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Erfolge und Probleme ländlicher Entwicklung

Landwirtschaft in China: Zwischen Selbstversorgung und Weltmarktintegration, Dezember 2010

Wirtschaftlich ist China innerhalb von weniger als drei Jahrzehnten in die Weltspitze vorgestoßen – mit zweistelligen Wachstumsraten, seinem Aufstieg zum Exportweltmeister, mit Billionen US-Dollar und Euro an Devisenbeständen und einem wachsenden Engagement chinesischer Unternehmen im Ausland. Chinas Megastädte gleichen längst den Metropolen der Welt, ja, scheinen sie sogar zu überflügeln.

Dahinter und jenseits davon ist China aber auch immer noch ein Agrarland. Historisch bewusste Menschen erinnern sich vielleicht noch an Mao Zedong und die Bauernbewegungen, die die Revolution trugen, an den sogenannten „Großen Sprung“, als Ende der 1950er Jahre bei einem ersten Industrialisierungs-Versuch Millionen Menschen auf dem Land verhungerten. Oder an die Kulturrevolution, als eine ganze Generation städtischer Jugendlicher zwecks Umerziehung in die Dörfer geschickt wurde, um von den Bauern zu lernen, wie ein neues China aufgebaut werden kann.

Seit drei Jahrzehnten erfährt das ländliche China jedoch nur noch wenig Aufmerksamkeit aus dem Ausland. Stattdessen dominieren angesichts des Aufschwungs zur einer der mächtigsten Industriemächte Faszination einerseits, Ängste andererseits. Doch lange bevor die exportorientierte Industrialisierung Schlagzeilen machte, bevor Chinas Wirtschaft sich zu immer neuen Höhenflügen aufschwang und die Hochhauswälder in den Himmel wuchsen, wurde Ende der 1970er Jahre in der Landwirtschaft als erste der „Vier Modernisierungen“ die Abkehr von Maoismus, Produktionsbrigaden, Volkskommunen und Kollektiven vollzogen und die Einübung marktwirtschaftlicher Mechanismen, privatwirtschaftlichen Unternehmertums und individueller Bereicherung ausprobiert.

Auch diese Entwicklung war ausgesprochen erfolgreich: Die Agrarproduktion wuchs im Schnitt um fünf Prozent jährlich, das Land kann sich und seine inzwischen 1,3 Milliarden Einwohner weitgehend selbst ernähren. Gleichzeitig exportiert es immer mehr landwirtschaftliche Produkte, chinesische Agrarunternehmen investieren in Afrika, Brasilien und Australien. Doch es zeigen sich zunehmend auch Grenzen des Wachstums. Land und Wasser für weitere Produktionssteigerungen werden knapp, Umweltschäden beeinträchtigen die Landwirtschaft, Millionen Menschen sind auf der Suche nach Arbeit in die Megastädte abgewandert. Die Einkommens- und Entwicklungsunterschiede zwischen dem städtischen und dem ländlichen China, wo es in manchen Regionen im Landesinneren kaum anders aussieht als in ländlichen Afrika oder Indien, sind gewaltig.

Mag die wirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft, deren Anteil auf rund zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesunken ist, inzwischen vergleichsweise gering sein - ihr soziales und innenpolitisches Gewicht ist nach wie vor groß. Die Hälfte der Bevölkerung hat ihren Wohnsitz auf dem Land, 40 Prozent der Beschäftigten leben in den ländlichen Regionen. Die wachsende Wohlstandskluft, Umweltschäden durch Industrialisierung und immer größere Schwierigkeiten vieler Familienbetriebe, von der Landwirtschaft zu leben, haben zudem ein Konfliktpotenzial geschaffen, das sich immer häufiger in Demonstrationen, Protesten und Konfrontationen artikuliert: Vor fünf Jahren vermeldete das Ministerium für Öffentliche Sicherheit 87.000 „Zwischenfälle durch große Gruppen“, die meisten in den ländlichen Regionen. Damit sind die „Drei ländlichen Problemfelder“ (San nong wenti) - die landwirtschaftliche Entwicklung, die ländlichen Regionen und die ländliche Bevölkerung – wieder stärker in den Fokus der Politik gerückt.

Auch global wächst die Bedeutung des Agrarbereichs. Nicht nur Chinas Hunger nach Erdöl oder Dünger beginnt, weltweite Auswirkungen zu zeigen, sondern auch die Nachfrage nach Agrarprodukten. Bedeutet das bei uns höhere Preise, wenn die Nachfrage in China nach Getreide, Milch oder Fleisch steigt? Wie dramatisch sind die Auswirkungen für ärmere Länder und Menschen, die für ihre Grundversorgung auf Importe angewiesen sind? Die Agrarpolitik in China hat auch direkte Auswirkungen auf andere Länder, etwa durch Land grabbing und Off shore-farming. Und die Agrarproduktion in China trägt einen größer werdenden Teil zum Klimawandel bei, besonders durch die zunehmende industrielle Tierhaltung.

Diese weitgehend unbekannte Seite der Erfolge von Chinas Entwicklung und ihre möglichen Probleme und Auswirkungen beleuchtet diese Publikation. Was wurde erreicht? Und wie wurde es erreicht? Wo steht Chinas Landwirtschaft heute? Und was bedeutet das für die Zukunft? Schafft zum Beispiel die Gentechnologie für Nahrungsmittel in China ihren Durchbruch? Wächst die Konkurrenz für Europas Landwirtschaft, ähnlich wie bereits für Europas Industrien und die dort Beschäftigten?

Besonderes Interesse gilt dabei der Frage, welche Rolle zivilgesellschaftliche Organisationen, Bauernvereinigungen oder Verbrauchergruppen und Umweltschützer spielen. Zahlreiche Entwicklungen, Zusammenhänge und Debatten sind in Europa und in China ähnlich. Dazu gehören nicht zuletzt die Gefährdungen durch die industrielle Landwirtschaft oder die Suche nach alternativen, nachhaltigen Entwicklungskonzepten. Aber es gibt auch Ansatzpunkte gemeinsamer Interessen und Anliegen, etwa bei der Agro-Gentechnologie. Eine wichtige Schnittstelle ist auch die Reform der europäischen Agrarpolitik (GAP). „Global Europe“ im Agrarbereich und eine zunehmend aggressive Exportorientierung von Europas Agrarindustrie hat nicht nur für Bauern und Verbraucher in Europa Konsequenzen, sondern auch in China. Ein Erfahrungsaustausch kann hier nur hilfreich sein kann. Diese Publikation will einige der möglichen Bereiche und Ansatzpunkte dafür ausloten.

Aus dem Inhalt:

Teil 1: Die Landwirtschaft als Versuchsfeld für Reformen

Teil 2: Konfliktfeld ländlicher Raum

Teil 3: Ernährungssicherheit - sichere Ernährung

Teil 4: Chinas Landwirtschaft global

Teil 5: Interessenvertretung von Bauern und Verbrauchern

Teil 6: Zusammenfassung

Landwirtschaft in China: Zwischen Selbstversorgung und Weltmarktintegration. Herausgegeben von der Asienstiftung und dem Netzwerk "EU-China: Civil Society Forum", Dezember 2010. 40 Seiten, Preis: 5 Euro. Bestellung bei: vertrieb (at) asienhaus.de. Download als pdf-Datei (1,9mb). Auch in englisch.