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"Ideologisch-demagogischer Rockstar" der Gentechkritik

von Uwe Hoering, September 2014

In einem langen Artikel in der renommierten, auflagenstarken Zeitschrift 'The New Yorker' reitet der Journalist Michael Specter, bekennender Befürworter der Gentechnologie im Agrarbereich, eine heftige Attacke gegen Vandana Shiva als eine – so Specter – „Heldin für Anti-GMO-Aktivisten in aller Welt “. Die indische Aktivistin führt wie kaum eine andere die Kritik an Globalisierung, industrieller Landwirtschaft und Gentechnologie in der Landwirtschaft öffentlich und offensiv – ihre zahllosen Auftritte, Interviews, Bücher und Kampagnen haben wesentlich dazu beigetragen, den Widerstand gegen Gentechnologie in der Landwirtschaft im Besonderen und gegen die globalisierte Agrarindustrie im Allgemeinen zu stärken, besonders in Europa und den USA.

Man könnte den Beitrag 'Seeds of Doubt' getrost ignorieren, folgt er doch der üblichen Choreographie der Gentechnologie-Befürworter: Die Versprechungen der Gentechnologie, die im Cash Crop-Bereich (Baumwolle, Soja, Futtermais, u.a.) gelinde gesagt umstritten, als Beitrag gegen den Hunger völlig unbewiesen und höchst fraglich sind, werden überzeichnet beziehungsweise unhinterfragt übernommen und durch Stippvisiten bei indischen Bauern – scheinbar authentisch - widerlegt. Die Risiken und Gegenargumente werden heruntergespielt oder ausgeblendet. Und die dubiosen Machenschaften der Agrarindustrie, ihre gentechnisch veränderten Produkte durch Einfluss auf die Saatgutgesetzgebung, durch Patentierung und massive Lobby-Arbeit in die Märkte von immer mehr Ländern zu drücken und den Widerstand dagegen zu brechen, werden schlichtweg unterschlagen. Das gleiche gilt für vielversprechendere Alternativen im konventionellen Züchtungsbereich, aber auch für landwirtschaftliche Methoden wie beispielsweise eine diversifizierte, agro-ökologische bäuerliche Landwirtschaft, die als „romantische Sichtweise des Bauernhofs“ diffamiert werden.

Unabhängige Expertise gegen die Gentechnologie, ernst zu nehmende Kritiker der Agrarindustrie oder die vielfältigen Studien über die Potenziale alternativer Ansätze kommen nicht zu Wort. Stattdessen sind Specters Kronzeugen überwiegend ausgewiesene Befürworter, darunter auch einige, die mehr oder weniger eng mit der Industrie kooperieren. Wie gesagt, das übliche Muster, ....

Was den Beitrag dennoch bemerkenswert macht, ist erstens die systematische persönliche Diffamierung von Vandana Shiva und ihrer Position und Argumente. Für Specter ist sie anscheinend ein rotes Tuch, möglicherweise ganz schlicht aus dem Grund, dass seine Interview-Anfragen von ihr abgeblockt wurden. Implizit und explizit wird ihr eine wissenschaftliche Qualifikation abgesprochen. Darüber hinaus ziehen sich entsprechend abwertende Bezeichnungen wie „Pilgerfahrt“ und "Kreuzzug" für ihre Kampagnen-Aktivitäten, „Rockstar“, ihr „Talent für Brandstifter-Analogien“, „Absolutismus“, die Berufung auf „Religion“ bei ihrem Angriff auf die Gentechnologie im Agrarbereich und Unterstellungen wie  die „Verwechslung von Korrelation und Ursache“ durch den Text. Sie sei „ideologisch“ und „demagogisch“, ihr Einsatz für traditionelle Lebensweisen und organische Landwirtschaft wird belächelt. Genüsslich pickt Specter ihre oft drastischen Zuspitzungen wie „Saatgut-Diktatur“ und „Nahrungsmittel-Totalitarismus“ und einzelne Fälle, in denen ihre Zahlenangaben und Argumente durchaus hinterfragt werden können, heraus, um davon abzulenken, dass dahinter eine durchaus sehr viel differenziertere und fundiertere Argumentation steht.

Zweitens – und wichtiger - ist dieser hochrangig platzierte Beitrag Teil einer Serie von Angriffen auf Kritiker den Gentechnologie, die deren Glaubwürdigkeit zum Ziel hat: Da war der Fall des französischen Wissenschaftlers Gilles Seralini, dessen Beitrag in einer renommierten Zeitschrift nach seiner Veröffentlichung von dem Herausgeber zurückgezogen wurden, weil er angeblich, trotz Peer Review, wissenschaftlichen Standards nicht entsprechen würde – ein ziemlich einmaliger Fall in der Wissenschaftspublizistik. Da sind die Angriffe auf Greenpeace - eine wichtige Stimme in der Ablehnung von Gentechnologie, unter anderem im wichtigen Zukunftsmarkt China -, die Organisation wäre durch ihre Blockade von sogenanntem Goldenem Reis indirekt mitverantwortlich für den Tod von Tausenden von Kindern durch Vitamin-A-Mangel, ein Argument, das auch in Specters Beitrag auftaucht. Mit Vandana Shiva wird jetzt eine der wirkmächtigsten AgitatorInnen angegangen, deren Erfolg bei AktivistInnen und VerbraucherInnen besonders in den Industrieländern süffisant als „magisch“, also als nicht rational, diskreditiert wird.

Verständlich ist eine solche harte Gangart schon, gelingt es der Agrarindustrie doch trotz massiven Einsatzes nicht, über die bestehenden Märkte für gentechnisch veränderte Baumwolle, Soja und Mais in Lateinamerika, den USA und einigen wenigen Ländern wie Indien nennenswerte neue Märkte zu erschließen: Noch steht die Ablehnung in Europa weitgehend, ebenso in Afrika, wo gerade einmal vier Länder gentechnisch veränderte Baumwolle zugelassen haben. Und trotz der Zulassung von gentechnisch veränderter Baumwolle gehört China ebenfalls nach wie vor zu den großen Skeptikern, mit einer starken Phalanx von Kritikern aus dem Wissenschaftsbereich.

Es ist besonders der Bereich der Nahrungsmittel, für den die Industrie seit Jahren vergeblich versucht, die offizielle Zulassung für ihre Gentech-Produkte zu bekommen – für Goldenen Reis und Orangen Mais, beide gentechnisch verändert, um Vitamin-A zu produzieren, für die schädlingsresistente Aubergine, für die jüngst mit der Zulassung in Bangladesh ein erster Durchbruch erzielt wurde, für zahlreiche weitere Nahrungsmittelpflanzen, die durch Nährstoffanreicherung, Dürre-Resistenz, Salz-Toleranz und Schädlings-Widerständigkeit den Bauern und Bäuerinnen, den Verbrauchern und Verbraucherinnen, dem Klima und der übrigen Umwelt angeblich Gutes tun sollen – die Beweise dafür sind dürftig.

Von Geschäften, von Profiten gar ist dabei bei Specter nur am Rande die Rede, wenn überhaupt. Wachstumszwang und Markteroberungsstrategien kommen im Artikel nicht vor: Stattdessen wird das Hohelied der Industrie gesungen, die einen Beitrag dazu leisten will, „die Welt zu ernähren“ - „und dafür müssen alle Optionen genutzt werden“ - so der Schluss(satz).

Die Gentechnologie-Industrie wird sich wohl über diese journalistische Schützenhilfe gefreut haben, zumal sich Michael Specter kurze Zeit später mit einer heftigen Attacke auf die Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Produkte in die höchst kontroverse Diskussion in den USA eingeschaltet hat – wobei er, nicht überraschend, eine Kennzeichnung lächerlich macht, die auch von der Industrie vehement abgelehnt wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Siehe dazu auch die Stellungnahme von Vandana Shiva und die Antwort des Herausgebers des New Yorker, David Remnick, sowie den Kommentar von Raj Patel, 'How to Be Curious about the Green Revolution', der sich kritisch mit der Behauptung von Michael Specter auseinandersetzt, die Gentechnologie sei nur eine Fortsetzung der erfolgreichen 'Grünen Revolution'.