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Chancen durch 'Land grabbing'

Ein Kommentar von Uwe Hoering, Oktober 2011

Der breiten und fundierten Kritik am 'Land grabbing' halten Befürworter der neuen, großflächigen Agrarinvestitionen dessen angebliche Chancen entgegen. Eine davon sei die Vertragslandwirtschaft. Bauern könnten ihr Land behalten und als Zulieferer für kommerzielle Abnehmer arbeiten. In der Tat suchen Supermarktketten, Agrarkonzerne, Handelsunternehmen und Plantagenbetreiber verstärkt nach 'inklusiven Geschäftsmodellen', um Bauern effizienter in ihre Produktions- und „Wertschöpfungsketten“ einzubinden.

Das klingt für manche Bauern durchaus attraktiv: Sie bekommen für Investitionen Kredite, Saatgut, Pestizide und Dünger werden geliefert, der Absatz ihrer Produkte ist gesichert. Aber Erfahrungen zeigen, dass diese Vorteile oft leere Versprechungen sind. Gegenüber mächtigen Abnehmern können die Vertragsbetriebe kaum günstige Bedingungen für sich durchsetzen. Sie tragen die Risiken, müssen vorgeschriebene Produktionsverfahren und Qualitätsstandards einhalten und erhalten den magersten Anteil an der „Wertschöpfung“. Im ungünstigsten Fall bleiben sie auf einem Schuldenberg sitzen und verlieren dann doch ihr Land. Vertragslandwirtschaft ist daher keineswegs ein Königsweg aus der ländlichen Armut.

Deshalb hat der UN-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier De Schutter, kürzlich in einem Bericht für die Vereinten Nationen darauf hingewiesen, dass es nicht reicht, wenn Bauern als mehr oder minder rechtlose Abhängige auf eigenen Feldern arbeiten. Und er nennt Voraussetzungen, damit auch sie von dieser 'Inklusion' profitieren können.

Doch nicht nur die Vertragslandwirtschaft erhält mit den Investoren einen Schub. Neue Arbeitsmöglichkeiten auf den Plantagen gelten als eine weitere Chance. In ländlichen Regionen ohne bezahlte Jobs und mit ärmlicher Landwirtschaft kann das durchaus als Perspektive erscheinen, besonders für junge Leute. Aber von den Problemen wie niedrigen Löhnen und miserablen Arbeitsbedingungen können die Beschäftigten auf Blumenfeldern und Ölpalmen-Plantagen ein trauriges Lied singen.

Tatsächlich ist es längst Realität, dass Bauern und Bäuerinnen morgens für Cash Crops wie Kaffee oder Baumwolle arbeiten, tagsüber als Landarbeiter schuften und abends ihre Gemüsegärten, Cassava oder Reisfelder versorgen. Und dennoch kann eine solche mühevolle Patchwork-Ökonomie häufig nur das Existenzminimum sichern.

Nicht nur die absehbaren Risiken der neuen großflächigen Agrarprojekte gehören daher auf den Prüfstand, sondern auch Versprechungen, mit denen der Kritik und dem Widerstand die Spitze genommen werden soll. Das bedeutet für die politischen Debatten um 'Land grabbing', für die sozialen Bewegungen und die Entwicklungsorganisationen, die im Agrarbereich tätig sind, dass sie sich stärker und umfassender als bisher damit auseinandersetzen müssen.

Freiwillige Richtlinien für gesicherte Landrechte, Prinzipien für 'verantwortungsbewusste Investitionen', die Offenlegung von Verträgen oder die Anerkennung internationaler Standards für Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft durch Investoren, wie sie etwa die Internationale Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen, ILO, schon vor Jahren formuliert hat, sind bestenfalls ein Teil der Lösung. Ohne bessere Organisierung von Bauern und Landarbeitern wird deren Unterlegenheit gegenüber Investoren, Industrie und Handel nicht auszugleichen sein. Doch wenn das gelingt, könnten die tiefgreifenden Umwälzungen, die auf die Landwirtschaft in vielen Ländern des Südens zukommen, dazu beitragen, neue Kräfteverhältnisse zu schaffen. Und durch neue Allianzen den Kampf mit der agroindustriellen Landwirtschaft auf mehreren Säulen aufzubauen. Das wird nicht einfach sein, aber es gibt Ansätze dafür. 'Land grabbing' ist damit auch eine Chance, um die unterschiedlichen Akteure und Aktivitäten für eine andere Landwirtschaft zusammenzuführen und zu stärken. (4.000 Zeichen)