durch Ausweitung der Anbauflächen bedroht ist. Mehr als 90.000 Insektenarten, 40.000 Pilzarten, 550 Vogelarten und 150 verschiedene Arten von Säugetieren wurden im Cerrado gezählt. Dennoch wird der Cerrado durch große Sojapflanzungen, Zuckerplantagen und Weiden zerstört. Eine Triebkraft für die Ausweitung des Anbaus von Zuckerrohr und Soja ist die Nachfrage nach Rohstoff für Bioethanol. Conservation International schätzt, dass der Cerrado im Jahr 2030 verschwunden sein wird, wenn der Verlust mit der gleichen Geschwindigkeit fortschreitet wie gegenwärtig.vii
Im Norden: Deutschland hat stark in die Entwicklung von Biogas aus Mais und Biodiesel als Rapsöl investiert. Selbst in Schutzgebieten wird laut NABU artenreiches Grünland umgepflügt, um Mais für Biogas anzubauen. Es wird viele Jahrzehnte dauern, bis die Einsparungen von Treibhausgasen durch Biogas die Emissionen kompensieren werden, die durch die Umwandlung des Landes entstehen – und der Verlust an Lebensraum für Wildtiere ist noch wesentlich schwieriger umzukehren. Die Umweltrisiken sind durch den Beitritt von zehn neuen Mitgliedsländern in Zentral- und Osteuropa zur Europäischen Union gestiegen. Diese Länder verfügen über eine reiche biologische Vielfalt, die durch die Intensivierung der Landwirtschaft und die Ausweitung der Anbauflächen gefährdet ist. Es gibt bereits Hinweise auf Konversion von Grünland in den neuen Mitgliedsstaaten.viii
Die EU will Land vor Energiepflanzenanbau schützen: Zur Umsetzung der Direktive 2009/28/EC über erneuerbare Energien hat die EU-Kommission im Juni 2010 Richtlinien erlassen. Darin hat sie Nachhaltigkeitskriterien für freiwillige Zertifikate von Agrarkraftstoffproduzenten formuliert; die Zertifikate müssen durch die EU-Kommission anerkannt werden. Sie sollen die Produktion und die Einfuhr von Agrarkraftstoffen aus bestimmten Gebieten verhindern.
Die EU ignoriert die hohen Kohlenstoff-Speicher des Grünlands. Diese Nachhaltigkeitskriterien schließen Wälder und Moore als Land mit hohen Kohlenstoff-Speichern ein, nicht aber Grünland. Die Richtlinien berücksichtigen Grünland nur im Zusammenhang mit Biodiversität, nicht als Kohlenstoff-Speicher. Zwar werden Kohlenstoffemissionen aus der Konversion mitgezählt, aber es ist keine Überprüfung vorgesehen. Die EU-Kommission beabsichtigt, noch in 2010 die Kriterien und geographischen Regionen festzulegen, um zu bestimmen, welches Grünland als biologisch vielfältig betrachtet werden kann und daher gegen den Anbau von Energiepflanzen geschützt werden muss. Dabei verwendet die EU-Kommission den umstrittenen Begriff “nicht-natürliches” biologisch vielfältiges Grünland.ix In der Entwurfsfassung umfasst “nicht-natürlich” alle Eingriffe durch Menschen und schließt auch Grünland, das als Weide genutzt wird, ein. Einige Umweltorganisationen haben gegen diese Definition argumentiert.
Schlussfolgerungen: Energiepflanzen konkurrieren mit Nutztieren um Grünland, zum doppelten Nachteil für das Klima. Erstens führt die Umwandlung von Grünland in Anbauflächen stets zu einem Verlust von Kohlenstoff aus dem Boden. Zweitens wird Grünland sowohl für Wild- als auch für Nutztiere als Weide benötigt. Immer mehr Tiere mit Kraftfutter zu füttern und in beengten Ställen unterzubringen, um dadurch mehr Land für den Anbau von Agrarkraftstoffen zu bekommen, schadet dem Klima trotz zahlreicher Versuche, diesen Schaden zu verringern. Ein großes Problem ist das Lachgas in der Atmosphäre, das vom Kunstdünger stammt, der in steigendem Umfang für die Erzeugung von Viehfutter und Energiepflanzen eingesetzt wird. Emissionen müssten durch eine geringere Produktion sowohl von Nutztieren als auch von Energie reduziert werden. Der Schutz des Grünlandes vor Umwandlung in Anpflanzungen für Agrarkraftstoffe ist dabei ganz zentral.
iWhite, R., Murray, S. and M. Rohweder. 2000. Pilot analysis of global ecosystems: In Grassland Ecosystems. WRI, Washington; Grace, J, San Jose, J, Meir, P., Miranda, H and R Montes. 2006. Productivity and carbon fluxes of tropical savannas. Journal of Biogeography 33: 387–400
ii Guo, L. and Gifford, R. 2002. Soil carbon stocks and land use change: a meta analysis. Global Change Biol. 8: 345–360.
iii FAO (2009) Grasslands: Enabling their Potential to Contribute to Greenhouse Gas Mitigation. Submission to UNFCCC
iv FAO (2010) Livestock in the balance. The State of Food and Agriculture 2009
v Soil Association (2010), The Role of Livestock in Sustainable Food Systems
viFAO (2010) Livestock in the balance. The State of Food and Agriculture 2009
vii RSPB A cool approach to biofuels, www.rspb.org.uk/biofuelsw.rspb.org.uk/biofuels
viii RSPB A cool approach to biofuels, www.rspb.org.uk/biofuelsw.rspb.org.uk/biofuels
ix Communication from the Commission on the practical implementation of the EU biofuels and bioliquids sustainability scheme and on counting rules for biofuels (2010/C 160/02). eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:160:0008:0016:EN:PDF