Globe Spotting

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Reportagen & Analysen

Januar 2014: Rückblick, Ausblick

Zu Neujahr gehören die Rückblicke auf Ereignisse und Entwicklungen des vergangenen Jahres, die für wichtig erachtet werden, und der Versuch, vorausschauend mögliche Themen und Schwerpunkte zu benennen. Wie sieht das für Globe-spotting anlässlich des Jahreswechsels 2013 zu 2014 aus?

In den vergangenen Jahren bildete die Auseinandersetzung um ‚Land grabbing’ einen Schwerpunkt auf Globe-spotting. In einem SPECIAL wurden Meldungen, Kommentare und Hinweise auf Veranstaltungen, Literatur und Akteure zusammengestellt. Seit den ersten Postings vom Juni 2009 ist eine breite und kontroverse Diskussion in Gang gekommen, die inzwischen in vielen unterschiedlichen Foren weitergeführt wird. Der politische Kampfbegriff Land grabbing hat nicht nur erfolgreich in der Öffentlichkeit die Aufmerksamkeit auf die Probleme großflächiger Agrarinvestitionen und die häufig damit einhergehende Enteignung von Land, Wasser und anderen Ressourcen der lokalen Bevölkerungen gelenkt. Er hat in Wissenschaft und Politik zu einer Wiederbelebung der agrarpolitischen Auseinandersetzung beigetragen, die entwicklungspolitischen Zivilgesellschaften und Bauernbewegungen mobilisiert und die Frage, "Welche Landwirtschaft wollen wir?", aus dem Kreis der Experten in eine breite Öffentlichkeit transportiert.

 

Jenseits von Land grabbing

Nach wie vor  gibt es auf farmlandgrab.org zahlreiche Postings zu Landnahme durch in- und ausländische Investoren und deren Auswirkungen. Eine Reihe von Organisationen wie Oakland Institute, FIAN und GRAIN arbeiten weiterhin engagiert zum Thema und decken gravierende Fälle von Enteignung und Vertreibung auf wie beispielsweise in Papua-Neuguinea, Sierra Leone und Äthiopien. Mehrere Datenbanken versuchen, den Überblick zu behalten – oder überhaupt erst einmal herzustellen. Und die Flut von Büchern, Zeitschriftenaufsätzen, Broschüren, Analysen und Forschungsprojekten und inzwischen auch einigen Filmen ist dem letzten Literatur-Update 27. April 2013 weiter gestiegen.

Weiterhin gibt es massive Landnahmen durch in- und ausländische Agrarinvestoren und Finanzspekulanten, wie ein Blick auf den aktuellen Stand der Land Matrix zeigt: Die interaktive Datenbank erfasst gegenwärtig 933 abgeschlossene Verträge über Agrarvorhaben mit einer Fläche von insgesamt knapp 35 Millionen Hektar.

Diese aktuellen Zahlen bestätigen, dass dabei nach wie vor die USA mit rund 7 Millionen Hektar führend sind, gefolgt von Malaysia, den Arabischen Emiraten und Großbritannien. China rangiert lediglich auf Rang 10 mit 1,3 Millionen Hektar. Zwar bleibt  Afrika das vorrangige Ziel: Von den sieben afrikanischen Ländern, in denen die größten Deals mit zusammen über 13 Millionen Hektar registriert wurden, sind allerdings zwei – Süd-Sudan und die Demokratische Republik Congo, DRC - mit 3,5 Millionen bzw. 2,7 Millionen Hektar nicht gerade Regionen, in denen günstige Investitionsvoraussetzungen für ernsthafte Investoren bestehen dürften; die weiteren fünf Länder – Mosambik, Liberia, Sierra Leone, Sudan und Äthiopien - bringen zusammen 6,8 Millionen Hektar auf den kommerziellen Landmarkt. Aber auch Asien ist mit Papua-Neuguinea (3,8 Millionen Hektar) und Indonesien (3,5 Millionen Hektar) ein zunehmend  wichtiger Schwerpunkt – neben Kambodscha, Laos und neuerdings Myanmar.

Das ist zwar viel, aber die Zahlen scheinen eher zu stagnieren. Es werden nur noch 180 Vorhaben mit einer Fläche von 14 Millionen Hektar erfasst, bei denen ein Interesse artikuliert wurde oder Verhandlungen laufen. Interessant auch, dass nach dem Informationsstand von Land Matrix nur 50 Vorhaben gescheitert sind, bei lediglich 26 Abkommen wurden die Verträge aufgekündigt. Unter dem notwendigen Vorbehalt, dass solche Zahlen nur einen Ausschnitt wiedergeben (Siehe "Transparenz-Übung mit Land-Matrix"), können sie dennoch dahingehend interpretiert werden, dass der Widerstand von Regierungen und/oder betroffenen Bevölkerungsgruppen nicht stark genug ist, um Land grabbing zu verhindern.

Während der erste Ansturm, so möchte man angesichts dieser Zahlen meinen, vorbei zu sein scheint, hat sich das Themenspektrum deutlich erweitert: Auf die Rolle von kommerziellen Investoren aus dem Agrar- und Ernährungsbereich, die Auswirkungen der Agrarenergie-Politik, die Entwicklungsperspektiven der bäuerlichen Landwirtschaft, die Funktion von internationalen Finanzinstitutionen und Stiftungen dabei und die Perspektiven für Ernährungssicherheit und Ernährungssouveränität.

 

Neue Themen

Dabei kristallisieren sich eine Reihe neuer Konfliktfelder heraus, bei denen eine Bearbeitung und Positionierung für die entwicklungspolitischen Zivilgesellschaften und Bewegungen wichtig wird:

  • Die weltweite industrielle Fleischproduktion wird bereits zunehmend problematisiert und skandalisiert. Hier verknüpfen sich Verbraucherinteressen (Gesunde Nahrung, ethische Tierhaltung, ‚Meine Landwirtschaft’) mit Landnutzung, Produktionsbedingungen und Handelsfragen im globalen Maßstab, eine Argumentation, die auch für andere Themen wie Gentechnologie oder Agrartreibstoffe tragfähig sind.
  • Die Vertragslandwirtschaft wird intensiv von Agrarindustrie, Regierungen und Entwicklungsunternehmen vorangetrieben und ist mangels der Förderung von Alternativen durchaus attraktiv für viele bäuerliche Betriebe. Die Spaltungen innerhalb der bäuerlichen Landwirtschaft (Siehe 'Drei Welten' der Landwirtschaft) und die Entstehung neuer bäuerlicher Mittelschichten und eventuell von weiteren selbstbewussten Bauernorganisationen verdienen mehr Aufmerksamkeit.
  • Das gleiche gilt für den großen Bereich der Plantagenlandwirtschaft, der neben der Hoffnung auf die Familienlandwirtschaft kaum ins Blick der Zivilgesellschaften gerät. Dabei gibt es durch die Ausweitung der Saisonarbeit, die Beschäftigung von Frauen oder die Verdrängung von Familienbetrieben zahlreiche Anknüpfungspunkte sowie neue Aktionspartner durch Organisationen von ArbeiterInnen. Eine Antwort ist die Ausweitung des Rechtsansatz durch die von FIAN und La Via Campesina angestoßene Erarbeitung einer internationalen Konvention, um die Rechte bäuerlicher Bevölkerungen und anderer Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten, zu verankern.
  • Die Ernährungskrise hat den Lobbyisten der  Gentechnologie Aufwind verschafft. Während in Europa und einigen anderen Ländern eine verbreitete Ablehnung besteht, versuchen die Konzerne sozusagen durch die Hintertür, diese Bastion zu unterlaufen. Afrika ist dabei ein Feld, auf dem anscheinend mehr und mehr Erfolge erzielt werden, die Akzeptanz und den Einsatz gentechnisch veränderter Agrarprodukte einschließlich Nahrungsmitteln voranzutreiben. Beispiele dafür sind das NEWEST Rice Project, das Plädoyer des einflussreichen International Food Policy Research InstituteIFPRI für Agrar-Gentechnologie in Afrika (Oktober 2013), die scheibchenweise Zulassung von Gentechnologie in Afrika (8. Oktober 2013) oder die Verleihung eines „Welternährungspreises“ an Wissenschaftler und Führungspersonal  von Gentech-Konzernen wie Monsanto und Syngenta.

 

Diskurshoheit

Während die Agrar- und Ernährungsindustrie im Konsum- und im Umweltbereich angesichts von Lebensmittelskandalen, Tierhaltung oder Nahrungsmittelvernichtung durch Verbraucher, Umwelt- und Agrarbewegungen und -organisationen inzwischen erheblich unter Druck geraten ist, ist es ihr, unterstützt durch internationale Entwicklungsorganisationen, Stiftungen und Geber gelungen, bei der agrarindustriellen Produktionsweise selbst ein Stück weit die Diskurshoheit und die Initiative beim Agenda setting zurückzugewinnen. Die Kritik und die Forderung nach einer grundlegenden Agrarwende sieht sich mit viel versprechenden neuen Unternehmenskonzepten, finanziellen Zusagen der Geber für eine bäuerliche Landwirtschaft, Partizipationsangeboten und freiwilligen Richtlinien konfrontiert, die ihre Anliegen eine Entwicklung bäuerlicher Landwirtschaft aufzunehmen scheinen.

Ohne Hungeraufstände und breite Proteste gegen Land grabbing und gegen die zunehmende Verdrängung bäuerlicher Produktionsweisen in der Landwirtschaft im globalen Süden hat die umfassende Diskussion über Ernährungssicherheit, die Landfrage und damit über die Zukunft im Agrarbereich  in der öffentlichen Aufmerksamkeitskonkurrenz mit Klimawandel, Freihandelsabkommen oder Bergbau an Boden verloren. Die massiven, oftmals überzogenen Warnungen vor der Ernährungskrise haben ihre Schuldigkeit getan, den Vormarsch der Agrar- und Ernährungsindustrie zu legitimieren. Dass sich dieser Diskurs wieder dadurch verschieben lässt, dass die Vereinten Nationen 2014 zum Internationalen Jahr der Familienlandwirtschaft ausgerufen haben, ist zu bezweifeln.

Der gleiche Eindruck entsteht bei dem zweiten wichtigen Geländegewinn bei der Diskurshoheit, den die entwicklungspolitischen Zivilgesellschaften und Bauernorganisationen in der vergangenen Jahren gemacht hatten: Der Begriff der Ernährungssouveränität hat es zwar in die Diskussion und teils in nationale Verfassungen geschafft. Doch gibt es wenig Anhaltspunkte, dass er sich dauerhaft in politischer Programmatik oder gar politischer Strategiebildung niederschlägt, sondern sich verkürzt in Anläufen wie beispielsweise dem Versuch erschöpft, durch Importrestriktionen die einheimische bäuerliche Landwirtschaft zu schützen.  Wichtig für die weitere Entwicklung ist hier sicher der „kritische Dialog über Ernährungssouveränität“, den zahlreiche renommierte aktionsorientierte Wissenschaftler und Institutionen angestoßen haben (Siehe Blog-Beitrag, September 2013)

 

BRICS & Co

Mit Brasilien, Indien und China, die alle laut Land Matrix zu den Top Ten der ausländischen Agrarinvestoren gehören, mit Südafrika und einigen kleineren Ländern wie Thailand und Vietnam sind zudem neue Akteure im globalen Agrarbereich aktiv geworden, die der Agrar- und Ernährungsindustrie der Industrieländer zunehmend Konkurrenz um Agrarprodukte, Land und Absatzmärkte machen. Brasilien ist nicht nur zu einem der größten Agrarexporteure aufgestiegen, sondern ist  beispielsweise in Mosambik und anderen afrikanischen Ländern dabei, sich in großem Stil an der industriellen Landgewinnung zu beteiligen. Indien, das sich bei der jüngsten WTO-Konferenz im Dezember 2013 in Bali als Champion nationaler Ernährungssicherheit und dem Recht auf Nahrung profilierte, versucht sich auf dem Exportmarkt für Getreide, indische Unternehmen liegen laut Land Matrix mit 74 Verträgen über 2 Millionen Hektar noch vor Brasilien und China.

Während China als Agrarinvestor vor allem in Südostasien und Pazifik aktiv ist und dort die Präsenz im Agrarbereich anscheinend immer weiter zunimmt, wird das Land  - wenn die Börsenauguren recht behalten - im kommenden Jahr in steigendem Umfang Agrarprodukte auf dem Weltmarkt einkaufen. Nach Soja und Baumwolle, Fleisch und Milchprodukten könnte es sich dabei zunehmend auch um Grundnahrungsmittel wie Weizen und Mais handeln. Innenpolitisch wird die Situation, das Ziel einer Selbstversorgung zumindest bei wichtigen Grundnahrungsmitteln zu halten, immer prekärer, die ‚rote Linie’ bei der Erhaltung von Agrarland scheint immer schwer zu halten. Das könnte nicht nur weitere Reformen bei der brisanten Frage des Eigentums an Land vorantreiben, für die es bereits zahlreiche Pilotprojekte gibt. Es fördert auch die Konzentration und die Ausweitung der Agrarindustrie, auch und besonders im Bereich der industriellen Tierhaltung und Fleischproduktion. Der wachsende Konsum trägt im Inland zudem zur Konkurrenz zwischen Aquakultur und Landwirtschaft bei, auf den Weltmeeren zur Ausweitung der industriellen Fangflotte und illegalen Fängen, womit sich die Konkurrenz um die verbliebenen Fischbestände verschärft.

 

PPP

Mit der New Alliance for Food Security and Nutrition der G8 unter der Führung der USA und der deutschen Kopie einer German Food Partnership gibt es Anzeichen für eine qualitativ und quantitativ neue Zusammenarbeit von Regierungen, Konzernen, Wissenschaft und Stiftungen, in die zunehmend auch zivilgesellschaftliche Organisationen eingebunden werden, besonders im angelsächsischen Bereich. Kühne Vorhaben dieser Allianzen und Partnerschaften sind unter anderem landwirtschaftliche Entwicklungskorridore wie ProSavanna in Mosambik oder SAGCOT in Tansania.

Legitimatorische Kraftübungen durch New Speak wie ‚Nachhaltige Intensivierung’, ‚Klima-smarte Landwirtschaft’, eine ‚Einbeziehung von Kleinbauern in Wertschöpfungsketten’, Versprechungen von Transparenz und Rechenschaftspflicht, verantwortlichen Investitionen und Investoren haben zahlreiche Ansätze alternativer Entwicklungsdiskurse aufgenommen, integriert und auf die Interessen und Strategien der Agrarindustrie umdefiniert. Ob sich alle diese Vorstellungen allerdings verwirklichen lassen werden und die damit verbunden Versprechungen einer nachhaltigen Landwirtschaft und landwirtschaftlichen Entwicklung eingelöst werden können, ist bei genauerem Hinsehen mehr als fraglich. Das gilt besonders in Afrika, das gegenüber anderen Regionen (Lateinamerika, Südostasien) durchaus noch weniger attraktiv für Investoren ist.

Dennoch werden öffentliche Entwicklungsgelder in zunehmendem Umfang für die Förderung von Investitionsbedingungen für private Unternehmen in den Ländern des globalen Südens eingesetzt. Die staatliche Entwicklungspolitik und die regierungsnahen, zunehmend kommerzialisierten Durchführungsorganisationen fungieren mehr und mehr als politische Steigbügelhalter, um Investitionsvoraussetzungen wie rechtliche Regelungen, staatliche institutionelle Kapazitäten und den Abbau von Handelshindernissen durch Handels- und Investitionsabkommen voranzutreiben. Eine Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft gerät damit ins Hintertreffen oder bleibt zivilgesellschaftlichen Entwicklungsorganisationen überlassen.

 

Hydraulische Infrastruktur

Diese Wiederbelebung des Konzepts einer arbeitsteiliger Kooperation von Privatwirtschaft und Staat zeigt sich auch in anderen Bereichen wie beispielsweise dem Wassersektor: Zwar gab es unter anderem das erfolgreiche Referendum in Europa für die Stärkung öffentlicher Versorgung - doch weltweit setzen beispielsweise Internationale Finanzierungsinstitutionen wie die Weltbank, ihre Schwesterinstitution, die International Finance Corporation, die Afrikanische und die Asiatische Entwicklungsbank im auf Privatisierung durch Private-Public Partnership. Beispiele dafür sind Abkommen der Weltbank mit Tansania und mit Kenia. Bereits seit einiger Zeit zeichnet sich auch ihre Rückkehr in die Finanzierung von Großstaudämmen ab, die sich inzwischen beschleunigt hat (Siehe Gastbeitrag von Jason Rainey, International Rivers, September 2013).

Damit schließt sich der Kreis zur Agrarpolitik: Unter anderem mit der Konferenz „Water, Energy & Food Security Nexus“ im November 2011 in Bonn angestoßen, gewinnt der Zusammenhang von Nahrung, beziehungsweise genauer: von Land und Landwirtschaft, Energie und Wasser an Bedeutung. Dahinter steckt eine immer engere stoffliche Verbindung, wie sie flexible Agrarpflanzen zeigen, die gleichzeitig als Energie-, Nahrungs- und Futterpflanzen verwendet werden können, und die Konkurrenz um Wasser für Energie und Landwirtschaft. Geschaffen wird dieser Nexus aber auch von Konzernen, die horizontal und vertikal über die Bereiche hinweg zusammenwachsen und investieren – beispielsweise Energiekonzerne, die den Anbau von Agrarenergiepflanzen betreiben. Hier könnte für das kommende Jahr ein wichtiger Fokus entstehen, der auch neue Allianzen zwischen Organisationen und Bewegungen aus den unterschiedlichen Bereichen befördern könnte.