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Spekulation mit Nahrungsmittel

Regulierung soll die Ernährungssicherheit verbessern

 

von Uwe Hoering, September 2010

Zahlreiche Studien haben darauf hingewiesen, dass die sogenannte „Finanzialisierung“ der Nahrungsmittelmärkte eine Folge der Finanzkrise ist. Spekulanten suchten neue, kurzfristig lukrative Anlagemöglichkeiten und trugen damit zu den explosiven Preissteigerungen für Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen und Mais vor zwei Jahren wesentlich bei. (1) Ein Bereich dabei sind die Warentermingeschäfte (Futures), Verträge über den Kauf beziehungsweise Verkauf einer bestimmten Menge zu einem festgelegten Termin und Preis, die für Produzenten und Abnehmer Planbarkeit und Risikoabsicherung verbessern („hedge“). Der Handel mit diesen Verträgen bietet besonders bei starken Preisschwankungen erhebliche Gewinnmöglichkeiten. Ökonomische Grunddaten wie die wachsende Konkurrenz zwischen verschiedenen agrarischen Rohstoffen um Land- und Wasserressourcen lassen erwarten, dass dieses Interesse spekulativer Anleger dauerhaft sein könnte. Gleichzeitig warnen Beobachter, dass sich hier nach der Immobilienkrise die nächste spekulative „Blase“ aufbauen könnte. (2) Daher gibt es inzwischen von Regierungen, nichtstaatlichen Entwicklungsorganisationen, Gewerkschaften und Agrarinstitutionen Forderungen, im Namen von Nahrungsmittelsicherheit und Armutsminderung die Märkte für Agrarprodukte, besonders für Grundnahrungsmittel, zu regulieren. Das Thema wird auch beim G20-Treffen von Industrie- und Schwellenländern im November im koreanischen Seoul auf der Tagesordnung stehen und auch die EU-Kommission bereitet gesetzliche Regelungen vor.

 

Neuere Veröffentlichungen

Zur Unterfütterung der Forderung nach einer Regulierung der Märkte für Agrarprodukte nehmen eine Reihe neuerer Veröffentlichung noch einmal die Rolle der Spekulation in den Blick. Die Studie „The great hunger lottery“ von World Development Movement (3) analysiert die Auswirkungen des Handels mit Derivaten auf den Handel mit Nahrungsmitteln. Derivate sind hoch riskante aber auch sehr lukrative Finanzmarktprodukte, die im vergangenen Jahrzehnt von Banken und Investmentfonds entwickelt wurden und wesentlich zur Finanzkrise beigetragen haben. Die Studie weist nach, dass Rohstoff-Derivate eine wichtige Rolle bei den Preisschwankungen und dem Preisanstieg für Nahrungsmittel spielten. WDM schätzt, dass allein die Investmentbank Goldman Sachs im Jahr 2009 durch Spekulationsgeschäfte mit Nahrungsmitteln einen Gewinn von 1 Milliarde US-Dollar machte, eine Zahl, die die Bank allerdings als „lachhaft übertrieben“ abtut. (4) Darüber hinaus beschreibt die Studie die Folgen für einkommensschwache Familien, die oft den größten Teil ihres Einkommens für Ernährung ausgeben, und die die Auswirkungen der Finanzkrise wie Arbeitslosigkeit und Armut verstärkten. Weitere Schwerpunkte sind die Ursachen der gegenwärtigen Situation, die Gefahr einer neuerlichen Verschärfung der Nahrungsmittelkrise und Vorschläge, wie die Politik dem Problem begegnen sollte.

Auch die Studie „Financing food“, vorgelegt von der niederländischen Organisation SOMO, will einen Beitrag leisten zum besseren Verständnis, wie die „Finanzialisierung“ von Märkten für Agrarrohstoffe abläuft. (5) Sie schaut besonders darauf, wie der Markt für Derivate funktioniert, wer die wichtigsten Finanzakteure sind, wie sich der Markt für Termingeschäfte mit Agrarprodukten verändert hat und welche Auswirkungen die Kapitalzuflüsse durch neue Akteure auf Preise und Preisschwankungen haben. Und sie zeigt, wie Großbanken wie Goldman Sachs oder die Deutsche Bank große Teile des Derivat-Handels kontrollieren und die Finanzspekulation ausweiten. Auch hier werden Vorschläge vorgelegt für Reformen des Finanzmarkts für Agrarprodukte, um eine ausufernde Spekulation zu verhindern.

 

Der Ruf nach Regulierung

Die zunehmende Bedeutung von Spekulationskapital für die Preise lebenswichtiger Grundnahrungsmittel und damit für die Importe vieler Länder sowie für ärmere Bevölkerungsgruppen hat der Forderung nach mehr Regulierung Auftrieb gegeben. So sehen WDM und SOMO die Notwendigkeit, dass Regierungen die Märkte für Rohstoff-Derivate durch größere Transparenz und öffentliche Abwicklung von Verträgen sowie durch Mengenbeschränkungen für Verträge von Spekulanten (position limits) einschränken. Ähnlich wie bei der Forderung nach einer Regulierung der übrigen Finanzmärkte sollten sich auch die Agrarrohstoffmärkte wieder stärker auf ihre Rolle der Risikoabsicherung und Kapitalbeschaffung konzentrieren.

Ähnlich sieht Joachim von Braun, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung in Bonn und früherer Generaldirektor des International Food Policy Research Institute (IFPRI) in Washington, in der „Funktionsstörung der Weltgetreidemärkte“ und ihrer „Finanzialisierung“ durch die Verflechtungen mit Finanz- und Energiemärkten eine wesentliche Ursache für die Preissteigerungen. Zwar sei die Krise teilweise auch die Folge einer langjährigen Vernachlässigung der Investitionen in die Landwirtschaft der Entwicklungsländer und wenig durchdachter Subventionspolitiken in den Industrieländern. Doch die „Volatilität der Nahrungsmittelpreise“ müsse „auf globaler Ebene angegangen werden“. Dazu würden neben „offenem Handel und transparenten, angemessen regulierten Marktinstitutionen“ die Erhöhung der Spekulationskosten für nicht-kommerzielle Händler, zum Beispiel durch die Vorgabe von Kapitaldepotvorschriften, gehören. (6) Auch andere ordnungspolitische Maßnahmen (9) wie eine Begrenzung des Kreises der Marktteilnehmer, Vorschriften zur Eigenkapitaldeckung oder Verpflichtungen, dass Investoren einen bestimmten Prozentsatz ihrer Vertragsmengen in natura vorhalten müssen, um ungedeckte Leerverkäufe zu bremsen, könnten dazu beitragen, den kommerziellen Handel wieder auf seine Absicherungsfunktion zurück zu schneiden und die Entstehung einer neuen spekulativen Blase zu verhindern.

Auch die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) hält „eine gewisse Regulierung“ für wünschenswert, Interventionen sollten aber „vorsichtig“ erfolgen und keinesfalls „zu strenge Beschränkungen oder gar ein Verbot anstreben“, weil dadurch der Kapitalzufluss, der für die Absicherungsfunktion der Märkte notwendig sei, verhindert würde. (7)

 

Hoffnungen

Anfang Juli 2010 wurde in den USA ein Reformgesetz verabschiedet, das den Börsenhandel transparenter machen soll und Preisgrenzen sowie andere Beschränkungen für Termingeschäfte einführen will. Steve Suppan, Rohstoffexperte beim Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP), sieht darin zumindest einen „ersten Schritt“ in die richtige Richtung. Obwohl das Gesetz noch umgesetzt werden muss, ist es in seinen Augen ein Beweis, dass sich eine zunehmende Finanzialisierung und Ernährungssicherung durchaus vereinbaren lassen. (8) Aber auch ordnungspolitische Maßnahmen (9) wie eine Begrenzung des Kreises der Marktteilnehmer, Vorschriften zur Eigenkapitaldeckung oder Verpflichtungen, dass Investoren einen bestimmten Prozentsatz ihrer Vertragsmengen in natura vorhalten müssen, um ungedeckte Leerverkäufe zu bremsen, könnten dazu beitragen, den kommerziellen Handel wieder auf seine Absicherungsfunktion zurück zu schneiden und die Entstehung einer neuen spekulativen Blase zu verhindern.

Erwartet wird zudem, dass das Thema eine wichtige Rolle bei den Diskussionen des G20-Treffens im November spielen wird. So unterstützt die Koalitionsregierung in Berlin eine französische Initiative, die in einem 48-seitigen Diskussionspapier für schärfere Vorgaben der EU für den Rohstoffhandel plädiert (10), und will sich im Rahmen der G20 für eine Begrenzung der Preisschwankungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten einsetzen. Um diesen Prozess durch gemeinsame Kampagnen und andere Aktivitäten voranzutreiben, kamen am 20. September in Brüssel zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen zu einem Strategietreffen zusammen, organisiert von WDM, SOMO und IATP. (11)

Vor allzu großen Hoffnungen, durch eine stärkere Regulierung die Ernährungskrise dauerhaft in den Griff zu bekommen, warnt ein Diskussionsbeitrag auf globe-spotting.de. Uwe Hoering weist darauf hin, dass die Spekulation nur ein Teil der die Preise bestimmenden Markt- und Machtstrukturen ist, zu denen zum Beispiel die globalen Nahrungsmittelkonzerne gehören. (12) Der Spekulation müsse durch die Veränderung der agrarpolitischen Strategien die Grundlage entzogen werden, etwa durch die Eingrenzung des Anbaus von Agrartreibstoffen oder durch die Förderung der lokalen Produktion von Grundnahrungsmitteln durch bäuerliche Landwirtschaft, die die Importabhängigkeit und den globalen Handel verringert würde. Die Regulierungsdebatte könnte dazu beitragen, von solchen notwendigen Maßnahmen abzulenken.

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(1) Peter Wahl, Food Speculation The Main Factor of the Price Bubble in 2008. Weed Briefing Paper, Februar 2009. http://www.weed-online.org/show/2215521.html?searchshow=food speculation

IATP, Commodities Market Speculation: The Risk to Food Security and Agriculture. November 2008. http://www.iatp.org/iatp/publications.cfm?refid=104414

(2) http://ezinearticles.com/?Are-Commodities-The-Next-Investment-Bubble?&id=1037591

(3) The great hunger lottery. How banking speculation causes food crises, by Tim Jones. World Development Movement (WDM), July 2010. www.wdm.org.uk/food-speculation/great-hunger-lottery

(4) www.guardian.co.uk/environment/food/

(5) Financing Food. Financialisation and Financial Actors in Agriculture Commodity Markets, by Thijs Kerckhoffs u.a. SOMO, April 2010. http://somo.nl/publications-en/Publication_3471/view

(6) Joachim von Braun, Food-Weltmärkte außer Kontrolle. In: Weltwirtschaft & Entwicklung 08/2010. www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org

(7) www.fao.org/news/story/pt/item/43412/icode/en/

(8) New rules to curb Wall Street's influence over food and farming, by Institute for Agriculture and Trade Policy (IATP). www.iatp.org/iatp/press.cfm?refid=107616

(9) Uwe Kerkow, Spekulation mit dem Hunger. In: Neues Deutschland, 08.09.2010. http://www.neues-deutschland.de/artikel/179139.spekulation-mit-dem-hunger.html

(10) FAZ vom 1. September 2010

(11) http://somo.nl/news-en/seminar-to-curb-food-speculation/

(12) Uwe Hoering, Nahrungsmittelpreise: Den Hunger wegregulieren. http://www.uwe-hoering.de/regulierung.html