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Gastbeitrag

Selbstbestimmung über unser Essen

August 2011: BeimNyéléni-Forum, das Mitte August in Österreich stattfand, wurde eine europäische Bewegung für Ernährungssouveränität angestoßen, berichtet Berit Thomsen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in ihrem Gastbeitrag:

In Irland werden meist Kartoffeln aus Kenia angeboten. Ernährungssouveränität bedeutet für mich, dass ich Zugang zu Lebensmitteln habe, die vor Ort produziert werden“, sagt Jiân Crowley von Food Action in Irland. „Nicht die Konzerne, sondern ich als Bäuerin muss entscheiden können, welches Saatgut ich anbaue, oder ob ich meine Milch als Rohmilch verkaufe“, ist die Sicht der österreichischen Bäuerin Monika Kleinschuster, Vorstandsmitglied ÖBV-Via Campesina. Mehr als 400 Bauern, Verbraucher, Tierschützer, Umweltaktivisten, Frauenrechtler, Globalisierungskritiker und andere Vertreter aus 34 europäischen Ländern nahmen vom 16. bis zum 21. August an dem ersten europäischen Nyéléni-Forum für Ernährungssouveränität im österreichischen Krems teil. Das Treffen organisierten die Europäische Koordination Via Campesina, Attac und verschiedene österreichische Organisationen und Plattformen.

Aus Deutschland hat eine zwanzigköpfige Delegation verschiedener Verbände und Organisationen an dem Nyéléni-Forum zur Ernährungssouveränität teilgenommen. „Patente sind das beste System, um Ernährungssouveränität zu unterlaufen und zu verhindern. In diesem Forum geht es darum, dass auf den Stufen der Wirtschaft, Verarbeitung und Vermarktung die Bauern die Rechte in der Hand haben müssen“, sagt Ruth Tippe von „Kein Patent auf Leben“. Aus Verbraucherperspektive fügt Nadja Flohr-Spence von Slow FOOD Deutschland hinzu: „Wir müssen anfangen, die Verbraucher zu informieren. Es gibt einen riesigen Bildungsbedarf. Ernährungssouveränität kann keine Unterstützung in der Gesellschaft finden, wenn der Verbraucher nicht Bescheid weiß.“

Die Menschen in Europa informieren. Die Selbstbestimmung wieder in die Hand nehmen. Aber wie umsetzen? Darüber haben die Teilnehmer aufgeteilt in fünf Arbeitsgruppen und mehr als zwanzig Unterarbeitsgruppen diskutiert. „Die Bauern und Städter müssen gemeinsam eine Bewegung in Gang setzten. Die vielen Initiativen auf lokaler Ebene müssen ermutigt werden“, sagt die österreichische Bäuerin Heike Schiebeck. „Das Konzept der Ernährungssouveränität macht nur Sinn, wenn wir das nicht nur lokal durchsetzen, sondern europäisch und weltweit“, bringt ein Vertreter aus Belgien ein.

Die vielen länderübergreifenden Debatten sind hilfreich und wichtig. Dennoch behindern neben unterschiedlichen Themen, Denkweisen, nationalen Strategien und Kulturen auch die Sprachen manchmal Gespräche, bei dem am Ende etwas hieb- und stichfestes auf dem Tisch liegt. In den Chancen, eine bunte, vielfältige in allen möglichen Regionen verankerte europäische Bewegung zur landwirtschaftlichen Selbstbestimmung die Gänge zu bringen, liegen gleichzeitig die Schwierigkeiten. Trotzdem gehen die Teilnehmer mindestens mit vielen Eindrücken, mit dem Wissen um die vielen Initiativen in anderen europäischen Ländern und mit neuen Kontakten zu ihren Aktivitäten vor Ort zurück. „Es macht Mut mitzuerleben, dass in anderen Ländern so viele Menschen von unterschiedlichen Organisationen ähnlich denken wie wir und in den verschiedensten Regionen Europas Aktionen und Aktivitäten auf die Beine stellen“, sagt Henrik Maaß, Sprecher der jungen Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und Mitglied im AbL-Bundesvorstand: „Das gibt uns jungen Bäuerinnen und Bauern in Deutschland Kraft für unsere Bewegungsarbeit.“

In Deutschland organisieren bereits seit Beginn diesen Jahres 37 Trägerverbände in der Kampagne ,Meine Landwirtschaft' eine Bürgerbeteiligung zur Neuausrichtung der europäischen Agrarpolitik“, sagt Maria Heubuch, Milchbäuerin und AbL-Bundesvorsitzende: „Wir wollen dieses Feld nicht mehr der Agrarlobby überlassen, sondern Bäuerinnen und Bauern nehmen gemeinsam mit anderen Bürgern die Verantwortung in die Hand. Das ist Ernährungssouveränität in gelebter Form.“

Aus dem Nyéléni-Forum ist eine zweiseitige Deklaration entstanden mit einer Definition zur Ernährungssouveränität. Konkreter in der Umsetzung sind erste Zustimmungen, Aktivitäten zu bündeln und koordinierte Aktionen durchzuführen, wie etwa die Idee einer europäischen Aktionswoche. Die Vernetzung von Bewegungen und Initiativen auf europäischer Ebene hat in einem bisher noch nicht da gewesenem Maße stattgefunden. Das Nyéléni-Forum zur Ernährungssouveränität geht sicher aktiv in den Ländern weiter und gemeinsame europäische Initiativen sind mindestens angestoßen.

http://nyeleni2011.net

Siehe auch den Bericht von Bettina Dyttrich in der WOZ vom 1. September 2011