Vom Land grabbing zu Agrarkorridoren
von Uwe Hoering, April 2013
Wenn die wöchentliche Artikelsammlung auf farmlandgrab.org ein Indikator ist, dann geht das Land grabbing immer weiter, wenn auch möglicherweise etwas langsamer: Die Zahl der Projekte sei nach dem Höhepunkt 2009 drastisch gesunken, verkündete das WorldWatch Institute ja bereits im vergangenen Jahr (Literaturübersicht Nr. 5). Teils haben wohl die breite öffentliche Kritik und der wachsende Widerstand bei Regierungen, Investoren und Institutionen Spuren hinterlassen. Teils werden auch die wirtschaftlichen Risiken großer Agrarinvestitionen deutlich, was dazu geführt haben mag, dass der anfängliche Enthusiasmus gedämpft wurde. Und die Verlagerung des Interesses vieler Investoren auf Osteuropa und Zentralasien, wo sie teilweise von EU-Agrarhilfen und dem Marktzugang profitieren, entzieht ihre Aktivitäten dem Blickfeld vieler entwicklungspolitischer Organisationen. Gleichzeitig verlagern sich die Auseinandersetzungen immer stärker auf die nationale Ebene beziehungsweise sogar „aufs Feld“ und liegen damit weitgehend unter dem Wahrnehmungshorizont der internationalen Debatte und Aufmerksamkeit. Damit wird es immer schwieriger, auch nur annähernd den Überblick zu behalten.
Hotspot Südostasien
Besonders in Südostasien scheint der Griff nach dem Land durch in- und ausländische Agrarinvestoren für die Produktion von Rohstoffen und Nahrungsmitteln eher noch zu eskalieren. Für Kambodscha, wo die Auseinandersetzung besonders gewaltförmig ist, steht mit Open Development Cambodia eine interaktive Online-Datenbank zur Verfügung, die aktuelle Informationen über Agrarinvestitionen aufbereitet. Die Daten und anschaulichen Karten machen nicht nur das ganze Ausmaß der Landnahme deutlich, sie können auch helfen, die Diskussion zwischen den unterschiedlichen Beteiligten auf eine Faktenbasis zu stellen.
Auch für Laos liegt mit „Concessions and Leases in the Lao PDR“ (1) seit Anfang des Jahres eine umfassende Bestandsaufnahme über die Landvergabe an in- und ausländische Investoren vor. In dem Bericht werden die verfügbaren Informationen über mehr als 2.600 Konzessionen und Verträge für insgesamt 1,1 Millionen Hektar, was fünf Prozent der Landfläche entspricht, aufgeschlüsselt. 72 Prozent der Verträge, deren Zahl zwischen 2000 und 2009 um das Fünfzigfache gestiegen ist, wurden mit ausländischen Investoren abgeschlossen, vor allem aus Vietnam, Thailand und China. Wie im Forstbereich, in dem drei Viertel der rund 300.000 Hektar für Kautschuk- und Eukalyptusplantagen genutzt werden, dominieren dabei Monokulturen. Die zahlreichen Schaubilder und Grafiken zeigen unter anderem die regionale Aufteilung des Landes unter den Investoren und die Konzentration an den 'Gunststandorten', während abgelegene, arme Regionen weitgehend gemieden werden.
Im benachbarten Myanmar wird mit der wirtschaftlichen und politischen Öffnung nicht nur das ganze Ausmaß bisheriger Landkonzessionen deutlich, hier hat anscheinend auch das Land grabbing eine weitere „golden opportunity“ gefunden, wie Fred Pearceberichtet. Auch hier geht die Vormarsch von mehr oder minder rücksichtlosen kommerziellen großen Landnahmen weiter, vorangetrieben vor allem durch Unternehmen aus den Nachbarländern in der Region.
Umfassende Trends und einzelne Länder
The „Global Farms Race“ (2) behauptet von sich, das erste Buch zu sein, „to examine this burgeoning trend in all its complexity, considering the implications for investors, host countries, and the world as a whole”. Autoren und Autorinnen aus Zivilgesellschaft und institutionellem und wissenschaftlichem Mainstream analysieren soziale, ökonomische, ökologische und wirtschaftliche Implikationen sowie regionale Perspektiven für Afrika, Asien, Lateinamerika und Central und Osteuropa.
Solche Bestandsaufnahmen werden immer umfassender und komplexer – und bieten doch häufig nichts wesentlich Neues:
Zusätzlich gibt es immer mehr Studien und Publikationen, die sich auf Land grabbing und den Auswirkungen in einzelnen Ländern konzentrieren. Das Oakland-Institute hat bereits umfassende Studien über verschiedenen Ländern in Afrika (darunter Äthiopien, Mali und Sierra Leone) vorgelegt. Jetzt gibt es unter anderem einen Film zu Land grabbing in Papua New Guinea. Die Situation in Sierra Leone wird von mehreren Organisationen intensiv verfolgt, nicht zuletzt, weil dort mit Addax Bioenergy und Socfin große europäische Player aktiv sind. Weitere Länder sind Sambia mit Fallbeispielen zu Ferrostahl und Deutsche Bank (KASA, "Land ist Leben. Landrechte in Sambia"), Äthiopien und Mosambik, zu denen inzwischen eine Fülle an Material vorliegt.
Inzwischen gerät auch Land grabbing in Europa immer stärker in den Blick. Bauern in Brandenburg erleben seit längerem, dass Agrarinvestoren die Landpreise so hoch treiben, dass ihre eigenen Betriebe gefährdet sind. Ähnlich sind Agrarunternehmen in Osteuropa unterwegs, wo vielfach durch großflächige Ländereien, EU-Agrarförderung und Zugang zum europäischen Markt attraktive Bedingungen herrschen. Aber auch in Spanien, Italien, Frankreich und Österreich nimmt die Konzentration von Landbesitz zu, stellt der Bericht"Land Concentration, land grabbing and people's struggles in Europe" des Transnational Institute TNI fest (9). Die Landnahme in Europa sei demnach durchaus vergleichbar mit den Entwicklungen in Afrika, Asien und Lateinamerika. Neben der Bestandsaufnahme werden in den Beiträgen auch der Widerstand und Perspektiven für Alternativen aufgezeigt.
Ausdifferenzierung
Auch thematisch differenzieren sich Literatur und Analyse immer weiter aus.
Zeitschriften ...
Zudem verbreitert und vertieft sich die wissenschaftliche Diskussion und kritische Auseinandersetzung: Eine ganze Reihe von Zeitschriften haben in den vergangenen Momenten Schwerpunkthefte dazu herausgebracht:
Bereits in Literaturüberblick Nr. 5 wurde auf weitere Zeitschriften hingewiesen:
... und Konferenzen
Nach ihrer erfolgreichen Konferenz im April 2011 in Brighton hatte die Land Deal Politics Initiative an der Cornell University, Ithaca, eine weitere Internationale Konferenz (17. bis 19. Oktober 2012) organisiert, um die aktionsorientierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der globalen Landnahme zu vertiefen und verbreitern. Hier geht es zu den Beiträgen.
Zudem bringt die Weltbank jedes Jahr im April bei der Konferenz 'Land and Poverty' Vertreter von Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, der Privatwirtschaft und der Entwicklungsarbeit zusammen, um aktuelle Themen rund um die Landfrage zu diskutieren. Viele Beiträge werden anschließend als pdf-Dateien auf der Website der Konferenz eingestellt, so auch die Beiträge der Konferenz vom vergangenen Jahr (23. bis 26. April 2012), die unter dem Titel 'Land governance in a rapidly changing environment' unter anderem über "innovative Ansätze" angesichts von Strukturwandel, wirtschaftlicher Transformation, Klimaveränderungen und steigender Nachfrage nach Ressourcen diskutierte. Viele der Beiträge behandelten Aspekte von Land grabbing wie Landnutzungsrechte, Probleme großflächiger Agrarinvestitionen oder Vertragslandwirtschaft.
Investitionen positiv wenden
Im Rückblick bekommt man den Eindruck, dass die Verabschiedung der Voluntary Guidelines on Responsible Governance of Tenure im Mai vergangenen Jahres die Kontroverse entschärft hat oder gar einen Wendepunkt darstellt – hin zu Überlegungen, wie sich Landnahmen regulieren lassen, beziehungsweise wie die Leitlinien genutzt und umgesetzt werden können. Mehrere Publikationen beschäftigen sich jetzt mit der Frage, wie „ein Schutzschirm“ gegen Risiken aus europäischen und deutschen Landinvestitionen in Entwicklungsländern aussehen kann – so Bettina Rudloff, "Kein schöner Land", September 2012.„Voluntary Guidelines“, ein ökumenisches Gemeinschaftswerk von Misereor und Brot für die Welt, fragt, wieweit sie „ein neues Werkzeug für Regierungen und zivilgesellschaftliche Organisationen“ sein können (pdf-Datei), die Studie„Land Gabbing’ und Menschenrechte“ von Jochen von Bernstorff (16), der als völkerrechtlicher Berater der Bundesregierung an den Verhandlungen über die freiwilligen Leitlinien teilgenommen hat, geht der Frage nach, wie sie sich zu kontroversen Fragen der allgemeinen Land Grabbing-Debatte verhalten und welche menschenrechtlichen Grenzen sie für große Investitionsprojekte formulieren (pdf-Datei 500kb).
Skeptischer hinsichtlich der Regulierungsmöglichkeiten durch die Leitlinien das Diskussionspapier des Transnational Institute, TNI, das aktuelle Aspekte der Diskussion um Land grabbing und mögliche Perspektiven von Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen aufzeigt. Ein Überblick über die im Mai vom UN-Komitee für Ernährungssicherheit, CFS, verabschiedeten "Freiwilligen Richtlinien" fragt nach deren "Potenzialen und Herausforderungen für die Umsetzung".
Neben der Regulierung durch freiwillige Richtlinien und Gesetze entwickeln sich immer stärker die Vertragslandwirtschaft und „inklusive Geschäftsmodelle“ zum scheinbaren Königsweg, um Interessen von Investoren und einen Nutzen für kleinbäuerliche Landwirtschaft zu vereinbaren. So auch in einer neuen Studie der UN-Landwirtschaftsorganisation FAO, erschienen im November 2012: Großflächige Agrarinvestitionen, bei denen lokale Bevölkerungen vertrieben werden, "sollten vermieden werden", heißt es in "Trends and Impacts of Foreign Investment in Developing Country Agriculture" (17). Unterschiedliche "Geschäftsmodelle" in neun Ländern werden analysiert, darunter sechs in Afrika sowie in Thailand, Kambodscha und Brasilien. Unter anderem stellt der Bericht fest, dass die negativen Auswirkungen kaum durch neue Arbeitsplätze auf Plantagen kompensiert werden. Als Lösung plädiert er daher für eine Vertragslandwirtschaft: Investitionen, die lokalen Bauern eine aktive Rolle einräumen und ihnen die Kontrolle über ihr Land belassen, hätten die positivsten wirtschaftlichen und sozialen Ergebnisse.
Neue Themen
Mit der Studie „Seized!“ und dem politischen Kampfbegriff ‚Landgrab’ hatte GRAIN im Oktober 2008 den Anstoß für eine Diskussion und Mobilisierung gegeben, bei der weit über die üblichen Verdächtigen wie beispielsweise Agrarsubventionen und -exporte der EU hinaus die Aufmerksamkeit auf die Landwirtschaft, auf die aktuellen Entwicklungen und Umbrüche im globalen Agrarbereich gelenkt wurde. Ein weiterer Anstoß war natürlich der Preisanstieg für Nahrungsmittel, die Proteste, die Börsenspekulation mit Nahrung. Agrar- und Ernährungspolitik sind inzwischen nicht nur auf der internationalen Politikebene von Vereinten Nationen, G8 oder OECD zum Topthema avanciert, sondern auch für zivilgesellschaftliche Gruppen, soziale Bewegungen und Verbraucher.
Das ist auch die Gelegenheit, dass andere Problembereiche und Veränderungen im Agrarbereich über Landnahme und Finanzspekulation hinaus zunehmend wieder in den Blick geraten:
Ungleiche Landverteilung: In vielen Ländern konzentriert sich seit Jahrzehnten der Landbesitz in den Händen eine kleinen Schicht von Grundbesitzern, die teils riesige Ländereien als Privatbesitz haben. Die damit einhergehenden Konflikte sind weitaus älter (und gewaltförmiger) als die Debatte um Land grabbing.
Boden- und Agrarreformen: Auch Land- und Agrarreformen sind seit langem ein zentrales Thema der Agrardebatte, die sich allerdings in den letzten Jahren weitgehend auf engere Zirkel und einige Bewegungen wie MST in Brasilien beschränkte. Dabei geht es um sehr viel mehr als um gesicherte Landnutzungsrechte und freiwillige Leitlinien für deren Reform. Die Auseinandersetzung um die erzwungene Landumverteilung in Simbabwe (Siehe Oxfamblogs) ist ein Zeichen, dass beispielsweise im Südlichen Afrika die Frage nach wie vor virulent ist.
Die Analyse der neuen sozio-ökomische Verhältnisse, die durch die Umwälzungen im Agrarbereich entstehen, steht noch am Anfang: Landlose Tagelöhner, Vertragsbauern in unterschiedlichsten Vertragsverhältnissen und Plantagenarbeiter, die zunehmend in die Produktionsprozesse einbezogen werden, die durch die Konzerne der Ernährungs- und Agrarindustrie bestimmt werden, können auch eine grundlegende Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse im ländlichen Bereich bedeuten.
Neue Allianzen: Die New Alliance for Food Security and Nutrition, die US-Präsident Barack Obama im Mai 2012 aus der Taufe hob, ist der Prototyp einer neuen engen Kooperation von Regierungen, staatlichen (und zunehmend auch zivilgesellschaftlichen) Entwicklungsorganisationen, Stiftungen und Agrarindustrie, die unter anderem in Afrika die Entwicklungen im Agrarbereich strategisch angehen und dominieren. Sie werden in der nächsten Zeit ein stärkerer Schwerpunkt von Globe-spotting sein - ein erstes Beispiel dafür ist der aktuelle Beitrag „Zivile Kanonenbootpolitik“ über landwirtschaftliche Entwicklungskorridore in Afrika.
(1) Oliver Schönweger, u.a., Concessions and Leases in the Lao PDR: Taking Stock of Land Investments. Bern and Vientiane (Centre for Development and Environment, CDE, University of Bern) 2012. Link (pdf-Datei 8,5mb)
(2) Michael Kugelman; Susan L. Levenstein, TheGlobal Farms Race. Land Grabs, Agricultural Investment, and the Scramble for Food Security. October 2012 (Island Press Books)
(3) Christine Heumesser; Erwin Schmid, Trends in Foreign Direct Investment in the Agricultural Sector of Developing and Transition Countries: A Review. Vienna, July 2012 (Universität für Bodenkultur Wien). Link
(4) FAO: The State of Food and Agriculture 2012. Rome November 2012. Link
(5) Sophia Murphy, Land Grabs and Fragile Food Systems. The Role of Globalisation. February 2013 (IATP). Link
(6) Joseph Holden; Margarethe Pagel, Transnational land acquisitions. What are the drivers, levels, and destinations, of recent transnational land acquisition? January 2013 (Overseas Development Institute, u.a.). Link
(7) Fred Pearce, Land Grabbing. Der globale Kampf um Grund und Boden. München (Antje Kunstmann) 2012
(8) Daniela Kress, Investitionen in den Hunger? Land Grabbing und Ernährungssicherheit in Subsahara-Afrika. 2012 (Springer VS)
(9) European Coordination Via Campesina; Hands off the Land network, Land concentration, land grabbing and people's struggles in Europe. April 2013 (TNI). Link
(10) Carin Smaller, Wei Qiu, Yalan Liu, Farmland and Water: China invests abroad, IISD, 2012. Link
(11) Handbook of Land and Water Grabs in Africa. Foreign direct investment and food and water security. Edited by John Anthony Allan, Martin Keulertz, Suvi Sojamo, Jeroen Warner. August 2012 (Routledge)
(12) Rights and Resources Initiative, The Financial Risks of Insecure Land Tenure: An Investment View. By The Munden Project, December 2012. Link
(13) Water grabbing? Focus on the (re)appropriation of finite water resources. In: Water Alternatives, Special Issue, Volume 5 / Issue 2. Alle Beiträge stehen als Download (pdf) zur Verfügung.
(14) Green grabbing: a new appropriation of nature? In: Journal of Peasant Studies, Volume 9, Issue No. 2 special issue. Kostenloser Download nach Registrierung
(15) The new enclosures: critical perspectives on corporate land deals. In: Journal of Peasant Studies, Volume 39, Numbers 3-4, July-October 2012. Link zum Download von einigen Beiträgen.
(16) ‚Land Gabbing’ und Menschenrechte: die FAO Voluntary Guidelines on the Responsible Governance of Tenure, (INEF, 11/2012) von Jochen von Bernstorff. Link (pdf-Datei 500kb)
(17) FAO, Trends and Impacts of Foreign Investment in Developing Country Agriculture. November 2012 (Studie)
Siehe auch: Der Griff nach dem Land
Literaturübersicht Nr. 5/Juli 2012
Literaturübersicht Nr. 4/April 2012
Literaturübersicht Nr. 3/März 2011
Literaturübersicht Nr. 2/November 2010
Literaturübersicht Nr. 1/September 2010