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Agro-industrielle Revolution für weiteres Wachstums

von Uwe Hoering, April 2012

Die Studie "Resource Revolution", die im November vergangenen Jahres erschienen ist, hat seither viel Aufmerksamkeit erhalten, und das nicht nur, weil sie "erschreckender Lesestoff" ist, wie ein Kommentator schrieb. Die weltweit operierende Beratungsfirma McKinsey, die die Studie vorlegte, hat einigen Einfluss auf Denken und Handeln in Politik und Wirtschaft.

 

"Herausforderungen ...

Ihre "erschreckende", wenn auch nicht mehr ganz neue Botschaft, untermauert mit vielen Daten: In den kommenden Jahrzehnten wird die Nachfrage nach Stahl und Energie, Nahrungsmitteln und Wasser stark ansteigen, während "das Angebot", die Bereitstellung der Ressourcen, immer schwieriger und teurer wird. Damit steigen die Preise, ihre Schwankungen werden stärker und unkalkulierbarer, und soziale Unruhen wie auf dem bisherigen Höhepunkt der Nahrungsmittelpreise 2008 sowie geopolitische Spannungen könnten zunehmen. "Wasser und Land stellen auf der Seite der Verfügbarkeit vermutlich die größten Herausforderungen dar".

Bei der Suche nach den Ursachen gibt sich der Bericht einerseits Neo-Malthusianisch, indem er vor allem die wachsenden wohlhabenden Mittelklassen weltweit für die steigende Nachfrage verantwortlich macht – nicht etwa den Wachstumszwang des bestehenden ressourcenintensiven Wirtschaftssystems. Anders als Malthus, der Ende des 18. Jahrhunderts gewarnt hatte, dass Armut und Hunger unausweichlich seien, weil die Bevölkerung zu schnell wachse, gibt die Studie allerdings auch gleich wieder Entwarnung, zumindest für die nähere Zukunft: "Nach unserer Analyse sind in den kommenden 20 Jahren absolute Versorgungsengpässe für die meisten Ressourcen unwahrscheinlich".

Anders als in der Vergangenheit, als - von Malthus nicht vorhergesehen - die agro-industrielle Revolution durch steigende Arbeits- und Kapitalproduktivität aus der Wachstumsfalle zwischen Angebot und Nachfrage half, sei jetzt Ressourcenproduktivität angesagt, so die Lösungsformel. Dieses Rezept, um die Probleme ständigen Wachstums abzufedern, ist so neu nicht. Und hier ist die Studie, anders als Malthus, nicht Kassandra, sondern Optimist: Technologischer Fortschritt mache eine Transformation der Produktivität des Ressourcensystems möglich. Zudem sei auch der Ressourcennachschub noch steigerungsfähig – wenn auch mit höheren Kosten und Investitionen. Große Hoffnungen wecken erneuerbare Energie, aber auch Shale gas (Schiefergas) und dessen umweltschädliche Förderung (Fracking).

Kurzum: "Größere Verfügbarkeit und Ressourcenproduktivität können den zu erwartenden globalen Bedarf befriedigen". Für diese neue agro-industrielle Revolution wiederum – und hier kommt der Haken – seien allerdings  jährlich mindestens eine Billion US-Dollar zusätzlicher Investitionen in das Ressourcensystem erforderlich.

 

... und Chancen"

Damit bieten die "Herausforderungen", so die optimistische Botschaft, aber auch "Chancen" - für Industrie, Investoren und Finanzmärkte. Ganz oben unter den 15 aussichtsreichsten Fällen ("Areas of Opportunity"), die der Bericht auflistet, stehen Energiesparmaßnahmen bei Gebäuden, höhere Erträge auf industriellen Großfarmen, eine geringere Lebensmittelverschwendung und Maßnahmen gegen Wasserverluste in öffentlichen Versorgungsnetzen.

Doch dann noch einmal Ernüchterung, eine kalte Dusche: "Die Frage ist, ob der private Sektor und Regierungen die Schritte umsetzen können, die notwendig sind, um diese Chancen ausreichend schnell wahrzunehmen". Denn "trotz der Tatsache, dass die Nutzung vieler Möglichkeiten zu Produktivitätssteigerungen erhebliche Vorteile für die Gesellschaft mit sich bringen würde, sind viele davon für private Investoren nicht attraktiv".

Doch auch hier wissen die Berater professionellen Rat, wie Profitinteressen und gesellschaftliche Interessen vereinbart werden können. Die "Attraktivität für Investoren aus dem privaten Sektor" müsse erhöht werden, damit sie in die Erschließung von Ressourcen und in die Ressourcenproduktivität investieren. Auf den öffentlichen Sektor, auf den Staat als Investor, setzen die Vorschläge realistischerweise bereits gar nicht mehr. Die Finanzkrise hat den schönen Nebeneffekt, den überschuldeten Staat außer Gefecht zu setzen und die Bahn frei zu machen für private Investoren.

Wie allerdings "die Attraktivität" gesteigert werden könnte, da bleibt die Studie auffällig ideenlos und schmalbrüstig: Vage spricht sie von einem "new institutional mind-set" und greift die oft erhobenen Forderungen auch aus dem wirtschaftlichen Mainstream auf, die Milliardensubventionen für Ressourcenverbrauch, einschließlich Energie, Landwirtschaft und Wasser, abzuschaffen und CO2-Handel auszuweiten. Denn die Preise – so eine alte Forderung der Nachhaltigkeitsdiskussion – sollten die "ökologische Wahrheit sagen". Gleichzeitig befürwortet sie den Abbau von Energiesteuern. Ähnlich sollten unübersichtliche Eigentumsrechte, die gleichfalls zum "Marktversagen" beitragen, besser geregelt werden, und in den Ländern des Südens Kapitalmärkte entwickelt werden, was die Mobilisierung von spekulativem Finanzkapital einschließt.

Wenig überraschend auch: Wachstumskritik hat hier keinen Platz, exponentielle Wachstumssteigerungen werden gar nicht erst hinterfragt, bei entsprechenden Rahmenbedingungen sei "der Markt" die Lösung. Dementsprechend spielen gegenüber den Überlegungen, wie die Bereitstellung von Ressourcen gesteigert und ihre Nutzung effizienter gemacht werden könnten, Nachfragemanagement oder Maßnahmen, die die Nachfrage verringern würden wie beispielsweise weniger ressourcenintensive Mobilitätskonzepte, kaum eine Rolle – abgesehen von dem Vorschlag, die Verschwendung und Vernichtung von Nahrungsmitteln zu verringern. Dabei macht die Studie selbst durchaus eindrucksvoll die enormen Kosten deutlich, die die Bereitstellung der natürlichen Ressourcen für weiteres Wachstum des bestehenden Kapital-getriebenen Produktions- und Konsummodells mit sich bringt. (6.000 Zeichen)

McKinsey Global Institute, Resource Revolution: Meeting the world's energy, materials, food, and water needs. November 2011. Link