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Familienlandwirtschaft - eine Schimäre

Ein Jahr lang Anerkennung für ein Trugbild

Von Uwe Hoering, Oktober 2014

Nicht nur der diesjährige Welternährungstag am 16. Oktober 2014 stand unter dem Motto ‚Family Farming: Feeding the World, Caring the Earth’, das ganze Jahr 2014 wurde von den Vereinten Nationen der sogenannten Familienlandwirtschaft gewidmet. Viele Beobachter sehen darin die Anerkennung für die entscheidende Rolle, die die bäuerliche Landwirtschaft für Ernährungssicherung, Umweltschutz, Armutsminderung und ländliche sowie wirtschaftliche Entwicklung spielt, einige gar den Beginn ihrer "Renaissance".  Bei zahllosen Konferenzen wurde und wird das Loblied der Familienbetriebe gesungen, in noch zahlreicheren Publikationen, darunter der FAO-Bericht 'The State of Food and Agriculture 2014', ihre Bedeutung mit Fallbeispielen, Porträts erfolgreicher Bauern und Bäuerinnen und Erfolgs-Projekten unterstrichen. Regierungen und Entwicklungsorganisationen werden aufgerufen, jetzt endlich mehr für sie tun – mehr Unterstützung, mehr Kredit, mehr Marktzugang, mehr Anerkennung, .... Angesichts dieses Trommelfeuers an Wertschätzung für die bäuerliche Landwirtschaft jubelte die weltweite Bauernorganisation La Via Campesina: „Politicians have begun to recognise the need to preserve all forms of agriculture – and not just the industrial model – to ensure global food security.

Das Interesse geht sicher zum Teil auf die enormen Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel vor sechs, sieben Jahren zurück. Sie machten schlagartig klar, dass das Ernährungssystem – trotz Überschussproduktion -  anfällig ist für Preisschwankungen und damit für politische Konflikte. Und dass es nicht geeignet ist, Armut, Hunger und Mangelernährung zu beseitigen. ‚Business as usual’ scheint tatsächlich nicht mehr zu reichen, wie der sogenannte Weltagrarbericht vor Jahren formulierte. 2011 wurde daher von den Vereinten Nationen beschlossen, die Familienlandwirtschaft zu ehren. In den Fokus gerieten damit nach Jahrzehnten der Vernachlässigung die – nach Angaben der FAO - 500 Millionen Familienbetriebe mit 1,3 Milliarden Menschen, die mindestens 56 Prozent der Agrarproduktion erarbeiten und bis zu 70 Prozent der Nahrungsmittel liefern.

 

Verschleierung

Stutzig machen sollte allerdings schon die Wortwahl  - nicht bäuerliche oder gar kleinbäuerliche Landwirtschaft, sondern „Familienlandwirtschaft“. Angeblich wurde der Begriff gewählt, um eine umfassende Bezeichnung für eine breites Spektrum unterschiedlicher Realitäten zu haben – „to supersede the competing and often connoted concepts that are generally used: small-scale farming, subsistence farming, peasant farming, etc.“, wie Ibrahim Assane Mayaki, CEO der New Partnership for Africa’s Development (NEPAD) sagt. Doch der Begriff Familienlandwirtschaft taugt nicht als Oberbegriff, eher als Verschleierung.

Zwar klingt er wie eine Abgrenzung gegen die industrielle Landwirtschaft, gegen Plantagen, Monokulturen, Konzerne, Agrarspekulanten – besonders in Definitionen, wie sie beispielsweise der Soziologieprofessor Jan Douwe van der Ploeg aufstellt: Demnach sei die Familienlandwirtschaft „ein Lebensstil“, nicht nur eine Produktionseinheit, sondern ein „lebendiges Umfeld, normalerweise mit Geschichte und Traditionen“. Da ersteht vor dem inneren Auge das Bild vom Bauernhof aus dem Bilderbuch oder den Fernsehserien.

Doch die Familienlandwirtschaft als Gegenbild gibt es nicht. Es gibt Familienbetriebe mit hunderten, tausenden von Hektar, riesige Plantagen und ausgedehnte Weideflächen gehören Familien. In allen Ländern sind auch viele Familienbetriebe bereits voll in die Kommerzialisierung durch die  Agroindustrie integriert. Farmen in den USA sind kaum zu vergleichen mit ‚Shambas’ in Afrika. Die Eigentumsform sagt wenig bis gar nichts über Betriebswirtschaft oder Kommerzialisierungsgrad aus, über eine Orientierung auf Ernährungssicherung, auf die Vermeidung von Pestiziden und Agrargiften, auf die Erhaltung tradierten Wissens oder kultureller Traditionen, über Lebensstil oder Verhältnis zu Natur und Umwelt, Kultur und sozialer Gemeinschaft.

Aufschlussreich ist die Übersicht über die Bedeutung der Familienlandwirtschaft in einer Infografik der FAO auf der Website des UN-Jahres der Familienlandwirtschaft. Danach sind in Nord- und Zentralamerika 83 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche („farmland“) in der Hand von gut zwei Millionen Familienbetrieben, ähnlich hoch wie in Asien mit seinen hundert Millionen kleinbäuerlichen Betrieben. In Europa sind es demnach noch 68 Prozent, in Afrika nur 62 Prozent. In Lateinamerika ist die Enteignung der Familienbetreibe bereits am Weitesten fortgeschritten: Dort seien es nur noch 18 Prozent. Unterschiedslos werden hier Handtuch große Felder und riesige Monokulturen, hochtechnologisierte Betriebe und Hackfeldbau, intensive Bewässerungslandwirtschaft und prekärer Regenfeldbau, elende Subsistenzwirtschaft und profitable Agrarunternehmen in eine Rubrik gepackt.

 

Kein Idyll

Will sagen: Definition und Vorstellung von Familienlandwirtschaft decken sich nicht mit der Realität der meisten Betriebe. Entsprechend vielfältig und unterschiedlich sind die Anforderungen an ihre Unterstützung. Das gilt besonders für viele Länder des globalen Südens: Nicht die Familie „ist der Schlüssel zum Erfolg“, wie van der Plog definiert, sondern alleinstehende Frauen oder die Alten und Kinder, weil die Jugend in die Städte abwandern musste. Es gibt viele Betriebe, die nicht durch die Arbeitskraft der ‚Familie’ bestehen, sondern durch - zumeist schlecht bezahlte - TagelöhnerInnen. Umgekehrt sind viele Bauern und Bäuerinnen selbst auf Lohnarbeit angewiesen, für die sie oft weit migrieren und die eigenen Felder vernachlässigen müssen. Deshalb stimmt es auch nur in wenigen Fällen, dass „die Farm den Großteil des Einkommens und der Nahrungsmittel für die Familie schafft “ – andere Einkommensmöglichkeiten oder Rücküberweisungen aus urbanen Beschäftigungsverhältnissen sind längst in erheblichem Umfang notwendig, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Vertragslandwirtschaft, die viele Familienbetriebe einbindet und statt Selbstbestimmung häufig Abhängigkeit und Ausbeutung bringt, ist verbreitete Realität, kommt aber in der Diskussion kaum vor. Ebenso wenig Schuldknechte und Ernteteilhaber wie in Indien, die bis zu 50 Prozent an den Landbesitzer abgeben müssen, oder wie gemeinschaftliche Formen der Landnutzung. Stattdessen wird ein rosiges Bild einer bäuerlichen Familienlandwirtschaft suggeriert, die längst nur noch in Ausnahmefällen existieren dürfte – wenn sie denn je als vorherrschendes Modell existiert hat.

 

Wohlfeiles Loblied

Unklar bleibt auch, wie die neue Anerkennung in Unterstützung umgesetzt werden soll. Es ist wenig zu hören von Programmen, von Geldern, von  massivem Einsatz der Entwicklungspolitik und -institutionen für die hochgelobten Familienbetriebe. Wie viel von den Milliarden, die von Regierungen, Stiftungen, Unternehmen und Finanz- und Entwicklungsorganisationen für die Förderung der Landwirtschaft in Aussicht gestellt werden, für sie gedacht ist und bei ihr dann auch ankommen wird, ist völlig unklar. Erst recht kümmern die Liebe zur Familienlandwirtschaft nicht Gefahren wie Land grabbing oder große Infrastrukturprojekte, die die bäuerliche Landwirtschaft bedrohen, oder Strategien, sie dagegen zu schützen.

Ende Oktober 2014 soll bei einem Global Dialog bei der FAO in Rom überlegt werden, wie es weiter gehen kann. Man darf gespannt sein. Allerdings hat die FAO nur wenig Möglichkeiten, etwas zu unternehmen. Sie ist für ihre Projekte und Programme weitgehend auf Finanzmittel der Mitgliedsregierungen angewiesen und sucht deshalb zunehmend auch Partnerschaften mit Konzernen aus der Agrar- und Ernährungsindustrie – und die tickt mit ihren Öffentlich-privaten Partnerschaften wie der New Alliance, der German Food Partnership oder SUN, die Scaling up Nutrition Initiative so ganz anders als die Freunde der Familienlandwirtschaft.

Anders als im Rahmen des Diskurses von Welternährungstag und UN-Jahr bei FAO & Co. wird hier kaum von Familienbetrieben gesprochen, sondern realitätsgerechter von „Geschäftsmodellen“, in denen auch bäuerliche Betriebe Platz finden sollen, von der „Integration marktorientierter Kleinbauern in Wertschöpfungsketten“, von bäuerlichen Betrieben als  Unternehmen, die profitabel gemacht werden müssen - eben 'business - as usual'.

Damit zielt die Industrie lediglich auf einen kleinen Teil der bäuerlichen Betriebe, die genügend Land und günstige Produktionsbedingungen haben, die kreditwürdig sind und aufgeschlossen für eine moderne Landwirtschaft mit Hochertragssorten, Agrarchemie und Gentechnologie. Am Ende werden vielleicht zehn Prozent der „Familienbetriebe“ hier ihren Platz finden, wirtschaftlich mehr oder doch eher weniger gesichert und auskömmlich.

Man erinnere sich an die sogenannte Grüne Revolution, die ja gerne als Vorbild für die gegenwärtige Agraroffensive genutzt wird. Auch sie zielte auf die „Familienlandwirtschaft “, auf kleinbäuerliche Betriebe, aber vorrangig auf jene an sogenannten Gunststandorten, mit guten Böden und geregelter Wasserversorgung, mit Zugang zu Märkten und Krediten. Wie sich in Indien zeigte, ging das vielfach auf Kosten der marginalen Betriebe, die nicht mithalten konnten, verdrängt und aufgekauft wurden und deren Nutzer das riesige Heer der Landlosen vergrößerten. Zudem ging diese Modernisierung an großen Teilen des Landes, an Millionen kleinbäuerlichen Betrieben in Regionen mit weniger günstigen Produktionsbedingungen wie den Regenfeldbauregionen in Zentralindien vorbei – für sie gab es Sozialprogramme und Kampagnen zur Armutsbekämpfung, ein breites Betätigungsfeld für zivilgesellschaftliche Entwicklungs- und Hilfsorganisationen, ohne dass sich Hunger, unzureichende Ernährung und Armut durch diese ‚Revolution’ wesentlich verringert hätten.

 

Kein schöner Land

So wenig, wie die Beschreibung der Situation im Agrarbereich als Familienlandwirtschaft mit dem Ist-Zustand zu tun hat, so wenig verspricht die Entwicklung, die als 'Familienlandwirtschaft' idealisierte bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten oder gar wiederzubeleben. Dass die Integration in die Wertschöpfungsketten keinesfalls höhere Preise für die Produzenten bringt, davon können nicht nur Europas Milchbauern ein Lied singen. Wenn die Betriebe durch die Mühlen der Modernisierung, Marktintegration, der inklusiven Geschäftsmodelle und der Vertragslandwirtschaft gedreht wurden, so ist zu erwarten, bleiben am Ende nur wenige übrig, so wie in Europa. Und die Visionen beispielsweise des Weltagrarberichts von Alternativen in der landwirtschaftlichen Produktionsweise, von lokaler Produktion und geschlossenen Kreisläufen von Produktion und Konsum, von der Nutzung überkommenden Wissens und dem Einsatz umweltorientierter Methoden, von Ernährungssouveränität gar, spielen hier bestenfalls eine marginale Rolle. Die reale Entwicklung zerstört das ideale Bild, das im Jahr der Familienlandwirtschaft gezeichnet wird – und das ist ja nun auch bald zu Ende.