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Wo, bitte, geht’s zur Ernährungssicherheit?

Organisiert von der Entwicklungsorganisation SOS Faim, bereiste ich Anfang Juni den Senegal, um über Ansätze zu einer besseren Eigenversorgung mit Lebensmitteln zu berichten. Denn das kleine westafrikanische Land, das unter anderem drei Viertel seines Reisbedarfs importiert, ist vom Anstieg der Nahrungsmittelpreise besonders betroffen. Zivilgesellschaft und Regierung versuchen nun, diese Abhängigkeit durch eine Steigerung der einheimischen Agrarproduktion zu verhindern. Uwe Hoering

Montag: Die Suche beginnt

von Uwe Hoering, Juni 2012

„Ein Feld, ein Feld!“. Nach vielen Kilometern Fahrt durch eine sandige, flache Landwirtschaft, die heiß wie ein Backofen ist und in der nichts zu wachsen scheint außer Akazien und Baobabs, teils uralten, bizarren Affenbrotbäumen, endlich ein Zeichen von Landwirtschaft. Zwei junge Männer ziehen flache Furchen in den Sand. Später erfahren wir, dass die einfache, von einem Pferd gezogene Gerätschaft, mit der sie säen, über dreißig Jahre alt ist. Die Regenzeit, angekündigt durch erste kleine Schauer, steht an, an den knorrigen Ästen der Baobabs zeigt sich das erste Grün.

Die Fahrt hat in Thiés begonnen, Senegals zweitgrößter Stadt 70 Kilometer östlich der Hauptstadt Dakar. Der Fortschritt in Form neuer Häuser, Geschäfte, Werkstätten, Markthütten und Autos im gesamten Zustandsspektrum zwischen neuestem Geländewagen und Rostlaube frisst sich entlang der Hauptstraße voran. Hier verkaufen Frauen Obst und Gemüse, vor allem Mangos. Trauben von Verkäuferinnen hängen an jedem Wagen, jedem Bus, der hält, die Konkurrenz ist laut und lustig, aber nicht weniger hart.

 

Im Sahel

Nachdem wir von der Hauptstraße auf einen sandigen Feldweg abgezweigt sind, beginnt der Sahel, die endlose Savanne. Nach wenigen Kilometern werden die Häuser aus Blocksteinen und die weggeworfenen Plastiktüten, die der Wind über die weiten Flächen verteilt hat und die jetzt wie bunte Blumen die eintönige, karge Szenerie beleben, immer seltener. Busse oder andere Autos fahren hier nicht mehr, Transportmittel sind Pferdekarren. Strom gibt es nur im Marktflecken Fissel, nicht in den weit verstreut liegenden Gruppen von Hütten aus Holz und Stroh und von runden Vorratsspeichern mit Zipfeldächern. Die Stämme vieler Baobabs sind, wie Korkeichen, bis in zwei Meter Höhe geschält, die fasrige Rinde wird zu Seilen verarbeitet. Thiés und erst recht Dakar scheinen hier weit weg, eine ganz und gar andere Welt.

Unsere kleine Journalistengruppe ist unterwegs, um sich zu informieren, wie die Landwirtschaft verbessert werden kann. Und damit die Ernährung, die Einkommen und die Selbstversorgung des Landes mit Grundnahrungsmitteln. Oft reicht die Ernte nur für sechs, sieben Monate. Und die Spanne wird immer kürzer, die hungrigen Monate immer mehr, sagt Mass Gning von der Bauernorganisation JigJam, zu der wir unterwegs sind. Junge Leute, die in der Landwirtschaft keine Zukunft sehen, wandern ab, nach Thiés, nach Dakar, oder versuchen, über`s Meer nach Europa zu kommen, eine lebensgefährliche Sache.

Von den Rücküberweisungen der Migranten sind die meisten Familien hier abhängig, nur sie halten das Leben einigermaßen am Laufen. Groß prangt denn auch das Schild von Western Union am neuen Gebäude der Kreditgenossenschaft mitten in Fissel, das umringt ist von einigen kleinen Geschäften, Reparaturwerkstätten für Karren und landwirtschaftliche Gerätschaften, einigen Ständen auf dem Marktplätzchen und verrußten Essplätzen, die gegrilltes Fleisch anbieten.

 

Ernährungssicherheit

In der Mehrzweckhalle der Bauernorganisation JigJam ist ein Beamer aufgebaut. Wie überall in der Welt wird der Beginn der Präsentation durch technische Komplikationen verzögert. Doch schließlich kann JigJam-Präsident Ndolan Faye in seinem dunkelgrünen, glänzenden Sabador über die Aktivitäten der Organisation berichten.

Wenn der Regen kommt, so die Situation, werden hier Hirse wachsen und Erdnüsse, Inshallah. Bäume werden Früchte und Heilmittel liefern. Das Grundwasser ist tief und salzig, so bleibt nur die Hoffnung auf den Regen. Juni bis September ist Regenzeit. Mit durchschnittlich 500 Millimetern sind die Niederschläge nicht schlecht, aber auf wenige Wochen konzentriert, und sie werden immer unregelmäßiger. Was in dieser Zeit wächst, reicht bei Weitem nicht bis zur nächsten Ernte. Es fehlt an landwirtschaftlichen Gerätschaften und an Dünger, denn es fehlt an Geld. Seit Auflösung der staatlichen Genossenschaften im Zuge von Strukturanpassung und wirtschaftlicher Liberalisierung sind die Bauern weitgehend auf sich selbst gestellt. „Früher war das besser“, meint das JigJam-Mitglied Mass Gning.

Verdienen können die Familien nur durch den Verkauf der Erdnüsse und durch einige kleine zusätzliche Aktivitäten, den Verkauf von Hibiskusblüten etwa, die als Gewürz begehrt sind, von Milch oder Seilen. Einige Frauen versuchen es mit Erdnussöl, und obwohl es ein Überangebot gibt, bieten sich ihnen so in der Patchwork-Ökonomie zusätzliche Einkommensmöglichkeiten und damit mehr Selbstständigkeit. „Bauern werden nicht mehr durch die Landwirtschaft ernährt“, sagt Mass Gning, „sondern durch andere Aktivitäten.“

Das Hauptziel von JigJam, so Präsident Ndolan Faye, ist daher Ernährungssicherheit, die Möglichkeit, so viel von den eigenen Feldern zu ernten, dass es für zwölf Monate für die ganze Familie reicht. Und eventuell dann sogar noch einen Überschuss für den Verkauf zu haben.

Voraussetzung dafür ist erstens Landsicherheit, denn nur dann können die Familien Investitionen riskieren. Anders als in den städtischen Gebieten ist hier alles öffentliches Land, also kein individuelles Privateigentum, sondern gehört letztendlich dem Staat. Das Landgesetz von 1964 regelt die Nutzungsrechte, verbietet allerdings einen Verkauf. Doch wer nachweisen kann, dass er ein Stück Land regelmäßig nutzt, hat ein Recht darauf. Um das abzusichern und festzuhalten, hat die Bauernorganisation begonnen, für die ersten Familien die Felder zu markieren und versucht jetzt, Landtitel zu bekommen. Zuständig dafür ist der lokale, gewählte Gemeinderat. Und eigentlich sollte das auch kein Problem sein.

Eigentlich. Denn durch Urbanisierung und Spekulanten, die an Geld gekommen sind, wächst der Druck auf Land. Besonders auf das Weideland, das scheinbar ungenutzt ist. Beteiligt an diesem Land grabbing, so sagt Ndolan Faye, sind hochrangige Politiker, einflussreiche religiöse Führer, Immobilienunternehmer oder ausländische Investoren. Sie sichern sich Nutzungsrechte, oftmals über Strohmänner und mit Versprechungen für die Gemeinderäte und die lokale Bevölkerung auf Jobs, Straßen, Schulen oder Krankenstation. Und allzu oft sind die Gemeindevertreter bereit, der Autorität religiöser Führer, vollmundigen Versprechungen oder klingender Münze Gehör zu schenken und Landtitel für Interessenten von außen zu vergeben – was sich kaum wieder rückgängig machen lässt.

Bodenfruchtbarkeit

Doch Landtitel allein reichen nicht gegen diesen Landraub. Die Familien müssen auch von ihrem Land leben können. Sonst treten sie es doch an Spekulanten ab. Jede Familie erhält daher im Schnitt mindestens vier Hektar Land. Und Ziegen, Rinder und Schafe. Wenn die Nachwuchs haben, müssen sie die gleiche Anzahl an andere Familien weiter geben. Und ihre Erfahrungen mit den neuen Anbaumethoden – nach dem Motto „Each one teach one“ sozusagen.

Durch den jahrzehntelangen Anbau von Erdnüssen, eingeführt in Senegal durch die französischen Kolonialherren, und fehlenden Dünger sind die Böden ausgelaugt. Die Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit ist daher Priorität. An Stelle des Wanderfeldbaus, der wegen Landmangels kaum noch möglich ist, lernen die Bauernfamilien jetzt die Vierfelderwirtschaft. Das Vieh bleibt ein Jahr lang auf einem Teil des Landes, gefüttert mit Gras, Abfällen und angebautem Futter. Der natürlich gedüngte Boden und zusätzlicher Ziegenmist führen dazu, dass der Ertrag von Hirse in der nächsten Saison um ein Vielfaches steigt, berichtet einer der Bauern, der an dem Programm teilgenommen hat. Die erfolgreichen Familien haben die Zahl ihrer Vorratsspeicher vermehrt, ein Zeichen, dass der Wandel vom Mangel zum Überfluss möglich ist.

Und das erst recht, wenn es zusätzlich zu den Niederschlägen gutes Grundwasser gibt, wie in manchen Gegenden. Sieben Meter tief ist der Brunnen, den Mamadou Ba mit Hilfe von JigJam hat graben lassen. Damit bewässert er jetzt eine kleine Plantage mit Mango- und Zitronenbäumen, Tamarind und Gemüse, alles ökologisch, weil er sich Industriedünger sowieso nicht leisten kann. Seine Antwort auf die Frage, warum er Mangos anbaut, obwohl der Markt durch die großen Plantagen entlang der Straße zwischen Thiés und Dakar überschwemmt ist, zeigt, dass er die Lektion von JigJam gelernt hat: Er wolle dazu beitragen, die Ernährungssicherheit vor Ort zu verbessern, erklärt er. Und exportieren könnte er sowieso nicht. Vielleicht wünscht er sich einen chinesischen Investor, der ihm hilft, Mangosaft nach China zu exportieren? Da kann er nur lachen und abwinken.

Die Fahrt zurück am späten Nachmittag, der untergehenden Sonne entgegen, zeigt, dass der Sahel lebt. Mitten im sandigen Nichts sieht man Männer und Frauen, die in Erwartung des Regens frische Furchen auf ihrem Land ziehen oder mit der Hacke kleine Mulden für das Saatgut graben. Rund um die Ansammlungen von Hütten spielen Jungen mit selbst gefertigtem Spielzeug, Mädchen holen am Dorfbrunnen Wasser, Frauen stampfen Hirse für das Abendessen, junge Männer sind in Bäume geklettert, um Früchte zu sammeln oder Heilkräuter. Und dann kündigen die blauen, roten, grünen und weißen Plastiktüten die Rückkehr in die 'Zivilisation' an. (9.600 Zeichen)

Dienstag: Klimawandel und grüne Inseln im Sand

von Uwe Hoering, Juni 2012

Der Tag beginnt mit Eindrücken, die anscheinend direkt wenig mit der Geschichte, wie sich der Senegal ernähren könnte, zu tun haben: Der geschäftige riesige Markt von Thiés, vollgestopft mit Produkten aus China, die einheimisches Handwerk und Industrie verdrängen, die Talibe, abgerissene, schüchterne kleine Koranschüler, die für ihren religiösen Lehrer Spenden sammeln, der riesige Campus der Polizei, der mit Schule, Stadium und Krankenstation anscheinend alles hat, was ansonsten in der Provinzhauptstadt mehr oder minder vor sich hin zerfällt. Unsere Übersetzerin Debo erzählt, warum sie Frauen nicht unbedingt für bessere oder gar weniger korrupte Politiker hält und dass sie nicht heiraten will, um nicht als Zweit- oder Drittfrau für ihren Mann sorgen zu müssen.

 

Geschädigte Ökosysteme

Das Thema Klimawandel und die Anpassung der Landwirtschaft daran, das für heute auf der Tagesordnung unserer kleinen Journalistenreise steht, hat da schon direkter mit unserer Geschichte zu tun. Schließlich gilt Afrika und da besonders die fragilen, bereits geschädigten Ökosysteme des Sahel, als besonders gefährdet. In Diourbel, einer Region, die wie gestern Fissel ebenfalls im Erdnussanbaugebiet des Landes liegt, treffen wir lokale Ratsvertreter, Regierungsbeamte, Mitglieder von Bauernorganisationen und NGOs. Einer nach dem anderen zeichnet das Bild einer schwerwiegend aus dem Gleichgewicht geraten Welt und Umwelt: höhere Temperaturen, schwankende Niederschläge, kürzere Regenzeiten, … Ein Bauer klagt, dass „Der Norden“ für diese Auswirkungen verantwortlich sei, die jetzt die Menschen hier im Sahel treffen, und appelliert an uns, die angereisten Journalisten, doch bitte die Weltöffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen.

Aber vieles, was hier vorgetragen wird, ist auch unabhängig vom globalen Klimawandel: Der zunehmende Druck auf das Land, die Verwandlung der Bäume in Holzkohle, die Abwanderung der Viehherden, die hier keine Weiden mehr finden und deren Dung nun als Dünger für die Felder fehlt, der Verlust der Artenvielfalt, die Bodenerosion durch Erdnussanbau – all das wird schlimmstenfalls durch den Klimawandel verstärkt. Hier geht es um ein Geflecht von immer schwieriger werdenden lokalen Bedingungen, die die Lebensmöglichkeiten gravierend einschränken – und Maßnahmen müssen hieran ansetzen, egal ob Klimawandel oder nicht. Ansatzpunkte und Möglichkeiten dafür gibt es genug:

Zum Beispiel Aufforstung: Stolz zeigt Cheikhg Gning sein Feld, auf dem er seit dreißig Jahren Bäume pflanzt, nachdem er festgestellt hat, dass die Erträge von Hirse und Erdnüssen in ihrer Umgebung höher sind. Er kennt sie alle, wie alt sie sind, welche Früchte sie liefern. Das Stichwort Agroforstwirtschaft ist auch bei den örtlichen Regierungsvertretern angekommen: Einige Zigtausend Bäume hätten sie in den vergangenen Jahren gepflanzt, berichten sie stolz, von denen immerhin die Hälfte überlebt hätte.

Zum Beispiel Wasser: Überall in dieser Region gibt es flache Mulden, in denen sich die Niederschläge sammeln. Hier finden Gras, Büsche und Bäume Wasser. Doch erst nachdem die Dorfgemeinschaft beschlossen hat, die Tümpel vor grasendem Vieh und Brennholz sammelnden Frauen zu schützen, ist die Vegetation wieder üppig geworden, zur Freude einer kleinen Gruppe von Ziegen, die durch das Gebüsch streift, geradezu als wolle sie demonstrieren, wie schwierig es ist, selbst solche kleinen Ansätze, die Vegetation zu schützen, durchzusetzen.

Die kleine Genossenschaft URAPD ist in der glücklichen Lage, dass die kirchliche Entwicklungsorganisation Caritas vor einigen Jahren hier einen Tiefbrunnen gebohrt hat. Auf einem riesigen Gemeinschaftsfeld hat jede Familie zwei Wasserbecken, in die das Wasser geleitet wird, um ihren Teil des Feldes zu bewässern. Neben Gemüse bauen die meisten Zwiebeln an, die am besten mit geregelter Wasserzufuhr gedeihen – zu viel Wasser zur falschen Zeit, wie das in der Regenzeit leicht der Fall ist, lässt sie faulen. Die letzte Ernte ist noch in der früheren Schule, die nach einem Neubau nicht mehr benötigt wird, gelagert, hunderte Säcke stapeln sich vor der Schultafel. Die Genossenschaft wartet jetzt auf gute Marktpreise. Jedes Jahr stoppt die Regierung den Zwiebelimport aus Spanien, Frankreich oder Holland für einige Monate, um die einheimischen Bauern zu schützen. Angesichts des staatlich festgesetzten Mindestpreises und der großen einheimischen Nachfrage sieht der Zwiebelanbau nach einem guten Geschäft aus. Doch im Dorf selbst sieht man wenig an Wohlstand.

Ndiégane bekommt leuchtende Augen, wenn er von seinen Lehrjahren in Israel erzählt. Der knorrige, hoch gewachsene Mann hat dort gesehen, was mit Tröpfchenbewässerung möglich ist. Im Auftrag nichtstaatlicher Entwicklungsorganisationen hat er einige Anlagen für Bauern in der Region Diourbel eingerichtet. Jetzt strebt er nach Größerem: Er träumt von einem kapitalkräftigen Partner. Denn Tiefbrunnen, um das Wasser in 60, 70 Meter Tiefe anzuzapfen, würden Millionen kosten, Millionen CFA, umgerechnet immer noch ein vierstelliger Eurobetrag. Da braucht man Geldgeber. Aber wo ist hier die Rendite?

Zum Beispiel Land: Ibrahima Paul Thio ist Klima- und Agrarexperte bei der Entwicklungsorganisation CCDHD. Ähnlich wie in Fissel berät er bäuerliche Familien dabei, wie sie sich Landtitel sichern können. Denn die Situation in Diourbel ist die gleiche: Zwar hat ihnen der Gemeinderat Nutzungsrechte zugeteilt, doch die können ihnen auch wieder genommen werden. Schriftliche Garantien zu bekommen, die das verhindern könnten, ist nicht einfach, räumt Paul ein. Er versucht die lokalen Gemeinderäte mit dem Argument zu überzeugen, dass bei gesicherten Rechten die Produktivität höher ist und davon auch die Gemeindeeinnahmen, das ganze Dorf profitieren würden. Und die Organisation versucht, die lokale Demokratisierung voranzutreiben, indem sie Mitglieder in den Gemeinderat schleust, damit er die Interessen der Dorfbevölkerung berücksichtigt. Das funktioniere in dieser Region besser als in manchen anderen, sagt Paul, weil die mächtigen Marabouts, die religiösen Führer, die in anderen Gegenden die Landvergabe kontrollieren, hier eine geringere Rolle spielen.

Zum Beispiel landwirtschaftliche Gerätschaften: Einige Bauern haben immerhin einfache Pflüge, mit drei Krallen für schwere, mit einer für sandige Böden. Sie wurden vor Jahrzehnten aus Frankreich eingeführt, ebenso wie das Gerät, mit dem sie Saatgut ausbringen. Neue, bessere Geräte würden umgerechnet 300 Euro kosten, erzählt einer der Bauern, weil eins der Teile importiert werden muss. So werden die alten Geräte sorgfältig gepflegt und immer wieder provisorisch repariert.

 

Grüne Inseln im Sand

Diese verschiedenen Ansätze machen Hoffnung. Sie zeigen, dass etwas getan werden kann, um die Degradierung von Böden und Vegetation umzukehren und die Produktivität zu steigern, mit einfachen, kostengünstigen Mitteln: Der Schutz der Vegetation um die Wasserstellen herum, Aufforstungsprogramme und Agroforstwirtschaft, kontrollierte, gezielte Bewässerung, die sandige Böden in kleine Gärten verwandelt, .... . Aber das sind isolierte Inseln, die weit auseinander liegen. Die Fahrt von einem grünen Flecken zum nächsten dauert. Wie soll da der Sahel grün und die Desertifikation eingedämmt werden, gar eine 'Grüne Mauer' von Senegal im Westen bis Djibouti im Osten entstehen, wie es ein ehrgeiziges Projekt der EU und afrikanischer Regierungen vorsieht?

Wo sind die flächendeckenden Aktivitäten, die breite staatliche Unterstützung, die wirksame Kooperation der verschiedenen Akteure wie Regierungsstellen, Nichtregierungsorganisationen, Bauern, vielleicht sogar private Investoren? Die privaten Investoren findet man entlang der Hauptstraße. Hier reiht sich eine Mangoplantage an die andere. Hier wird kommerziell produziert, für den Export. Aber welche Möglichkeiten, welche Chancen haben die bäuerlichen Familien, die ländliche Bevölkerung?

Diese Frage ist auch relevant, um den Vormarsch von Land grabbing zu stoppen. Eine wirtschaftlich starke lokale Landwirtschaft, die den Menschen ein Auskommen bietet, kann ein wirksamer Wall dagegen sein. Nur dann werden die Menschen bereit und in der Lage sein, das Land, ihr Land gegen die Koalition der Land grabber zu verteidigen, indem sie nicht mehr erpressbar sind und politisch aktiv werden, die lokalen Gemeinderäten mobilisieren und Druck auf die Regierung in Dakar machen, Vertreibungen und Landraub zu unterbinden. Denn sonst ist die Attraktivität von großen kommerziellen Agrarinvestoren, von Plantagen, von industrieller, mechanisierter Landwirtschaft weitaus größer und die Entscheidungen fallen gegen die lokale Bevölkerung, der am Ende nur die Abwanderung bleibt. (9.400 Zeichen)

Mehr Einblicke, wie dieses Land grabbing vor sich geht, verspricht das Programm für den kommenden Tag.

Mittwoch: 'Land grabbing' hautnah

von Uwe Hoering, Juni 2012

„Hier gibt es die beste Böden der Welt“, sagt der Zwei-Meter-Mann mit der Statur eines Catchers. Nach den langen Fahrten durch die trockene, sandige Savanne wirkt die Aussage geradezu wie ein Scherz. Der Hüne, der vor zwanzig Jahren aus dieser Gegend auswanderte und jetzt als Teilhaber eines spanischen Unternehmens und Verwalter der Farm zurück ist, nimmt fast liebevoll eine Handvoll Erde auf, sie ist dunkel, trocken, locker. Die tief gepflügte Fläche reicht so weit man blicken kann, hier wächst kein einziger Baum mehr, keine Akazie, kein Baobab, nur noch Wassermelonen. Natürlich braucht man zusätzlich zum guten Boden auch noch Wasser. Aber auch das gibt es, aus hundert Meter Tiefe, die gewaltigen Pumpen schaffen in der Saison drei Monate lang 5000 Kubikmeter je Hektar nach oben – von Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel weiß unser Gesprächspartner nichts.

 

Melonen für spanische Supermärkte

Die erste Saison der neuen Farm in der Region Khombole nördlich von Thiés, so erklärt er, ist vorbei, die Melonen per Schiff an eine Supermarktkette in Spanien geliefert. Der ganze Anlage ist gerade erst fertiggestellt, das Wachhäuschen am Eingang mit dem Wachmann eines privaten Sicherheitsdienstes, der hohe Zaun um das Gelände, die großen Hallen, in denen Paletten und Kartons gestapelt sind und während der Ernte die Melonen sortiert und verpackt werden. Auf dem weitläufigen Hof stehen die riesigen Traktoren und Pflüge, die die Erde mehr als einen halben Meter tief umwälzen können, aufgerollte schwarze Schläuche für die Tröpfchenbewässerung sind Zeichen weiterer Expansionspläne, in einer Ecke stehen Bienenstöcke für die Befruchtung.

Die Produktionsbedingungen für das spanische Unternehmen, das hier 20 Hektar gepachtet hat, sind so gut wie der Boden. Bei den Vertragsverhandlungen hat ein guter Draht zu zwei Parlamentsabgeordneten geholfen, erklärt der Verwalter unumwunden, die wiederum gute Beziehungen zum Landwirtschaftsministerium hatten. In anderen Gebieten hat das Unternehmen noch weitere 220 Hektar. Die Pacht ist niedrig, die Löhne auch, die Kosten für Wasser gering, das Wetter ideal. Allerdings müssen Dünger, Saatgut und der gesamte Fuhrpark eingeführt werden, da kann es schon mal Probleme mit dem Nachschub oder Ersatzteilen geben, klagt er.

Wie hier im Senegal sind in vielen Ländern Afrikas ausländische Investoren dabei, sich ganze Landstriche zu sichern, um für Europa und andere zahlungskräftige Märkte zu produzieren – Nahrungsmittel wie Wassermelonen oder Reis, oft aber auch Energiepflanzen, Viehfutter, Blumen, .... Wir befinden uns hier im westlichsten Teil der Guinea-Savanne, einem 400 Millionen Hektar großen Streifen, der von hier über Ostafrika bis hinunter nach Zimbabwe verläuft. Mit der Behauptung, hier seien riesige Flächen ungenutzt oder zumindest nicht produktiv genug verwendet, versuchen internationale Entwicklungsorganisationen, Finanzinstitutionen und Regierungen Investoren für eine kommerzielle Landwirtschaft in diese Gebiete zu locken, eine Entwicklung, die seit vier Jahren Schlagzeilen als „Land grabbing“ macht, als Landraub, auch als „Neuer Kolonialismus“.

Allein in Senegal, so die Schätzungen, wurden in den vergangenen zehn Jahren 650.000 Hektar, 17 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche, an private Unternehmen gegeben, einheimische und ausländische. Die Provinzhauptstadt Thiés beispielsweise wächst immer weiter, schon auf der Fahrt hierher sah man die Grundstücke für neue Wohngebiete, die bereits vermessen und erschlossen sind. Auch die Tourismusgebiete und die Hauptstadt Dakar selbst sind nicht weit. Jedes Stück Land gewinnt hier an Wert, nicht nur fruchtbare Böden. Und damit geraten die Bauern, die oft nur noch wenig Land haben, ins Visier von Investoren und Spekulanten.

„Im Unterschied zu vielen einheimischen Geschäftsleuten, die sich Land aneignen, investieren wir aber auch wirklich“, verkündet der Verwalter. „Kein Senegalese, der Geld hat, investiert in die Landwirtschaft, und diejenigen, die an die Landwirtschaft glauben, haben kein Geld.“ Bis zu 400 Menschen würden hier in der Saison Beschäftigung finden, darunter auch viele Frauen. Außerdem habe das Unternehmen für die lokale Bevölkerung einen Krankenwagen angeschafft, als nächstes will es eine Krankenstation bauen. Der Verwalter ruft zwei Mitarbeiter, die beide aus der Gegend stammen herbei. Mohamad, der seinem Chef kaum bis zur Schulter reicht, erzählt, dass ein Teil der Farm früher seinem Großvater gehört habe. Doch der konnte seine Felder nicht mehr bewirtschaften und habe sie deshalb abgegeben. Er selbst ist froh, einen Job auf der Farm bekommen zu haben, denn andere Arbeit gebe es hier nicht. Er ist Maschinist und verdient damit umgerechnet 80 Euro im Monat, mehr als die Feldarbeiter, allerdings nur ein halbes Jahr lang. In der Regenzeit bestellt er sein eigenes Feld.

Ist dies die Zukunft für die Landwirtschaft im Senegal? Der Ausweg aus der kontinuierlichen Abwärtsspirale, aus der Abhängigkeit von unberechenbaren Wetterbedingungen, von Nahrungsmittelimporten, aus dem Teufelskreis von geringer Produktivität und niedrigen Einkommen, die die jungen Leute vom Land treiben?

 

"Der Tod der Landwirtschaft"

Am Vormittag in Städtchen Tassette haben die Verlierer dieser Modernisierung, die bereits seit Jahren stattfindet, ihre Geschichten erzählt. Der Ablauf ist im Prinzip immer gleich: Wenn sich der Gemeinderat und ein Immobilienhändler oder andere, einflussreiche Interessenten einig sind, lässt sich die Landvergabe an neue Nutzer reibungslos bewerkstelligen. Geld, politischer Einfluss und Strohmänner erleichtern den Landraub. Und wenn dann noch der Marabout, der religiöse Führer, den Leuten rät, ihre Nutzungsrechte aufzugeben, gibt es kaum noch Widerstand. „Wir haben kaum politische Mittel, um uns gegen den Landraub zu wehren“, sagt Moussa Fall, ein Mitarbeiter der Bauernorganisationen ARAN. Und einen Anwalt kann sich hier niemand leisten.

So steht dann einer nach dem anderen auf und erzählt, wie sie ihr Land verloren haben, gegen Versprechungen auf Investitionen, Infrastruktur und landwirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung, die nicht eingehalten wurden. „Die Bauern waren einfach naiv und unwissend“, erklärt Moussa. Das meiste Land, das so an einheimische Geschäftemacher ging, liege heute brach, schätzt er. „Wenn das so weiter geht, gibt es hier bald keine Bauern mehr, das ist der Tod der Landwirtschaft.“

Das sind keine Einzelfälle, sondern hat System – und großartige Namen. Unter dem Präsidenten Abdoulaye Wade, der im Frühjahr nach zwei Amtsperioden abgewählt wurde, wurde beispielsweise eine „Großoffensive für Landwirtschaft und Nahrungsmittelüberfluss“ (GOANA) ausgerufen. Ein Programm für die „Rückkehr zur Landwirtschaft“, dessen Kürzel REVA an das französische Wort für Traum erinnert, sollte junge Leute von der Migration über's Meer abhalten, indem Familienbetriebe gefördert werden sollten. Versprochen wird eine wirtschaftliche Entwicklung, die auf der bäuerlichen Landwirtschaft basiert. Doch de facto dienten solche Programme bislang häufig dazu, im Namen von Ernährungssicherung und Armutsminderung Nutzungsänderungen zugunsten der Investoren durchzusetzen und Land dann für den Export von Sesam oder Maniok zu nutzen. Oder für Wassermelonen. „Ich hasse seither Wassermelonen“, sagt unsere Übersetzerin Debo.

Doch es formiert sich auch Widerstand, wie die Versuche in Fissel und Diourbel, die lokalen Gemeinderäte zu stärken, zeigen. Landesweit Schlagzeilen machten die Auseinandersetzungen im Herbst vergangenen Jahres um den Versuch einer italienisch-senegalesischen Firma, in Fanaye im Norden des Landes auf 8.000 Hektar Energiepflanzen anzubauen Das Projekt war Bestandteil eines ehrgeizigen Plans des Ex-Präsidenten Abdoulaye Wade, das Land zu einem führenden Produzenten von Agrartreibstoffen zu machen und gemeinsam mit einem Dutzend weiterer afrikanischer Länder eine „Grüne OPEC“ aufzubauen. Versprochen wurden Jobs und Investitionen, doch viele Einheimische befürchteten Vertreibung, den Verlust ihrer Herden und die Entweihung religiöser Stätten. Bei Konflikten starben zwei Dorfbewohner, das Vorhaben wurde – vorerst – gestoppt. Und auch in anderen Landesteilen hört man jetzt öfter den Ruf: „Touche pas à ma terre“ - Rühr' mein Land nicht an!

 

Der Wert traditioneller Getreidearten

Ein anderer Ansatz, den Versprechungen der Investoren etwas entgegen zu setzen, sind die Versuche, die Inwertsetzung des Landes selbst in die Hand zu nehmen. Dafür gibt es viele Möglichkeiten, die auch oft nicht viel kosten, wie die Agroforstwirtschaft, die Verarbeitung von Agrarprodukten wie Erdnüsse zu Öl, Bäume zu pflanzen, die gemeinsame Vermarktung zu verbessern und durch die Ausschaltung von Mittelsmännern höhere Preise zu erzielen.

Beim Verband der Bauerngruppen in Mékhé setzt man dabei unter anderem darauf, die einheimischen Getreidesorten wie Hirse wieder aufzuwerten, die durch Lebensmittelimporte und veränderte Konsumgewohnheiten zurückgedrängt wurden. Selbst das Nationalgericht Thieboudienne wird nicht mit Couscous, sondern mit Reis, der aus Indien oder Thailand eingeführt wird, zubereitet. Jetzt versucht der Bauernverband, die Menschen wieder auf den Geschmack zu bringen und die Produktion durch wachsenden Konsum anzukurbeln. In mehreren Dörfern haben Bäcker begonnen, Hirse-Baguettes zu backen und sind mit dem Absatz sehr zufrieden. Wenn das Schule macht, könnte der Getreideanbau vielleicht wirklich Geld bringen und damit die Position der Bauern stärken, sich gegen den Verlust ihrer Felder zur Wehr zu setzen, hofft Ndiakhate Fall vom Bauernverband.

Günstig für eine solche Aufwertung einheimischer Getreidesorten könnte nicht nur der Klimawandel sein, da sie besser an die damit einhergehenden Probleme wie Trockenheit angepasst sind. Auch die hohen Getreidepreise auf dem Weltmarkt, die Senegals Importe verteuern, könnten eine Chance für die einheimischen Bauern sein. Das allerdings ist ein zweischneidiges Schwert. Denn es könnte auch für Investoren den Anreiz erhöhen, sich Land zu greifen, da der Anbau profitabler würde – was die Entwicklung der vergangenen zehn, zwanzig Jahre nur noch weiter beschleunigen würde.

Möglicherweise trägt der morgige Tag zur Klärung bei: Dann werden wir eine der Bauernorganisationen besuchen, die den Stopp der Zwiebelimporte durchgesetzt haben – ein weiteres, wichtiges Puzzleteil für die Antwort auf die Frage: Kann Senegal nicht nur Ernährungssicherheit, sondern sogar Ernährungssouveränität erreichen?

Donnerstag: Tag der Zwiebeln (Eine Erfolgsgeschichte)

von Uwe Hoering, Juni 2012

In Potou, gut hundert Kilometer nördlich von Dakar und unweit der Atlantik-Küste, gibt es zusätzlich zu den weißen Häusermauern des Marktfleckens auch noch rote Mauern – überall sind jetzt, kurz nach der Ernte, Säcke mit Zwiebeln gestapelt, vor Geschäften, im Markt, auf einem großen freien Platz, in Innenhöfen, auf Lastwagen, bereit zum Abtransport. Auf den meisten Säcken steht zwar als Herkunftsbezeichnung Holland oder Deutschland. Doch der Inhalt ist senegalesisch. Die Säcke stammen von Importen und werden wiederverwendet, da sie im Land nicht verfügbar sind.

 

Importstopp

Dass die Bauern zum Verpackungsmaterial der Konkurrenz greifen müssen, ist ein Zeichen für ihren Erfolg. Seit 2003 erstmals ein zeitweiliger Importstopp für Zwiebeln aus Holland und anderswo verhängt wurde, hat sich die einheimische Produktion mehr als vervierfacht. Zumindest mit Zwiebeln kann sich Senegal heute weitgehend selbst versorgen, durch die eigenen Bauern. Beziehungsweise durch Bäuerinnen wie Mariama Ba.

Zehn Brunnen hat sie auf ihrem kleinen Feld von der Größe eines Fußballfeldes, einer Mulde zwischen Sanddünen. Das Wasser wird aus fünf, sechs Metern Tiefe in Kanistern hochgezogen, um die Pflanzen zu bewässern. Mariama beschäftigt Saisonarbeiter aus den Nachbarländern Mali und Guinea. Aber sie ist der Boss.

Dank des Wassers kann sie hier, inmitten der Sanddünen, zwei Ernten im Jahr einbringen. Mehr als ein Dutzend verschiedene Produkte baut sie an, Tomaten, Zwiebeln natürlich, Möhren, Kohl, Aubergine – alles für den Markt. Genug Land, um auch noch für die eigene Versorgung Hirse oder Reis anzubauen, hat sie nicht. Das muss sie kaufen, plant aber, demnächst direkt mit Getreidebauern Zwiebeln zu tauschen. Denn viel verdient sie am Ende doch nicht.

Dabei scheinen Zwiebeln bei einem Ertrag von bis zu 30 Tonnen je Hektar, multipliziert mit dem offiziellen Mindestpreis von 175 CFA je Kilogramm, ein gutes Geschäft zu sein. Doch nicht für Mariama Ba. Dafür ist ihr Acker zu klein. Rund 200.000 CFA im Jahr würde sie einnehmen, sagt sie. Nach Abzug aller Kosten für Saatgut, Transport zum Markt, Ausgaben für die Zwiebelsäcke, Löhne, aber auch für Schulgebühren und so weiter reicht es zum Leben und es geht ihr besser als der bäuerlichen Landwirtschaft im Sahel. Doch viel bleibt nicht übrig. Denn fast alle bauen das Gleiche an, und wenn sie alle gleichzeitig liefern, geht der Preis in den Keller. Und als der Markt zusätzlich durch Importe aus Europa beliefert wurde, blieben sie vielfach auf ihren Zwiebeln sitzen, obwohl diese billiger waren. Doch die städtischen Verbraucherinnen bevorzugten die Importware, weil ihre Qualität besser war.

Bis 2000 hatte die Regierung die Einfuhr durch Quoten einigermaßen steuern können. Doch dann mussten diese im Rahmen internationaler Handelsvereinbarungen aufgehoben werden. Bauernorganisationen mobilisierten daraufhin für den Schutz gegen die Importe, woraufhin die Regierung einen zeitlich begrenzten Einfuhrstopp für Zwiebeln verhängte, zunächst als Test für drei Monate. Inzwischen wurde der Zeitraum auf sechs Monate, auf die zweite Jahreshälfte, ausgeweitet.

Zahllose Farmer nutzten die Chancen, die sich dadurch boten. Im Schutz der Sperre verbesserte sich nicht nur die erzeugte Menge, sondern auch die Qualität. Heute seien sie kaum noch von importierten Zwiebeln zu unterscheiden, sagt der Vorsitzende der lokalen Bauernorganisation UGPN, die aktiv an der Mobilisierung für den Importstopp beteiligt war.

Für die Importsperre mussten allerdings auch die einflussreichen Händler eingebunden werden, sowohl die einheimischen, die den internen Markt kontrollieren, als auch die Importeure, die gegen die Einfuhrbeschränkungen das Gesetz des freien Handels ins Feld führen konnten. Nur unter sehr eng definierten Bedingungen sind Ausnahmen noch erlaubt, aber einige Schlupflöcher gibt es dennoch. Besonders, wenn sich alle Beteiligten an den Verhandlungstisch setzen und einigen.

Und das war der Fall, wie Hassan Diouf von der senegalesischen Dachorganisation der Bauerngruppen, FONGS, erklärt. „Jeder Akteur spielte in einem offenen Dialogprozess mit“, Bauernorganisationen, der Handel, Regierung. Eine unabhängige Regulierungsbehörde wacht darüber, dass der ausgehandelte Kompromiss, der zeitlich begrenzte Importstopp, mehr oder minder eingehalten wird. Und der staatliche Mindestpreis bietet den Bauern eine gewisse Sicherheit – auch wenn er nicht immer eingehalten wird.

So gibt der Großhändler in Potou, der verschanzt hinter Bergen von Zwiebelsäcken sitzt, unumwunden zu, dass sein Einkaufspreis für ein Kilo mit 120 CFA weit unter dem Garantiepreis liegt. Denn der Erfolg hat auch seine Kehrseiten: Zwiebeln werden nun auch in anderen Regionen angebaut, und alle kommen mehr oder weniger gleichzeitig auf den Markt. Die Haltbarkeit und Lagerungsmöglichkeiten sind begrenzt, obwohl Bauernorganisationen, FONGS und Regierung einige Vorratslager gebaut haben. So bleiben die Bauern bei der Vermarktung noch weitgehend abhängig von Händlern, die das System von einheimischer Produktion und Importen kontrollieren.

 

Übertragbarkeit

Hassan Diouf wirft selbst die Frage auf, die uns auf der Zunge liegt: Könnte der Erfolg nicht auch mit anderen Produkten wiederholt werden? Bei Fisch hat es teilweise geklappt: Seit die Regierung Lizenzen für ausländische Trawler widerrufen hat, gibt es wieder guten Fisch auf dem Markt, weiß unser Fahrer Moussa.

Auch bei Geflügel griff ein Importstopp. Bis 2005 überschwemmte Hühnerfleisch aus der EU zu Dumpingpreisen den Markt und verdrängte die eigene Produktion. Mit den Betrieben verloren auch viele Futterlieferanten, Marktfrauen und Metzger ihre Einkommen. Dann kam die Vogelgrippe einer Kampagne von zivilgesellschaftlichen Gruppen und Bauernorganisationen, die einen Schutz gegen die ungleiche Konkurrenz forderten, zu Hilfe. Ihr Ausbruch erlaubte als Notbremse einen Importstopp, um das einheimische Federvieh vor Ansteckung zu schützen. Daraufhin erholte sich die einheimische Produktion schnell.

Gerade versucht FONGS, für Mohrrüben ein ähnliches Arrangement wie für Zwiebeln auszuhandeln, berichtet Hassan. Doch anders als bei den gut organisierten Zwiebelbauern fehlt hier noch die Lobby, der Druck, um sich Gehör zu verschaffen.

Noch schwieriger ist die Situation bei Reis, so wichtig gerade hier Maßnahmen wären, um die einheimische Produktion im Windschatten einer Schutzmauer anzukurbeln. Denn die Mengen, die wirtschaftlichen Interessen und die zentrale Bedeutung für die Ernährung sind weitaus gewichtiger. Mehr als drei Viertel muss jedes Jahr importiert werden, mengenmäßig zehnmal so viel wie damals die Zwiebeleinfuhren. Ein Importstopp würde die Preise in die Höhe treiben und könnte Aufstände auslösen, wie es vor vier, fünf Jahren nach dem abrupten Preisanstieg für Getreide auf dem Weltmarkt in vielen Ländern der Fall war. Andererseits könnte er helfen, die Möglichkeiten zur Produktionssteigerung zu nutzen – Investitionen in die Bewässerung, eine Ausweitung von Reisanbau im Regenfeldbau, oder eben die Steigerung der Produktion einheimischer Getreidearten wie Hirse, die jetzt durch den importierten Reis in die Marginalität gedrängt werden. Das muss Schritt für Schritt gehen, plädiert Hassan für Geduld.

Außerdem hatte der Zwiebel-Erfolg ungeplante Nebenwirkungen. Die Ausweitung der Produktion beeinträchtigte beispielsweise den Kartoffelanbau. Deren Erzeugung ist rückläufig weil weniger lukrativ. Daher müssen sie jetzt zunehmend importiert werden, und zwar genau aus den selben Ländern, aus denen auch die Zwiebeln kamen.

 

Wassermanagement

Und der Erfolg erhöht perspektivisch den Wasserverbrauch. Noch benutzen nur wohlhabendere Bauern und Plantagen starke Pumpen, die den Grundwasserspiegel ansenken können. Doch in einigen küstennahen Regionen dringt bereits Meerwasser ins Grundwasser ein und versalzt es. Welchen Beitrag dazu die Landwirtschaft bereits leistet, ist noch unklar. Doch Wassermanagement ist noch ein Fremdwort.

Anders für Saer Seck, zumindest was seine eigenen Felder angeht. Er hat gebrauchte Schläuche für Tröpfchenbewässerung angeschafft, auch wenn ihre Verwendung nicht ganz unproblematisch ist, da der feine Sand die dünnen Schläuche verstopft. Und seit er eine Dieselpumpe hat, benutzt er nur noch einen von 13 Brunnen. Noch ist er der einzige im weiten Umkreis, der eine Dieselpumpe besitzt, Und wenn rundherum die Brunnen der anderen Bauern leer sind, dann gibt er auch schon mal Wasser an sie ab – kostenlos, wie er versichert. Noch also ist Wasser hier keine Ware. Und noch gibt es keinen Wettlauf um das Grundwasser, das dessen Stand immer tiefer treiben würde.

Damit sind wir zurück beim Hauptthema, bei der Konkurrenz der Landwirtschaft mit anderen, gewinnträchtigeren Landnutzungsformen wie Tourismus, Immobilien oder Exportproduktion. Und bei den Möglichkeiten, die Produktivität und die Einnahmen aus Land so zu steigern, dass sich die Landwirtschaft lohnt. Dazu gehören dann nicht nur Boden und Wasser, sondern auch Beratung, landwirtschaftliche Gerätschaften, Saatgut und Dünger, Zugang zu Kredit, zu Lagerungsmöglichkeiten und Absatzmärkten. Programme wie die „Neue Grüne Revolution“, die von US-Stiftungen wie der Bill&Melinda Gates Foundation und der Rockefeller Foundation, von staatlichen Entwicklungsorganisationen und Regierungen propagiert wird, verspricht genau das – aber das ist eine andere Geschichte.

Freitag: Grüne Revolution oder Ernährungssouveränität

von Uwe Hoering, Juni 2012

In Dakar, der Hauptstadt, sollten wir die politischen Antworten und Lösungen bekommen für die Probleme, die wir in den ländlichen Regionen, vom Sahel bis zur Küste, von Erdnüssen bis Zwiebeln, von Fisch bis Hühnchen gesehen haben. Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen, Vertreter von Bauern und Fischern, Wissenschaftler und Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium sind dafür im Büro des CNCR, des 'Nationalen Rats für Dialog und Zusammenarbeit im ländlichen Raum', zusammengekommen. In einem sind sich alle einig: Die Landwirtschaft muss besser als bislang unterstützt werden. Aber auch anders: Eine andere Agrarpolitik sei notwendig.

Denn die Möglichkeiten, dass sich Senegal selbst ernähren kann, gibt es, auch darin sind sich alle einig, auch wenn es gegenwärtig in vielen Regionen des Sahel nicht so erscheinen mag. Land und Wasser sind dafür vorhanden, sie müssen nur richtig genutzt werden. Die agroklimatischen Bedingungen sind, besonders durch den sich abzeichnenden Klimawandel, zwar schwierig, aber nicht hoffnungslos. Es gibt zahllose Ansätze, die Perspektiven aufzeigen, auch für einen besseren Zugang zu Saatgut und Dünger, zu Krediten für landwirtschaftliche Betriebe, zu neuen landwirtschaftlichen Methoden. Und das politische System bietet Einflussmöglichkeiten, wie gerade die Abwahl des autokratischen Präsidenten Wade bewiesen hat. Bauern und Fischer können sich organisieren, um sich Gehör zu verschaffen, die Presse kann weitgehend ungehindert über Missstände und Konflikte berichten.

 

Agrarpolitik

Große Hoffnungen werden denn auch in die neue Regierung, besonders in den neuen Präsidenten Macky Sall gesetzt, die nach Ansicht aller Beteiligten der ländlichen Entwicklung jetzt endlich die Priorität geben wollen, die sie verdient. Landreformen wurden versprochen, mehr Geld für die Landwirtschaft, ein Sozialplan für Bauern. Mit der Rückgabe von Land an Familien, die es an Spekulanten verloren haben, wurde bereits begonnen, wenn auch vorerst nur einige hundert Hektar. Der Ausbau der Infrastruktur, der in den vergangenen Jahren vorangegangen ist, muss beschleunigt werden, damit nicht nur Plantagen entlang der Hauptstraßen ihre Produkte zum Markt bringen können, sondern auch die bäuerlichen Produzenten im abgelegenen Sahel. „Wir müssen den Dialog mit der Regierung, der unter der vorherigen Regierung abgebrochen wurde, wieder aufnehmen“, sagt Hassan Diouf von FONGS, und auf neue, bessere Gesetze hinarbeiten – sowie auf deren Umsetzung.

Denn nicht alles, was die Regierung agrarpolitisch anstößt, ist für die bäuerliche Landwirtschaft hilfreich. Es fehlt wahrlich nicht an Agrarprogrammen, nationalen wie GOANA und REVA, regionalen wie das 'Umfassende Entwicklungsprogramm für Afrikas Landwirtschaft', CAAPD, mit dem die Afrikanische Union den Agrarbereich zu einem Zugpferd wirtschaftlicher Entwicklung machen will. Bei den meisten stehen Entwicklungsorganisationen der westlichen Industrieländer, vor allem der USA und der EU Pate, als Berater, als Geldgeber, mit ihren eigenen Experten. Doch in der Praxis habe beispielsweise GOANA nur dazu geführt, „die Bauern auszutricksen und Geld von den internationalen Gebern zu bekommen“, klagt ein Bauernvertreter.

Mit ihren Vorstellungen von einer 'Neuen Grünen Revolution' setzen derartige Projekte und Programme vor allem darauf, Produktionssteigerungen durch agrarindustrielle Produktionsmittel wie patentiertes Saatgut, importierten Kunstdünger und teure Maschinerie zu erreichen. Vorrangig werden Produkte angebaut, die exportiert werden können. Und im Gegensatz zum Anspruch, eine bäuerliche Landwirtschaft fördern zu wollen, seien die meisten Familienbetriebe gar nicht in der Lage, davon zu profitieren, weil ihnen alle Voraussetzungen dafür fehlen, im Unterschied zu kommerziell orientierten größeren Betrieben.

 

Teufelskreis

Natürlich sind vorerst auch weitere Importe notwendig, um die Versorgung sicherzustellen. Auch darüber besteht Einigkeit. Die Weichenstellungen, die teils bereits in der Kolonialzeit, teils in den 1980er Jahren durch sogenannte Strukturanpassungsprogramme erfolgt sind, lassen sich nicht abrupt ändern. Doch sie sollten nicht die einheimische Landwirtschaft verdrängen oder behindern. Und die Landwirtschaft muss aus dem Teufelskreis herauskommen, für den europäischen Markt Exportprodukte zu produzieren, um die Einfuhren bezahlen zu können, und stattdessen schrittweise die Abhängigkeiten verringern.

Mit dem Importstopp für Zwiebeln oder mit dem Aufschwung der einheimischen Geflügelproduktion zeichnet sich hier eine Abkehr von der bisherigen Politik ab, die im Namen der wirtschaftlichen Liberalisierung die Grenzen weit für scheinbar preiswerte Nahrungsmittelimporte öffnete, wofür viele Familienbetriebe mit Ernährungsunsicherheit, Landverlust und Armut teuer bezahlt haben. Dieser Strukturwandel erfordert im übrigen auch Änderungen in der europäischen Agrarpolitik, die nach wie vor den Kreislauf von Importen und Exporten stärker fördert als die Selbstversorgung – doch auch das ist eine andere Geschichte.

Vor allem, so die einhellige Meinung, müsse die Regierung endlich die Landfrage lösen. Dafür muss sie sich allerdings mit mächtigen Interessengruppen anlegen, wie die Geschichten der Familien gezeigt haben, die die Auswirkungen steigender Landpreise, von Land grabbing und kapitalkräftigen Investoren zu spüren bekommen haben.

 

Ernährungssouveränität

So ist Senegal trotz einiger guter Ansätze und Erfolge noch weit von Ernährungssicherheit entfernt, besonders in den ländlichen Regionen, in denen zwei Drittel der Bevölkerung leben. Erst recht von Ernährungssouveränität in dem Sinne, dass das Land selbst über seine Ernährungs- und Agrarstrategie bestimmen kann. „Selbst“ heißt dabei nicht nur das Agrarministerium und andere Regierungsstellen, den neuen Präsidenten eingeschlossen. „Selbst“ bedeutet vor allem auch, dass die Bauern und Bäuerinnen, Fischer und Viehhalter, Marktfrauen und Händler Einfluss darauf haben, welche Politik gefahren wird. Denn die zahllosen, mehr oder minder wohlgemeinten Agrarprogramme haben alle eines gemeinsam: Sie werden nicht mitbestimmt von denen, für die sie angeblich bestimmt sind. Doch entscheiden sie über ihre Existenz – negativ wie bislang zumeist, positiv, wenn sie eine auskömmliche Landwirtschaft fördern würden, die ein gutes Leben auf dem Land ermöglicht.

Wie die Reise gezeigt hat, kann die Organisierung der Bauern, Fischer oder Viehhalter, die Mobilisierung von Protest und Stimme, in dieser Hinsicht einiges erreichen, ergänzt um das Engagement von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die Probleme analysieren, bei neuen Ansätzen beraten, mit Lobbying und Öffentlichkeitsarbeit der Regierung auf die Pelle rücken. „Allerdings müssen wir unsere Aktivitäten besser koordinieren“, räumt Hassan Diouf selbstkritisch ein. Die Zivilgesellschaft müsse zu einer Kraft werden, die der Regierung Paroli bieten kann, um aus den bisherigen Erfahrungen mit Zwiebeln, Fisch und Hühnerteilen Kapital für Veränderungen auch in anderen Bereichen zu schlagen.

Die Befreiung aus den Zwängen und Abhängigkeiten des internationalen Handelssystems und der Begehrlichkeit kommerzieller Investoren und Bodenspekulanten hin zur Ernährungssouveränität, auch darin sind sich alle einig, ist lang und schwierig. Möglicherweise ist sie nur regional, gemeinsam mit den Nachbarländern, möglich, gibt Cheikh Omar Ba vom Forschungsinstitut IPAR zu bedenken. Doch der erste Schritt ist der Aufbau einer eigenen, selbstbestimmten bäuerlichen Landwirtschaft, die diesen Namen verdient. Und dafür, auch das hat die Reise gezeigt, gibt es viele gute Ansätze.