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Gastbeitrag

Industrie kümmert sich um die Weltmeere

Von Uwe Hoering, Juli 2012

Eine der vielen Erwartungen, die von Seiten umwelt- und entwicklungspolitischer Organisationen auf den UN-Gipfel Rio+20 Mitte Juni in Brasiliens Metropole gerichtet wurden, war die, dass Entscheidungen zum Schutz der Weltmeere voran kommen würden. Denn Verschmutzung und Überfischung stellen über den Verlust der biologischen Vielfalt hinaus auch eine ernste Bedrohung für die traditionelle küstennahe Fischerei einerseits, die Perspektiven der weltweit operierenden Fischindustrie andererseits und damit für Ernährung, Einkommen und Gewinne zahlreicher Stakeholders dar. Der Schutz der Ozeane ist also durchaus ein zentrales Thema für eine Nachhaltigkeits-Konferenz. Während es für territoriale Gewässer mittlerweile einige Regelungen gibt, die Regierungen erlauben,  so etwas wie eine nationale Souveränität über die Küstengewässer umzusetzen, fehlt für die Ozeane als einem der letzten globalen Gemeinschaftsgüter solche Regulierung weitgehend, sieht man mal von internationalen Regelungen für die Schifffahrt wie dem Seerechtsabkommen UNCLOS ab. Ohne Global Governance herrscht hier noch das Recht der Freibeuter.

Ähnlich wie bei den meisten anderen Themen wurden auch diese Erwartungen an Rio+20 enttäuscht. Zwar sieht beispielsweise der WWF einige positive Ansätze wie die Verpflichtung, bei der Durchführung von Maßnahmen mit Auswirkungen auf die Meeresumwelt einen Ökosystem-Ansatz zu verwenden. Insgesamt bleiben jedoch die Formulierungen, um die Regierungen in die Pflicht zu nehmen, vage, etwa beim Subventionsabbau oder der Umsetzungsvereinbarung für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt außerhalb der staatlichen Hoheitsgebiete. Wirksame Maßnahmen werden damit auf die lange Bank geschoben. Andere Kommentare klingen noch frustrierter.

 

Globale Partnerschaft

Andererseits zeigte Rio+20, dass sich im Bereich der Meeres-Governance einiges bewegt – wenn auch nicht unbedingt im Rahmen des UN-Systems: Ein Beispiel dafür ist die „Globale Partnerschaft für die Weltmeere“, die unter Führung der Weltbank ins Leben gerufen wurde. Neben zahlreichen Mainstream-Umweltorganisationen vor allem aus den USA ist daran auch der World Ocean Councilbeteiligt, ein Zusammenschluss von Unternehmen, die ökonomische Interesse sehr unterschiedlicher Reichweite haben – von Nachschub an Fisch bis hin zu Offshore-Windfarmen, Tourismus, Schifffahrt und Erdöl, Erdgas oder Tiefsee-Bergbau. Der selbsternannte „Weltrat für die Ozeane“ versteht sich als „Augen, Ohren und Stimme der verantwortungsbewussten Geschäfts-Community“ und vertrat die Privatwirtschaft unter anderem bereits im fünfköpfigen Expertengremium des UN-Generalsekretärs zu Ozeanen.

Was in Rio neben den Problemen Verschmutzung und Überfischung in der öffentlichen Wahrnehmung ziemlich unterging, waren die Bestrebungen zur profitableren Inwertsetzung der Weltmeere – „Putting an Economic Value on the Oceans“ - beispielsweise von Seiten der Weltbank. Auch in der Green Economy a la UN-Umweltprogramm UNEP sind die Ozeane ein zentrales Thema, nämlich die wirtschaftlichen Perspektiven von Tourismus, Tiefsee-Bergbau und erneuerbaren Energien wie Offshore-Windparks. In ihrem BerichtGreen Economy in a Blue World“ überträgt sie ihr Lieblingsthema vom Grünem Wachstum auf die Weltmeere: „What if we could take better care of the world’s marine ecosystems and boost the global economy in the process?“

Dass sich Weltbank, Industrie und einzelne UN-Organisationen nun plötzlich so intensiv für die Weltmeere interessieren, hat wohl weniger mit den Umweltproblemen, als mit den zukünftigen wirtschaftlichen Interessen zu tun – und den Risiken, die für Investitionen entstehen können. Die Vermutung ist nicht von der Hand zu weisen, dass es Weltbank und Konsorten bei ihrem Einsatz nicht nur um Fische und Umwelt geht, sondern auch um die Ressourcen, die auf dem Meeresboden und darunter schlummern. Hier stecken mächtige Stakeholders ihre Claims ab. So rangeln die Anrainerstaaten rund um die Arktis bereits um Ausbeutungsrechte, in Fernost führen die Auseinandersetzungen um die Ressourcen bereits zu militärischen Konfrontationen.

Diese Seite der Medaille wurde in Rio allerdings weitgehend ausgeblendet und trat hinter dem Nachhaltigkeitsdiskurs zurück. Der dient Weltbank und Industrie dazu, sich zu positionieren und frühzeitig mit Expertise, Programmen und Lobbyorganisationen selbst Einfluss zu nehmen auf die zukünftigen Governance-Strukturen. Der World Ocean Council  beispielsweise, der nicht müde wird, die „Corporate Ocean Responsibility“ zu betonen, sieht seine zentrale Aufgabe darin, „to focus on the global policy and regulatory framework of ocean sustainability issues as the most valuable strategy for a cross-section of ocean industries“.

Während Umwelt- und Entwicklungsorganisationen sich noch - zugespitzt formuliert - um Wale und Plastikmüll sorgen, hat sich die Industrie längst aufgestellt, um gemeinsam mit multilateralen Finanzinstitutionen ihre eigenen Regelungen für die Weltmeere voranzubringen, versehen mit dem Zuckerguss der Corporate Responsibility. Dass das dann auch im Interesse von Umwelt und sozial gerechter Entwicklung sein wird, kann man glauben – aber auch bezweifeln.