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Gastbeitrag

Vogelgrippe als Steigbügelhalter für Genfleisch

Ein Kommentar von Uwe Hoering, Januar 2011


Die Vogelgrippe ist zwar momentan nicht mehr gefährlich virulent, aber wohl jeder erinnert sich noch an sie, an die Bilder von Millionen Hühnern, notgeschlachtet und verbrannt, Fanale einer aus den Fugen geratenen Massentierhaltung, die nach verbreiteter Expertenauffassung Brutstätte für die Vogelgrippe war, so wie zuvor für BSE und danach für die Schweinegrippe. Besonders schockierend aber war der Umstand, dass die Bedrohung vom Federvieh auf den Menschen überspringen kann, dass ein banales Konsumgut menschliches Leben massenhaft gefährden, dass ein Virus die Schranke zwischen dienender Kreatur und Krone der Schöpfung nieder reißen, die Trennlinie löchrig machen kann.

Mit diesen Pandemie-Ängsten operieren jetzt die Gentechnologie-Forscher der Universitäten Cambridge und Edinburgh: Stolz melden sie Erfolge bei der genetischen Veränderung von Hühnern, durch die angeblich die Übertragung der Vogelgrippe dauerhaft und über Generationen hinweg verhindert werden kann, sowohl von Tier zu Tier, als auch auf den Menschen – nach ihren Worten nichts weniger als ein „Durchbruch“ beim Schutz von Tieren gegen Virusinfektionen überhaupt.

Wie und ob das überhaupt funktioniert und nicht, wie so oft, nur hochfliegende Versprechungen sind, mögen die Wissenschaftler ausdiskutieren. Auch die Risiken der Gentechnologie sollen hier einmal nicht aufgezählt werden. Hier geht es vielmehr darum, dass Ängste und Gesundheitssorgen skrupellos ausgeschlachtet werden, um die Gentechnologie einen Schritt weiter in die Nahrungsmittelkette zu drücken. Beteiligte Forscher äußern ganz unverhohlen die Hoffnung, dass das Misstrauen der Verbraucher gegen ihre Gen-Hühner dadurch schwinden wird, dass es sich in diesem „speziellen Fall klar und deutlich um einen Nutzen für das Wohlergehen der Tiere wie für die menschliche Gesundheit handelt“, wie die Financial Times Laurence Tilney von der Universität Cambridge zitiert. Und dessen Kollegin Helen Sang von der Universität Edinburgh setzt noch einen drauf mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit, eine wachsende Weltbevölkerung mit preiswerten Nahrungsmitteln zu versorgen. So verkauft sich die Genforschung nicht nur als menschen-, sondern auch als tierfreundlich, flankiert durch die obligate Beruhigung der Verbraucher, Gen-Hühner und ihre Eier könnten unbesorgt verzehrt werden. Diese Anbiederung will weniger die Gegner der Gentechnologie oder die der Massentierhaltung überzeugen, sondern die öffentliche Meinung auf Genfleisch einstimmen.

Im gleichen Atemzug bietet sich die Forschung an als Retter der Industrie: ihre Technologie habe das Potenzial, die Nahrungsmittelproduktion zu steigern und die Kosten zu senken. Dabei bedrohen bereits jetzt Überkapazitäten die Existenzbedingungen einheimischer Hühnerhalter, oft Frauen, in anderen Ländern. Anstatt also die katastrophalen Produktionsbedingungen in der industriellen Massentierhaltung oder den weltumspannenden Geflügelhandel, die ursächlich sind für die Probleme, zu ändern und stattdessen ökologische Haltungsmethoden und eine Beschränkung auf lokale Märkte voranzubringen, hält einmal mehr die Heilsbotschaft Technologie als Problemlösung her – damit die Industrie munter so weiter machen kann wie bisher. „Weiter so“ bis zur nächsten Katastrophe.