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Aus Landräubern werden keine Entwicklungshelfer

Während das Ausmaß von „land grabbing“ durch ausländische Investoren zunimmt, gibt es Vorstöße einiger Regierungen und internationaler Institutionen wie der Weltbank, einen Verhaltenskodex auszuhandeln mit einer Reihe von Grundsätzen, die die Landnahmen von einer Bedrohung in eine Chance für ländliche Entwicklung und Armutsminderung verwandeln sollen. Dazu ein Kommentar vonSaturnino Borras Jr. undJennifer Franco:

Dieser Vorschlag einer win-win-Formel als Antwort auf den globalen Run auf Land hat eine Reihe problematischer Aspekte, die Zweifel und Besorgnis wecken sollten.

Erstens stehen Vorschläge für einen solchen Verhaltenskodex notwendigerweise im Kontext des bestehenden globalen industriellen Nahrungsmittel- und Energie-Systems und versuchen, es zu erhalten oder auszuweiten.

Zweitens geht mit den Vorschlägen die Auffassung einher, es gäbe „ungenutztes Land“, kombiniert mit der Vorstellung, das agro-industrielle System werde eine positive Rolle dabei spielen, degradiertes Land zu retten, marginales Land besser zu nutzen und Brachland zum Leben zu erwecken. Diese Annahme ist gründlich irreführend, weil darunter alles Land verstanden wird, das noch nicht durch das agro-industrielle System mit Beschlag belegt ist.

Drittens argumentieren die Fürsprecher solcher Leitlinien, dass ohne klare Eigentumsrechte an Land (die normalerweise als individuelle und private Rechte verstanden werden) das Risiko einer „Enteignung“ sehr hoch sei. Genau das gleiche Argument wird seit Jahren für die Privatisierung der verbliebenen Commons und die Formalisierung von Landrechten, die weltweit auf öffentliches Land abzielen, verwendet.

Viertens ist die Unterstellung, dass formalisierte und transparente Transaktionen zwischen „Stakeholdern“ die Lösung für die gegenwärtigen land grab-Probleme wären und damit negative Auswirkungen der Mega-Landgeschäfte zu verhindern seien, nur teilweise zutreffend. Transparenz ist nicht das Gleiche wie Rechenschaftspflicht, und transparente Transaktionen garantieren nicht notwendig Rechenschaftspflicht, erst recht nicht gegenüber armen „Stakeholdern“.

Fünftens ist ein wesentliches Element von Vereinbarungen über einen Verhaltenskodex die Freiwilligkeit. Verstöße sind schwer nachzuweisen, und Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen ist unmöglich. Selbst bei formaler Einhaltung von Prinzipien wie der informierten Zustimmung durch die Betroffenen (free, prior and informed consent, FPIC) werden diese Prinzipien in der Praxis selten beachtet und umgesetzt, und um sicher zu stellen, dass sie es werden, wären viel politische Kraft, Zeit und Ressourcen erforderlich.

Sechstens ist ein Schlüsselkonzept von Leitlinien die „Partnerschaft“. Aber diese Vorstellung von Partnerschaft beruht normalerweise auf einer entpolitisierten und unrealistischen Auffassung der Beziehungen zwischen verschiedenen Akteuren, bei der leicht gegensätzliche Interessen ausgeblendet werden und versucht wird, sie als gleich stark zu betrachten. Doch diese Vorstellung, die kaum der Realität entspricht, führt sehr wahrscheinlich dazu, dass die Armen am Ende die Verlierer sind.

Kurz gesagt: Ein wesentlicher Bestandteil der Vorschläge für Verhaltensregeln ist der unkritische Glaube daran, dass formalistische und legalistische Verfahren wie eindeutigere Verträge, klare und gesicherte Eigentumsverhältnisse, transparente Verhandlungen, FPIC und Partnerschaft zwischen Staat und Zivilgesellschaft grundsätzlich gut seien. Jedes einzelne Element ist für sich genommen nicht unbedingt falsch und kann, abhängig vom Kontext, durchaus seine Vorzüge haben. Aber keines ist von sich aus geeignet zu garantieren, dass ein Ergebnis wirklich den Armen nützt.

Der Vorschlag, auf die Landnahme mit einem Verhaltenskodex zu antworten, lenkt davon ab, die eigentlichen Ursachen zu hinterfragen, also die bestehenden industriellen Produktions- und Konsumtionsmuster für Nahrung und Energie, die durch Multinationale Konzerne kontrolliert werden, und sich stattdessen auf die problematische Vorstellung eines win-win-Szenarios zu konzentrieren. Nach unserer Auffassung sind Verhaltensregeln denn auch eher dazu angetan, weiteres land grabbing zu fördern, anstatt es zu blockieren. Sie sollten deshalb nicht in Erwägung gezogen werden, nicht einmal als zweitbeste Lösung. Wir halten die Landnahme nicht für unausweichlich, sie kann verhindert werden. Und es sollten gemeinsame Anstrengungen unternommen werden, sie zu stoppen.

Um Ergebnisse zu erreichen, bei denen wirklich die Interessen der Armen im Vordergrund stehen, wäre ein Menschenrechts-Ansatz erforderlich, wozu gehört, das Recht auf Nahrung und das Recht auf Land ernst zu nehmen. Zwei zentrale Aspekte dabei sind der Schutz oder die Umverteilung von Reichtum, der durch die Verfügung über Land entsteht, zugunsten der Armen sowie die Übertragung politischer, auf dem Landbesitz gründender Macht.

Ein Menschenrechts-Ansatz stellt notwendigerweise das vorherrschende Muster der Produktion und Konsumtion von Nahrung und Energie, das die globale Landübernahme durch Investoren antreibt, in Frage, verknüpft seine Analyse mit der Dynamik von Machtbeziehungen unterschiedlicher Klassen und Gruppen in den betroffenen Gemeinschaften und lehnt Vertreibung/Enteignung ebenso ab wie die benachteiligende Einbeziehung von Armen in die neuen agro-industriellen Nahrungs- und Energie-Enklaven im Globalen Süden. Diese umfassende Herangehensweise unterscheidet sich grundlegend vom Verhaltenskodex-Ansatz, der stark durch Unternehmen kontrolliert wird und profitorientiert ist, und legt die Messlatte für die Bewertung von Verfahrensweisen und ihre Ergebnisse hoch. Wenn die Menschenrechte ernst genommen werden, könnten sie als eine Grundlage für eine radikale Kritik der Verhaltenskodex-Position dienen und eine Antwort auf den globalen land grab darstellen, die weitaus mehr Gewicht hat und wirklich im Interesse der Armen ist. (6.200 Zeichen)

Übersetzung: Uwe Hoering

Siehe ausführlich: „From Threat to Opportunity? Problems with the Idea of a „Code of Conduct“ for Land-Grabbing, a Comment by Saturnino Borras Jr. and Jennifer Franco, in: Yale Human Rights & Development Law Journal, Vol 13, 2010, pp 507-523. Download (externer link, pdf, 165 kb)

Siehe auch Thema Agrarkolonialismus: "Die neue Landnahme - Eine Entwicklungschance?", von Uwe Hoering