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Reportagen & Analysen

Der Griff nach dem Land - Literaturübersicht (Nr. 6/April 2013)

Vom Land grabbing zu Agrarkorridoren

von Uwe Hoering, April 2013

Wenn die wöchentliche Artikelsammlung auf farmlandgrab.org ein Indikator ist, dann geht das  Land grabbing immer weiter, wenn auch möglicherweise etwas langsamer: Die Zahl der Projekte sei nach dem Höhepunkt 2009 drastisch gesunken, verkündete das WorldWatch Institute ja bereits im vergangenen Jahr (Literaturübersicht Nr. 5). Teils haben wohl die breite öffentliche Kritik und der wachsende Widerstand bei Regierungen, Investoren  und Institutionen Spuren hinterlassen. Teils werden auch die wirtschaftlichen Risiken großer Agrarinvestitionen deutlich, was dazu geführt haben mag, dass der anfängliche Enthusiasmus gedämpft wurde. Und die Verlagerung des Interesses vieler Investoren auf Osteuropa und Zentralasien, wo sie teilweise von EU-Agrarhilfen und dem Marktzugang profitieren,  entzieht ihre Aktivitäten dem Blickfeld vieler entwicklungspolitischer Organisationen. Gleichzeitig verlagern sich die Auseinandersetzungen immer stärker auf die nationale Ebene beziehungsweise sogar „aufs Feld“ und liegen damit weitgehend unter dem Wahrnehmungshorizont der internationalen Debatte und Aufmerksamkeit. Damit wird es immer schwieriger, auch nur annähernd den Überblick zu behalten.

 

Hotspot Südostasien

Besonders in Südostasien scheint der Griff nach dem Land durch in- und ausländische Agrarinvestoren für die Produktion von Rohstoffen und Nahrungsmitteln eher noch zu eskalieren. Für Kambodscha, wo die Auseinandersetzung besonders gewaltförmig ist, steht mit Open Development Cambodia eine interaktive Online-Datenbank zur Verfügung, die aktuelle Informationen über Agrarinvestitionen aufbereitet. Die Daten und anschaulichen Karten machen nicht nur das ganze Ausmaß der Landnahme deutlich, sie können auch helfen, die Diskussion zwischen den unterschiedlichen Beteiligten auf eine Faktenbasis zu stellen.

Auch für Laos liegt mit „Concessions and Leases in the Lao PDR“ (1) seit Anfang des Jahres eine umfassende Bestandsaufnahme über die Landvergabe an in- und ausländische Investoren vor. In dem Bericht werden die verfügbaren Informationen über mehr als 2.600 Konzessionen und Verträge für insgesamt 1,1 Millionen Hektar, was fünf Prozent der Landfläche entspricht, aufgeschlüsselt. 72 Prozent der Verträge, deren Zahl zwischen 2000 und 2009 um das Fünfzigfache gestiegen ist, wurden mit ausländischen Investoren abgeschlossen, vor allem aus Vietnam, Thailand und China. Wie im Forstbereich, in dem drei Viertel der rund 300.000 Hektar für Kautschuk- und Eukalyptusplantagen genutzt werden, dominieren dabei Monokulturen. Die zahlreichen Schaubilder und Grafiken zeigen unter anderem die regionale Aufteilung des Landes unter den Investoren und die Konzentration an den 'Gunststandorten', während abgelegene, arme Regionen weitgehend gemieden werden.

Im benachbarten Myanmar wird mit der wirtschaftlichen und politischen Öffnung nicht nur das ganze Ausmaß bisheriger Landkonzessionen deutlich, hier hat anscheinend auch das Land grabbing eine weitere „golden opportunity“ gefunden, wie Fred Pearceberichtet. Auch hier geht die Vormarsch von mehr oder minder rücksichtlosen kommerziellen großen Landnahmen weiter, vorangetrieben vor allem durch Unternehmen aus den Nachbarländern in der Region.

 

Umfassende Trends und einzelne Länder

The „Global Farms Race“ (2) behauptet von sich, das erste Buch zu sein, „to examine this burgeoning trend in all its complexity, considering the implications for investors, host countries, and the world as a whole”. Autoren und Autorinnen aus Zivilgesellschaft und institutionellem und wissenschaftlichem Mainstream analysieren soziale, ökonomische, ökologische und wirtschaftliche Implikationen sowie regionale Perspektiven für Afrika, Asien, Lateinamerika und Central und Osteuropa.

Solche Bestandsaufnahmen werden  immer umfassender und komplexer – und bieten doch häufig nichts wesentlich Neues:

  • Die Hintergrundstudie„Trends in Foreign Direct Investment“ (3) wurde im Auftrag des Agrarministeriums (BMELV) für das Global Forum on Food and Agriculture (GFFA) im Januar 2013 in Berlin erstellt.
  • Auch der FAO-BerichtThe State of Food and Agriculture 2012“ (4) hat als Schwerpunkt die Agrarinvestitionen in Entwicklungsländern. Wenig überraschend, setzt er sich für eine wirksame Regulierung großflächiger Landaneignungen ein, deren Beitrag zur globalen Agrarproduktion im übrigen „marginal“ sei, und empfiehlt stattdessen, dass Regierungen die Investitionsmöglichkeiten für bäuerliche Betriebe verbessern sollten.
  • Sophia Murphy stellt in Land Grabs and Fragile Food Systems“ die Landnahmen in den Rahmen der Globalisierung (5), der Text  „Transnational land acquisitions“ liefert weitere Informationen über  die Rolle von Investmentfonds, indem er diesbezügliche Studien und Publikationen auswertet (6).
  • Auch der Umweltjournalist Fred Pearce nimmt mit „Land Grabbing“ den „globalen Kampf um Grund und Boden“ in den Blick (7). Ähnlich wie "Landraub" von Stefano Liberti (siehe Literaturübersicht Nr. 5) lebt das Buch vor allem von Reportagen und Interviews mit Investoren und Betroffenen, verzichtet dabei allerdings, anders als Liberti, weitgehend auf erklärende Hintergrundinformationen. Bei vielen Geschichten handelt es sich um bekannte und auch schon anderswo behandelte Fälle wie Äthiopien oder Südsudan, um das Yala-Feuchtgebiet in Kenia oder Sun Biofuels in Mosambik. Aber auch Lateinamerika und die Ukraine hat der Autor in den vergangenen Jahren bereist. Zudem befasst er sich recht ausführlich mit der Rolle chinesischer Unternehmen in Südostasien. Die Beschränkung auf Einzelfälle, Personen und Situationen macht die unterschiedlichen und lebendig beschriebenen Beispiele von Landnahme zwar anschaulich, löst sie aber auch heraus aus dem größeren Bild der Rolle der Agrarindustrie oder globaler Agrarpolitik. Da zudem Hinweise auf Gegenmaßnahmen oder gar Gegenwehr bis auf ein kurzes Schlusskapitel weitgehend fehlen, dominiert der Eindruck übler Machenschaften einzelner Investoren, Spekulanten und Regierungen.
  • „Investitionen in den Hunger?“ (8) schließlich bietet nach einer Bestandsaufnahme der Diskussion um Land Grabbing und Ernährungssicherheit zwei Fallstudien in Subsahara-Afrika (Äthiopien und Mosambik), wie sich der Zugang zu Nahrung verändert.

Zusätzlich  gibt es immer mehr Studien und Publikationen, die sich auf Land grabbing und den Auswirkungen in  einzelnen Ländern konzentrieren. Das Oakland-Institute hat bereits umfassende Studien über verschiedenen Ländern in Afrika (darunter Äthiopien, Mali und Sierra Leone) vorgelegt. Jetzt gibt es unter anderem einen Film zu Land grabbing in Papua New Guinea. Die Situation in Sierra Leone wird von mehreren Organisationen intensiv verfolgt, nicht zuletzt, weil dort mit Addax Bioenergy und Socfin große europäische Player aktiv sind. Weitere Länder sind Sambia mit Fallbeispielen zu Ferrostahl und Deutsche Bank (KASA, "Land ist Leben. Landrechte in Sambia"), Äthiopien und Mosambik, zu denen inzwischen eine Fülle an Material vorliegt.

Inzwischen gerät auch Land grabbing in Europa immer stärker in den Blick. Bauern in Brandenburg erleben seit längerem, dass Agrarinvestoren die Landpreise so hoch treiben, dass ihre eigenen Betriebe gefährdet sind. Ähnlich sind Agrarunternehmen in Osteuropa unterwegs, wo vielfach durch großflächige Ländereien, EU-Agrarförderung und Zugang zum europäischen Markt attraktive Bedingungen herrschen. Aber auch in Spanien, Italien, Frankreich und Österreich nimmt die Konzentration von Landbesitz zu, stellt der Bericht"Land Concentration, land grabbing and people's struggles in Europe" des Transnational Institute TNI fest (9). Die Landnahme in Europa sei demnach durchaus vergleichbar mit den Entwicklungen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Neben der Bestandsaufnahme werden in den Beiträgen auch der Widerstand und Perspektiven für Alternativen aufgezeigt.

 

Ausdifferenzierung

Auch thematisch differenzieren sich Literatur und Analyse immer weiter aus.

  • GRAIN beispielsweise weist mit „Land Grabbing for Biofuels Must Stop“ auf den nach wie vor wichtigen Einfluss der Energiepolitik, beispielsweise der Europäischen Beimischungsverordnung,  auf die Landnahme, auf die Vertreibung lokaler Bevölkerungen und den anhaltenden Hunger hin (February 22, 2013).
  • In einer weiteren aktuellen Publikation plus Diashow („Who’s Behind the Land Grabs?“) geht GRAIN der Frage nach, welche Personen eigentlich involviert sind im globalen Landgrab, eine Studie, die auch interessante Querverbindungen zwischen unterschiedlichen Institutionen und Unternehmen aufzeigt. Auch Oxfam ("Our Land, Our Lives") nimmt mit der Weltbankgruppe einen zentralen Akteur in den Blick, der nicht nur als Investor (International Finance Corporation, IFC) eine wichtige Rolle spielt, sondern auch die Landvergabe-Politik in vielen Ländern beeinflusst und versucht, mit den Prinzipien für "Verantwortungsbewusste Agrarinvestitionen" (RAI) die Standards für „verantwortliche Landnutzung“ zu drücken (Zur Kritik siehe Focus on the Global South). Oxfam forderte daher im  Oktober vergangenen Jahres die Weltbank zu einem Moratorium für großflächige Land-Akquisitionen auf, um mit einer Überprüfung ihrer Politik ein Zeichen für Investoren und Regierungen setzen.
  • Das Ausmaß der Rolle Chinas bei der globalen Landnahme ist bekanntlich umstritten, besonders in Afrika. Die Studie„Farmland and water: China invests abroad“ (10) des International Institute for Sustainable Development (iisd) bestätigt einmal mehr, dass sich Chinas Agrarinvestitionen in Asien konzentrieren. Von 86 gemeldeten chinesischen Agrarprojekten mit insgesamt mehr als neun Millionen Hektar konnten demnach nur 55 Vorhaben mit knapp fünf Millionen Hektar bestätigt werden können. Mehr als die Hälfte dieser Flächen liegt in Asien, über eine Million Hektar in Zentralasien, knapp zehn Prozent in Afrika, wo allerdings mehrere Großprojekte mit jeweils 100.000 Hektar und mehr in der Pipeline sein könnten. Während es bislang seinen steigenden Bedarf an Agrarrohstoffen auf dem Weltmarkt deckt, so die Studie, gehe China jetzt zunehmend zu Direktinvestitionen über.
  • Das „Handbook of Land and Water Grabs in Africa“ (11) beansprucht für sich, die erste umfassende Darstellung der Auswirkungen der ausländischen Investitionen in Afrika auf die Wasserressourcen zu sein. Für alle, die sich das Buch (210 US-Dollar), das auch als ebook verfügbar ist, nicht kaufen wollen: The Guardian hat einen ausführlichen Beitrag darüber.
  • Das Fracking Research Team von TNI stellt mit „Old Story, New Threat“ (pdf-Datei 377kb) den Zusammenhang zwischen Fracking, also der Erschließung von Schiefergas mit ihren katastrophalen Auswirkungen auf Wasserressourcen, und dem globalen Land grabbing her, ein Aspekt, der in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen könnte, da auch in Afrika das Potential für Fracking zu bestehen scheint und damit eine weitere Inwertsetzung von Land mit sich bringen wird. Der Text ist erschienen im Agrarian Justice programme des TNI, wo auch weitere Texte vorgelegt werden, beispielsweise „Competing political tendencies in global governance of land grabbing“ (December 2012) und "A 'Land Sovereignty' Alternative?Towards a Peoples' Counter-Enclosure" (September 2012).
  • Eine Studie für die Rights and Resources Initiative („The Financial Risks of Insecure Land Tenure: An Investment View“) analysiert fünf gescheiterte Projekte mit ausländischen Investoren, darunter der Schwedische Ethanolproduzent SEKAB, der in Tansania bis zu 400.000 Hektar gepachtet haben soll, und der malaysische Multi Sime Darby, der in Liberia 220.000 Hektar mit Ölpalmen bepflanzen wollte (12). Ursachen sieht der Report unter anderem in fehlender Transparenz und Legalität der Konzessionen, in Konflikten um Landnutzungsrechte bis hin zu Aufständen sowie in betriebswirtschaftlichen Faktoren.

 

Zeitschriften ...

Zudem verbreitert und vertieft sich die wissenschaftliche Diskussion und kritische Auseinandersetzung: Eine ganze Reihe von Zeitschriften haben in den vergangenen Momenten Schwerpunkthefte dazu herausgebracht:

  • Canadian Journal of Development Studies, Special issue:„Land grabbing in Latin America“. Vol. 33, No. 4, December 2012: Neue kommerzielle Agrarinvestitionen in Lateinamerika werden aus europäischer Perspektive kaum wahrgenommen, geschweige denn, dass sie in der Diskussion eine Rolle spielen. Dabei unterscheiden sie sich in vieler Hinsicht vom Land grabbing in Afrika und Südostasien. So dominiert hier Kapital aus der Region, während ausländische Investoren eher abgeblockt werden; es handelt sich nicht unbedingt um 'fragile Staaten', die von den Investoren bevorzugt werden; die Landkonzentration in Privatbesitz ist bereits hoch und rechtlich gesichert, weshalb  Transaktionen auch eher die Form eines 'ordentlichen', legitimierten Landerwerbs haben; und die Investoren bevorzugen 'multifunctional crops', Anbauprodukte wie Soja und Zuckerrohr, die je nach Marktlage als Nahrungsmittel, Viehfutter oder Energiepflanzen verwertet werden können. Die Beiträge sind Teil einer Studie der UN-Ernährungsorganisation FAO über Land grabbing in 17 Ländern Lateinamerikas und der Karibik und stehen bis Mai 2013 Dank der finanziellen Unterstützung des Transnational Institute als kostenlose Downloads zur Verfügung.
  • Globalizations, 10 (1) February 2013:  The special issue on „Land grabbing and global governance“ contains 14 articles: introductory essay, 8 original research articles and 5 review articles of transnational instruments to regulate land grabs. The issue analyses the recent global land rush from a global/transnational perspective and takes into account the ever greater flows of capital, goods, and ideas across borders and that these flows occur through axes of power that are far more polycentric than the North-South imperialist tradition. In addition, the special issue features contributions from scholars and global civil society activists engaged in the present global contests to regulate land grabs in an effort to co-produce and mobilize knowledge. The contribution of the articles in this collection to the broader scholarship on land grabbing is that it provides a framework for analysing land grabbing as concurrent struggle for control over local pieces of land and transnational regulatory institutions.  Einige Beiträge stehen vorübergehend als Downloads (pdf-Dateien) zur Verfügung.
  • Development and Change, Special Issue:"Governing the Global Land Grab: The Role of the State in the Rush for Land", ist im März erschienen (Volume 44, Issue 2, March 2013). Leider gibt es die Artikel, darunter ein Beitrag über chinesische Investitionen in Sengal und mehrere zu Lateinamerika, (bislang) nicht als Downloads.
  • Review of African Political Ecomomy. Volume 38, Issue 128, 2011: Unter der Fragestellung  „A New Wave of Accumulation by Dispossession in Africa?“, gibt es unter anderem einen Einleitungsbeitrag von Ruth Hall zu „Land grabbing in Southern Africa“ (pdf-Datei) und einen Beitrag von Saturnino M. Borras u.a., „The politics of agrofuels and mega-land and water deals: insights from the ProCana case, Mozambique", sowie weitere Beiträge über Mosambik (Privatisierung der Zuckerindustrie) und  Simbabwe (Umverteilung von Land, pdf-Datei).
  • Die Zeitschrift Feminist Economics kündigt für Juli 2013 eine Ausgabe zu Land, Gender, and Food Security an (Volume 19, No 3).

Bereits in Literaturüberblick Nr. 5 wurde auf weitere Zeitschriften hingewiesen:

  • So hat die  Ausgabe Juni 2012 der wissenschaftlichen Zeitschrift Water Alternativesden Schwerpunkt "Water Grabbing? Focus on the (re)appropriation of finite water resources". (13) Neben den zahlreichen Parallelen zum Land grabbing gibt es auch eine Reihe signifikanter Unterschiede aufgrund der besonderen Eigenschaften von Wasser und Wasserrechten, was die Analyse noch sehr viel komplexer macht als bei den relativ soliden und greifbaren Landfragen.
  • Einen besonderen, bislang kaum systematisierten Aspekt, „Green Grabbing“ getauft, behandelt eine Sonderausgabe des Journal of Peasant Studies (14). Untersucht werden Zusammenhänge zwischen ökologischen Maßnahmen wie 'Biokohle' oder 'Klima-smarter' Landwirtschaft, der Konvention über Biologische Vielfalt oder Ökotourismus und der Ent- und Aneignung von Land- und Wasserressourcen sowie die damit eingehenden Auswirkungen auf den Agrarbereich. Die 18 Beiträge können nach der Registrierung beim Verlag Taylor&Francis kostenlos herunterladen werden.
  • Eine weitere Ausgabe des Journal of Peasant Studies (The new enclosures) geht der Frage nach, wie sich die großflächigen Landnahmen auf Eigentums- und Arbeitsrechte, Arbeitsabläufe und Akkumulationsstrukturen auswirken (15). Diskutiert werden Kontinuitäten und Unterschiede zu früheren Phasen von Landnahmen, die Auseinandersetzung über Groß- oder Kleinunternehmen in der Landwirtschaft, die Mechanismen, die Land grabbing vorantreiben und die Argumente, mit denen sie gerechtfertigt werden, sowie die Widerstände und alternativen Ansätze, die sich herausbilden.

 

... und Konferenzen

Nach ihrer erfolgreichen Konferenz im April 2011 in Brighton hatte die Land Deal Politics Initiative an der Cornell University, Ithaca,  eine weitere Internationale Konferenz (17. bis 19. Oktober 2012) organisiert, um die aktionsorientierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der globalen Landnahme zu vertiefen und verbreitern. Hier geht es zu den Beiträgen.

Zudem bringt die Weltbank jedes Jahr im April bei der Konferenz 'Land and Poverty' Vertreter von Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, der Privatwirtschaft und der Entwicklungsarbeit zusammen, um aktuelle Themen rund um die Landfrage zu diskutieren. Viele Beiträge werden anschließend als pdf-Dateien auf der Website der Konferenz eingestellt, so auch die Beiträge der Konferenz vom vergangenen Jahr (23. bis 26. April 2012), die unter dem Titel 'Land governance in a rapidly changing environment' unter anderem über "innovative Ansätze" angesichts von Strukturwandel, wirtschaftlicher Transformation, Klimaveränderungen und steigender Nachfrage nach Ressourcen diskutierte. Viele der Beiträge behandelten Aspekte von Land grabbing wie Landnutzungsrechte, Probleme großflächiger Agrarinvestitionen oder Vertragslandwirtschaft.

 

Investitionen positiv wenden

Im Rückblick bekommt man den Eindruck, dass die Verabschiedung der Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure  im Mai vergangenen Jahres die Kontroverse entschärft hat oder gar einen Wendepunkt  darstellt – hin zu Überlegungen, wie sich Landnahmen regulieren lassen, beziehungsweise wie die Leitlinien genutzt und umgesetzt werden können. Mehrere Publikationen beschäftigen sich jetzt mit der Frage, wie „ein Schutzschirm“ gegen Risiken aus europäischen und deutschen Landinvestitionen in Entwicklungsländern aussehen kann – so Bettina Rudloff, "Kein schöner Land", September 2012.„Voluntary Guidelines“, ein ökumenisches Gemeinschaftswerk von Misereor und Brot für die Welt, fragt, wieweit sie „ein neues Werkzeug für Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen“ sein können (pdf-Datei), die Studie„Land Gabbing’ und Menschenrechte“ von Jochen von Bernstorff (16), der als völkerrechtlicher Berater der Bundesregierung an den Verhandlungen über die freiwilligen Leitlinien teilgenommen hat, geht der Frage nach, wie sie sich zu kontroversen Fragen der allgemeinen Land Grabbing-Debatte verhalten und welche menschenrechtlichen Grenzen sie für große Investitionsprojekte formulieren (pdf-Datei 500kb).

Skeptischer hinsichtlich der Regulierungsmöglichkeiten durch die Leitlinien das Diskussionspapier des Transnational Institute, TNI, das aktuelle Aspekte der Diskussion um Land grabbing und mögliche Perspektiven von Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen aufzeigt. Ein Überblick über die im Mai vom UN-Komitee für Ernährungssicherheit, CFS, verabschiedeten "Freiwilligen Richtlinien" fragt nach deren "Potenzialen und Herausforderungen für die Umsetzung".

Neben der Regulierung durch freiwillige Richtlinien und Gesetze entwickeln sich immer stärker die Vertragslandwirtschaft und „inklusive Geschäftsmodelle“ zum scheinbaren Königsweg, um Interessen von Investoren und einen Nutzen für kleinbäuerliche Landwirtschaft zu vereinbaren. So auch in einer neuen Studie der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, erschienen im November 2012: Großflächige Agrarinvestitionen, bei denen lokale Bevölkerungen vertrieben werden, "sollten vermieden werden", heißt es in "Trends and Impacts of Foreign Investment in Developing Country Agriculture" (17). Unterschiedliche "Geschäftsmodelle" in neun Ländern werden analysiert, darunter sechs in Afrika sowie in Thailand, Kambodscha und Brasilien. Unter anderem stellt der Bericht fest, dass die negativen Auswirkungen kaum durch neue Arbeitsplätze auf Plantagen kompensiert werden. Als Lösung plädiert er daher für eine Vertragslandwirtschaft: Investitionen, die lokalen Bauern eine aktive Rolle einräumen und ihnen die Kontrolle über ihr Land belassen, hätten die positivsten wirtschaftlichen und sozialen Ergebnisse. 

 

Neue Themen

Mit der Studie „Seized!“ und dem politischen Kampfbegriff ‚Landgrab’ hatte GRAIN im Oktober 2008 den Anstoß für eine Diskussion und Mobilisierung gegeben, bei der weit über die üblichen Verdächtigen wie beispielsweise Agrarsubventionen und -exporte der EU hinaus die Aufmerksamkeit auf die Landwirtschaft, auf die aktuellen Entwicklungen und Umbrüche im globalen Agrarbereich gelenkt wurde. Ein weiterer Anstoß war natürlich der Preisanstieg für Nahrungsmittel, die Proteste, die Börsenspekulation mit Nahrung. Agrar- und Ernährungspolitik sind inzwischen nicht nur auf der internationalen Politikebene von Vereinten Nationen, G8 oder OECD zum Topthema avanciert, sondern auch für zivilgesellschaftliche Gruppen, soziale Bewegungen und Verbraucher.

Das ist auch die Gelegenheit, dass andere Problembereiche und Veränderungen im Agrarbereich über Landnahme und Finanzspekulation hinaus zunehmend wieder in den Blick geraten:

Ungleiche Landverteilung:  In vielen Ländern konzentriert sich seit Jahrzehnten der Landbesitz in den Händen eine kleinen Schicht von Grundbesitzern, die teils riesige Ländereien als Privatbesitz haben. Die damit einhergehenden Konflikte sind weitaus älter (und gewaltförmiger) als die Debatte um Land grabbing.

Boden- und Agrarreformen: Auch Land- und Agrarreformen sind seit langem ein zentrales Thema der Agrardebatte, die sich allerdings in den letzten Jahren weitgehend auf engere Zirkel und einige Bewegungen wie MST in Brasilien beschränkte. Dabei geht es um sehr viel mehr als um gesicherte Landnutzungsrechte und freiwillige Leitlinien für deren Reform. Die Auseinandersetzung um die erzwungene Landumverteilung in Simbabwe (Siehe Oxfamblogs) ist ein Zeichen, dass beispielsweise im Südlichen Afrika die Frage nach wie vor virulent ist.

Die Analyse der neuen sozio-ökomische Verhältnisse, die durch die Umwälzungen im Agrarbereich entstehen, steht noch am Anfang: Landlose Tagelöhner, Vertragsbauern in unterschiedlichsten Vertragsverhältnissen und Plantagenarbeiter, die zunehmend in die Produktionsprozesse einbezogen werden, die durch die Konzerne der Ernährungs- und Agrarindustrie bestimmt werden, können auch eine grundlegende Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse im ländlichen Bereich bedeuten.

Neue Allianzen: Die New Alliance for Food Security and Nutrition, die US-Präsident Barack Obama im Mai 2012 aus der Taufe hob, ist der Prototyp einer neuen engen Kooperation von Regierungen, staatlichen (und zunehmend auch zivilgesellschaftlichen) Entwicklungsorganisationen, Stiftungen und Agrarindustrie, die unter anderem in Afrika die Entwicklungen im Agrarbereich strategisch angehen und dominieren. Sie werden in der nächsten Zeit ein stärkerer Schwerpunkt von Globe-spotting sein - ein erstes Beispiel dafür ist der aktuelle Beitrag „Zivile Kanonenbootpolitik“ über landwirtschaftliche Entwicklungskorridore in Afrika.

 

(1) Oliver Schönweger, u.a., Concessions and Leases in the Lao PDR: Taking Stock of Land Investments. Bern and Vientiane (Centre for Development and Environment, CDE, University of Bern) 2012. Link (pdf-Datei 8,5mb)

(2) Michael Kugelman; Susan L. Levenstein, TheGlobal Farms Race. Land Grabs, Agricultural Investment, and the Scramble for Food Security. October 2012 (Island Press Books)

(3) Christine Heumesser; Erwin Schmid, Trends in Foreign Direct Investment in the Agricultural Sector of Developing and Transition Countries: A Review. Vienna, July 2012 (Universität für Bodenkultur Wien). Link

(4) FAO: The State of Food and Agriculture 2012. Rome November 2012. Link 

(5) Sophia Murphy, Land Grabs and Fragile Food Systems. The Role of Globalisation. February 2013 (IATP). Link 

(6) Joseph Holden; Margarethe Pagel, Transnational land acquisitions. What are the drivers, levels, and destinations, of recent transnational land acquisition? January 2013 (Overseas Development Institute, u.a.). Link

(7) Fred Pearce, Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden. München (Antje Kunstmann) 2012

(8) Daniela Kress, Investitionen in den Hunger? Land Grabbing und Ernährungssicherheit in Subsahara-Afrika. 2012 (Springer VS)

(9) European Coordination Via Campesina; Hands off the Land network, Land concentration, land grabbing and people's struggles in Europe. April 2013 (TNI). Link 

(10) Carin Smaller, Wei Qiu, Yalan Liu,  Farmland and Water: China invests abroad, IISD, 2012. Link 

(11) Handbook of Land and Water Grabs in Africa. Foreign direct investment and food and water security. Edited by John Anthony Allan, Martin Keulertz, Suvi Sojamo, Jeroen Warner. August 2012 (Routledge)

(12) Rights and Resources Initiative, The Financial Risks of Insecure Land Tenure: An Investment View. By The Munden Project, December 2012. Link 

(13) Water grabbing? Focus on the (re)appropriation of finite water resources. In: Water Alternatives, Special Issue, Volume 5 / Issue 2. Alle Beiträge stehen als Download (pdf) zur Verfügung.

(14) Green grabbing: a new appropriation of nature? In: Journal of Peasant Studies, Volume 9, Issue No. 2 special issue. Kostenloser Download nach Registrierung

(15) The new enclosures: critical perspectives on corporate land deals. In: Journal of Peasant Studies, Volume 39, Numbers 3-4, July-October 2012. Link zum Download von einigen Beiträgen.

(16) ‚Land Gabbing’ und Menschenrechte: die FAO Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure, (INEF, 11/2012) von Jochen von Bernstorff. Link (pdf-Datei 500kb)

(17) FAO, Trends and Impacts of Foreign Investment in Developing Country Agriculture. November 2012 (Studie)

 

Siehe auch: Der Griff nach dem Land

Literaturübersicht Nr. 5/Juli 2012

Literaturübersicht Nr. 4/April 2012

Literaturübersicht Nr. 3/März 2011

Literaturübersicht Nr. 2/November 2010

Literaturübersicht Nr. 1/September 2010