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Vietnam - Die Grüne Lagune

 

von Uwe Hoering, Oktober 2012

„Es wird wieder besser“, sagt Nguyen Nhan, „aber die Fänge sind noch bei weitem nicht so gut wir vor dreißig Jahren“. Damals fing er an, als Fischer auf die Lagune Tam Giang hinaus zu fahren. Lange bevor die große Flut 1999 die Lagune überschwemmte und die Dörfer an ihren Ufern, die Fischernetze, Fischreusen und Aquakulturen zerstörte. Aber der Niedergang begann bereits vorher. Und jetzt versuchen die Bewohner von Ngu My Thanh, sich wieder hochzuarbeiten.

 

Ökotourismus

Wir sitzen im Haus von Dao Thi Bich. „Jedes Mal, wenn ich komme, hat sich hier was getan“, erzählt unsere Begleiterin vom Center for Social Research and Development, CSRD. Dieses Mal sind es die Fliesen auf dem Boden, beim letzten Mal war es ein neuer Anstrich, davor die verzierten Dachbalken. „Es wird besser“, sagt auch Dao Thi Bich.

Sie bereitet für Touristen, die den Weg aus dem nahegelegenen Hué ins Dorf finden, ein Mittagessen zu, Lunch a la Lagune sozusagen. Man sitzt auf dem Boden um zahlreiche Schalen herum, in denen „aufgetischt“ wurde, was die Lagune und die Gemüsefelder  des Dorfes so alles liefern – Shrimps, kleine Fische, große Fische, Muscheln, verschiedene Gemüse, vielfach angenehm scharf. Dazu gibt es Reis und Tee.

Unterstützt von CSRD versucht das Dorf, sich mit Ökotourismus ein zusätzliches wirtschaftliches Standbein zu verschaffen, um die Abhängigkeit vom Fischfang zu verringern. Essen, Unterkunft, eine Führung durch Ngu My Thanh, die Einblicke in das Alltagsleben und die Arbeit der Fischergemeinschaft ermöglicht. Der Großteil des Geldes, den die Besucher ausgeben für das Erlebnis von Land und Leuten, bleibt so im Dorf. Besonders für die Frauen ist das eine Möglichkeit, etwas zu verdienen. Denn nicht nur der Fischfang, sondern auch die Vermarktung liegen weitgehend in Männerhand.

Und natürlich gehört zum Ökoprogramm, das bereits über Touristikunternehmen in Hué gebucht werden kann, auch eine Fahrt hinaus auf die größte Lagune in Südostasien.

Den Mittelteil des Kahns, mit dem wir rausfahren, nimmt ein Runddach aus Strohgeflecht ein. Auf solchen engen Booten lebten früher ganze Familien, Lagunen-Nomaden. Nach der Sturmflut hat die Regierung sie angesiedelt, ihnen ein Grundstück gegeben, Geld für ein Haus. Dao Thi Bich bedauert den staatlich geförderten Landgang nicht. Jetzt gehen die Kinder zur Schule, es gibt Elektrizität und damit Fernsehen, und mehr Platz als auf dem schmalen Boot, wo in der Regenzeit die Wäsche nicht trocknete, das Leben beengt und gefährlich war. Was hilft da frei sein, es ist nicht bequem, ...

Im Brackwasser zeigt uns Nguyen Nhan die Fischfallen. Wie riesige Trichter laufen zwei Reihen von Bambusstangen, zwischen denen Netze gespannt sind, in einem ausgeklügelten, engen Labyrinth zusammen. Darin steckt eine Reuse aus Bambus und Netz, die der Fischer nur noch herauszuziehen braucht, um die gefangenen Fische einzusammeln. Das ist weitaus einfacher und erfolgreicher als die früheren einfachen Fallen, die die Fischer benutzten.

Mit vielen unterschiedlichen Fangmethoden machen die Fischer Jagd auf die geschrumpften Fischbestände. Bei Nacht werden mit starken Lampen Fische in riesige Netze gelockt, jede Familie besitzt mehrere Dutzend ‚lu’, lange quadratische Reusen, von denen jede umgerechnet 20 US-Dollar kostet und die sich viele nur mit Krediten anschaffen können. Manchen Fischarten stellen die Fischer mit Angelruten und –schnüren nach. Und gefördert von der Regierung wächst die Zahl der Shrimp-Farmen, mit denen die Fischer nach und nach zu Fischbauern werden.

 

Co-Management

Sie sind aber nicht nur Fischer, sondern Manager dieses Lagunenabschnitts. Denn nicht erst die Sturmflut hat den Einbruch der Fänge verursacht. Bereits vorher führten Pestizide und Dünger, die in der Regenzeit in die Lagune geschwemmt werden, Überfischung und engmaschige Netze zum Rückgang der Bestände. Ihre Genossenschaft versucht jetzt, einheitliche Regeln durchzusetzen, die das Fischerei-Department formuliert hat, um dessen Einhaltung es sich aber nicht kümmern kann oder will. Als Anreiz für dieses „Co-Management“ erhalten sie das Recht, hier weiterhin zu fischen.

Die Lagune ist ein besonderes, ein faszinierendes Ökosystem, und besonders fragil: In der Regenzeit bringen die Flüsse Süßwasser, in der Trockenzeit dringt Salzwasser durch die wenigen Kanäle ein, die die Lagune mit dem Meer verbinden. So variiert der Salzgehalt und bietet verschiedensten Fischarten, Algen, Plankton einen Lebensraum. Mit ihren Mangroven ist die Lagune aber auch Brutstätte, Kinderstube. Diese biologische Vielfalt ist durch äußere Einflüsse, aber auch durch Klimawandel gefährdet.

„Früher haben wir immer Netze mit größerer Maschenweite genutzt“, erzählt Fischer Nguyen Nhan. Aber dann kamen neue Netze aus China, die viel engmaschiger sind. Wenn damit die Jungfische weggefangen werden, sinken die Bestände. Manche Fischarten seien schon weitgehend verschwunden, besonders die, die Geld bringen in den Fischrestaurants der Stadt.

Doch nur, wenn sich alle an die Regeln halten, kann es gelingen, die Bestände zu regenerieren. Die Wut gilt deshalb den illegalen Fischer, die wildern. „Das ist schnelles Geld“, erklärt sagt Professor Nguyen Quang Linh von der Landwirtschaftsuniversität Hué. Mit Autobatterien und Elektrokabeln machen sie es sich leicht – und zerstören die Bestände weiter.

Aber die Genossenschaft wehrt sich. Wenn sie einen Wildfischer fangen, übergeben sie ihn der Polizei. Eine Million Dong, umgerechnet 35 Euro, muss er für seine Freilassung zahlen. 20 Millionen hätten sie inzwischen auf diese Weise in die Dorfkasse bekommen, berichtet Dorfchef Tran Vong stolz. Das würde aber immer noch nicht reichen, um den Schaden und die Kosten, die Raubfischer dingfest zu machen, auszugleichen. Doch immerhin würde es einige abschrecken.

Außerdem haben sie sich zusammengesetzt, um ihr Wissen über die Lagune zusammenzutragen. Sie haben ihre unterschiedlichen Fangmethoden und das saisonale Verhalten der Fische beschrieben. Sie haben die Veränderungen im Salzgehalt in der Lagune je nach Jahreszeit gemessen, die Vielfalt der Fische, ihren wirtschaftlicher Nutzen, ihre Gefährdung erfasst.

Einige Fangmethoden wie engmaschige ‚lu’, die besonders schädlich sind, sind seither „verpönt“, versichert Tran Vong. Andere wurden verbessert, verfeinert und effizienter. Basierend auf der Kombination ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen und wissenschaftlichen Erkenntnisse haben sie einen saisonalen Fangplan aufgestellt, mit den besten Fangzeiten und mit  Schutzperioden für die Brutzeiten. Und wie der Fischer Nguyen Nhan sagte, scheint es sich auszuzahlen. Die Fänge gehen langsam wieder in die Höhe.

 

Patchwork-Ökonomie

Dennoch bringt der Fischfang nicht viel: In der ersten vier Monaten des Jahres, vom Vollmondfest Ende Januar bis April, hätten sie umgerechnet fünf US-Dollar am Tag verdient, sagt Dao Thi Bich, danach erheblich weniger. Einige besonders begehrte Fischarten oder Krebse bringen zwar bei Restaurants umgerechnet bis zu zehn Euro je Kilo, erzählt Phan Van Ty, der für die Genossenschaft die Vermarktung organisiert. Doch sind sie selten geworden. Vieles, was den Fischern in die Netze geht, wandert in den Hot Pot, in die Suppe, oder ist nur als Tierfutter geeignet, bringt also kein Geld.

Der Kredit für die Netze sei daher noch nicht abgezahlt, sagt Dao Thi Bich. Und so geht es vielen hier. Sie muss es wissen, denn sie bekocht nicht nur Ökotouristen, sondern sammelt auch im Auftrag der Bank die Rückzahlungsraten in den umliegenden Dörfern ein. Und manchmal hätten Familien große Schwierigkeiten, die fällige Rate zu bezahlen.

Tatsächlich gibt es deshalb Probleme mit dem Nachwuchs. Von den Jungen, die sich um die Besucher scharen, will keiner Fischer werden. Lehrer vielleicht, oder Rockstar. Aber Nachts raus auf die Lagune, um die Netze einzuholen? Und das bei diesem geringen Einkommen! Einkommensmöglichkeiten durch den Tourismus und eine weitere Diversifizierung der Einkommen, so die Hoffnung, könnte das Leben im Dorf, den Fischfang, den Einsatz für die Rettung der Lagune vielleicht doch attraktiver machen.

 

Weiß, blau, grün, ...

Damit liegen die Bewohner von Ngu My Thanh durchaus im Trend. Der Tourismus in Vietnam boomt mit über fünf Millionen Besuchern im Jahr. Wenn nur ein kleiner Teil davon das Dorf und die Lagune besuchen würde, würde das schon helfen. Aber auch andere haben das Potenzial der Lagune entdeckt.

Denn zusätzlich gibt es zwischen ihren glitzernden Wasserflächen, Reisfeldern und Fischfarmen und dem Meer einen Streifen hoher Dünen und Kiefernwälder, und dahinter feinen weißen Sandstrand. Bislang sind es noch zumeist Wochenendausflügler aus Hué, die hier an windschiefen, schnell zusammengezimmerten Buden, unter Bambusschirmen und auf Plastikstühlen, wie sie überall in der Welt inzwischen die Strände und einfachen Cafés bestuhlen, zum Essen und Trinken kommen.

Eine besondere Attraktion sind die zahlreichen Grabstätten, die in den Dünen und den Feldern liegen. Exilvietnamesen schicken ihren Familien  Geld, damit sie zum Gedenken der Ahnen immer größere Grabmäler errichten. Manche sind prächtig wie Tempel, überragen die Dorfhäuser nebenan. „Besser wäre es, das Geld würde für produktive Zwecke verwendet“, meint Professor Linh.

Diese Szenerie aus grünen Feldern, weißem Sand und blauem Meer gerät jetzt in das Visier der Tourismusindustrie. In der alten Kaiserstadt Hué, keine 30 Kilometer entfernt, wird als Touristenmagnet bereits der Palast wieder aufgebaut, der in den vergangenen kriegerischen Jahrzehnten bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Dazu soll als zweites Standbein Meer und Strand kommen. Die ersten Rohbauten für Touristenresorts stehen bereits, vor den Fluten geschützt hinter den Dünen.

Dafür sollen die Dorfbewohner weichen und anderswo angesiedelt werden. Versprochen sind andere Einkommensmöglichkeiten als Fischfang und Aquakultur. Einige werden aber auch bleiben können – um die Touristenboote auf die Lagune hinaus zu fahren, oder als Fischer, die fotogen ihre Netze auswerfen.

Siehe dazu das Netzwerk ADAPTS (Adaptation Strategies for River Basins), das in sechs Regionen weltweit ähnliche Projekte durchführt.