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Der Griff nach dem Land - Literaturübersicht (Nr. 4/April 2012)

Ohne zu beanspruchen, einen umfassenden Überblick über die Diskussion zu haben, habe ich doch den Eindruck, dass die Kontroverse um Land grabbing und die Probleme großflächiger kommerzieller Investitionen in die Landwirtschaft, die die Rechte und Lebensbedingungen lokaler Bevölkerung bedrohen, etwas abgeflaut ist. Die Argumente sind inzwischen vielfach ausgetauscht. Möglicherweise haben sich die Aktivitäten teilweise in weniger wahrnehmbare Bereiche verschoben – etwa in die wissenschaftliche Forschung und tauchen bei den Konferenz der Weltbank, des GIGA oder der Land Deal Politics Initiative auf, oder auf die lokale Ebene von Entwicklungsorganisationen und sozialen Bewegungen und schaffen es nur noch selten in die Schlagzeilen. Zudem sieht es so aus, als habe sich die Debatte um die Umwälzungen der globalen Landwirtschaft, die sich unter anderem im Land grabbing zeigen, teilweise in die Auseinandersetzung mit dem Konzept der Green Economy und die Vorbereitungen auf die UN-Konferenz für nachhaltige Entwicklung aka Rio+20 verlagert. Dennoch haben sich in den vergangenen zwölf Monaten eine Reihe von Publikationen, Studien und Texten angesammelt.

 

Überblicke

Kurz nachdem vor einem Jahr die Globe-spotting-Literaturübersicht Nr. 3/März 2011 zu Land grabbing erschienen war, veröffentlichte der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) mit der "Collection of Data concerning 'Landgrabbing and Conflict'" (1) eine sehr umfassende Übersicht: Annähernd 100 Publikationen zu Landkonflikten, Zugang zu Land und Besitzrechten umfasst die Liste. Kurze Zusammenfassungen ermöglichen einen raschen Überblick über thematische Schwerpunkte und Regionen, direkte Links erschließen den Zugang zu den Dokumenten, darunter Fallstudien, Politikpapiere und Projekte. Leider wurde die Zusammenstellung seither nicht aktualisiert.

Das übernahm dann in bewährter Manier GRAIN im Februar 2012: Die Übersicht über mehr als 400 Fälle von Land grabbing durch ausländische Investoren, die GRAIN auf der Grundlage der Berichte auf farmlandgrab erstellt hat, deckt die Jahre seit 2006 ab und konzentriert sich auf Nahrungs- und Futtermittel, Ölpalmen und Zuckerrohr (2). Sie umfasst auch detaillierte Angaben zu den einzelnen Vereinbarungen. Unternehmen aus den USA führen die Liste der Investoren an, die in Afrika, Lateinamerika, Asien und Osteuropa große Ländereien erwerben, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien. Dabei gibt es oft eine enge Kooperation zwischen Agrarkonzernen und Finanzfonds.

Im September 2011 hatte Oxfam mit neuen Schätzungen über den Ausverkauf von Land Aufsehen erregt: Danach wurden in den vergangenen zehn Jahren von kommerziellen Agrarinvestoren Ländereien von der Größe Westeuropas gekauft oder gepachtet (3). Mit 227 Millionen Hektar wäre diese Fläche vier- bis fünfmal größer als bis dahin angenommen. Gleichzeitig würden sich die Fälle häufen, in denen lokale Bevölkerungen durch diese Landnahmen von ihrem Land vertrieben würden. In fünf Ländern - Uganda, Indonesien, Honduras, Guatemala und Südsudan - analysiert die Studie "Land and Power" den Ablauf und die Auswirkungen dieses Land grabbing.

Unter dem Titel "Landinvestitionen und Konflikte" legte außerdem das Projekt Zukunft der Ernährung einen Überblick über die Literatur vor (4). Neben einer tabellarischen Zusammenstellung nach Ländern (Teil 2) werden darin Konfliktursachen und -potentiale sowie Handlungs- und Regulierungsmöglichkeiten systematisiert (Teil 1).

 

Analysen

"Land Rights and the Rush for Land", die – nach eigener Aussage - „bislang umfassendste Studie zu großen Landgeschäften“, ist Teil eines dreijährigen Forschungsprojekts der International Land Coalition, eines Zusammenschlusses von nichtstaatlichen Entwicklungs- und UN-Organisationen (5). Ein Ergebnis der Studie, die auf Fallbeispielen sowie auf einer umfassenden Analyse der verfügbaren Daten basiert, ist die Empfehlung, an Stelle großflächiger Landnahmen Projekte gemeinsam mit lokalen Landnutzern unter Respektierung ihrer Rechte durchzuführen.

Die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ,hat seit 1997 eine Reihe von Studien zu Bodenpolitik und Landmanagement herausgebracht, die - allerdings eher versteckt - alle im Netz stehen, darunter in den vergangenen drei Jahren auch Texte wie "Foreign Direct Investment (FDI) in Land in Developing Countries" (6) und "Assessment and appraisal of Foreign Direct Investment (FDI) in land in view of food security" (7).

In einem Arbeitspapier "What drives the global land rush?" kommt auch der Internationale Währungsfonds, ähnlich wie früher schon die Weltbank, zu dem Ergebnis, dass für Agrarinvestoren die Qualität des Geschäftsklimas unwichtig sei, während schwache Staatlichkeit und Eigentumsrechte für gegenwärtige Nutzer ein Engagement für Investoren, von denen einige sowieso lieber auf die Verteidigung ihrer Interessen durch private Milizen setzen würden, attraktiver machen (8).

Die „Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus“ führten den italienischen Journalisten Stefano Liberti nach Äthiopien, Tansania und Saudi-Arabien und zur Getreidebörse in Chicago (9). Die Reportagen und Gespräche mit Vertretern von Bauernorganisationen und Behörden, mit Mitarbeitern der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft, FAO, mit Agrarinvestoren und brasilianischen Großgrundbesitzern geben ein anschauliches Bild von den Auswirkungen des Wettlaufs um fruchtbares Ackerland ebenso wie von wichtigen Protagonisten dieser Entwicklung. Dabei baut Liberti in "Landraub" geschickt Hintergrundinformationen und Analysen ein, die die Tragweite der dramatischen Veränderungen, die in den ländlichen Regionen des globalen Südens ablaufen, deutlich machen.

Dagegen ist "Sleeping Lions" (10) eher etwas für Spezialisten. Untersucht wird, wie nationale Regulierungsinstrumente, internationale Investitionsregelungen und -verträge dazu beitragen, dass der Umgang mit natürlichen Ressourcen und ihre Sicherung dazu beitragen können, dass öffentliche Interessen gewahrt werden. Analysiert wird unter anderem anhand von Beispielen aus Lateinamerika und Tansania, wie der Zugang zu Land, etwa im Goldbergau, und zu Wasser geregelt wird.

 

Einzelne Länder

In Afrika schälen sich eine Reihe von Schwerpunktländern für ausländische Agrarinvestitionen heraus, vor allem Äthiopien, Tansania, wo Investoren mit vielfältigen Problemen und Widerstand konfrontiert sind, Sierra Leone, wo es ebenfalls zahlreiche Proteste gibt, und Mosambik. Die Zahl der Studien zu diesen Ländern und einigen weiteren wächst kontinuierlich. Dazu gehören unter anderem die mittlerweile sieben Länderstudien (Sambia, Tansania, Südsudan, Mali, Mosambik, Sierra Leone und Äthiopien) des Oakland Institute (11), das auch sehr aktiv in der Kampagnenarbeit und der Organisierung von Betroffenen ist.

Die Menschenrechtsorganisation FIAN hat bereits 2010 "Land grabbing in Kenya and Mozambique" untersuchen lassen (12). Der Bericht über die Feldstudien in den beiden Ländern unterzieht die Ergebnisse vor allem einer Analyse aus menschenrechtlicher Sicht.

Die Studie "Land Acquisition and Accumulation in Tanzania"(13) analysiert unter anderem Investitionen in eine Zuckerplantage, eine Aufforstung und in das Energiepflanzenprojekt des schwedischen kommunalen Energieversorgers SEKAB, das - wie mehrere Agrartreibstoffunternehmen in Tansania, beispielsweise SunBiofuels - erhebliche Probleme hat. Auch "Biofuel, land and environmental issues"befasst sich intensiv mit SEKAB (14).

In ihrer bereits erwähnten Reihe von Studien zu Bodenpolitik und Landmanagement hat die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren auch mehrere Länderstudien (Kambodscha, Laos, Madagaskar und Mali) herausgebracht (15).

Mit Zielkonflikten zwischen Gewohnheitsrechten und Investitionsförderung untersucht die Studie "Contemporary processes of large-scale land acquisition by investors" an Fallbeispielen aus Afrika südlich der Sahara einen zentralen Problembereich (16). Gewohnheitsrechte haben, selbst wenn sie gesetzlich verankert sind, meist einen geringeren Schutz als formelle Eigentumsrechte und helfen damit oft nicht gegen Vertreibung und Benachteiligung, so die Kernaussage der Studie des Center for International Forestry Research, CIFOR, über die Umsetzung großflächiger Agrarinvestitionen in Ghana, Mosambik, Tansania und Sambia, allesamt beliebte Zielländer für ausländische Unternehmen. So fand eine echte Beteiligung der betroffenen Bevölkerungen nicht statt, obwohl sie vorgeschrieben ist. Stattdessen stellte die Studie einen „hohen Grad an Zwang“ fest. Gleichzeitig findet unter dem Deckmantel der Investitionsförderung für wirtschaftliches Wachstum und Armutsminderung eine Re-Zentralisierung der staatlichen Verwaltung von Land statt. Regulierungsmechanismen, durch die negative soziale Auswirkungen verringert und die Einhaltung von Zusagen der Investoren gesichert werden sollen, sind systematisch schlecht ausgestattet. Dadurch wird verhindert, dass der versprochene Nutzen von Investitionen die lokalen Bevölkerungen erreicht. Anfänglich positive Erwartungen werden daher rasch enttäuscht und schlagen in Widerstand oder offenen Konflikt um.

 

Finanzsektor

Die US-amerikanische Beratungsfirma HighQuest Partners, die bereits früher einen Bericht über Investitionen des Finanzsektors in den Agrarbereich vorgelegt hat (17), hat für die OECD am Beispiel von sechs Agrarinvestoren in Argentinien, Brasilien, Osteuropa, Tansania, Paraguay, Sierra Leone und Mosambik beziehungsweise Sambia die Strukturen dieser Investitionen und die Auswirkungen für die lokalen Bevölkerungen untersucht. Sie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass nicht nur ein Transfer von 'Best practices' zwischen Regionen wie Lateinamerika und Afrika südlich der Sahara durch die Fonds erfolge, sondern auch die Qualifikation und Beschäftigungsaussichten verbessert und die Beteiligung lokaler kleiner Stakeholder innerhalb der Wertschöpfungskette aktiv gefördert werde (18).

Auch die „Experteneinsichten“, formuliert bei der World Agriculture Investment Conference im Oktober 2011 in London, sind aufschlussreich: Agrarinvestitionen seien demnach „sehr überzeugend“, da sie sowohl „finanziell als auch ethisch lohnend“ seien. Die Frage sei daher nicht, ob man investieren solle, sondern lediglich wo und wie (19).

Kritischer dagegen der Blick von FIAN in der wegweisenden Studie über "German Investment Funds involved in Land Grabbing" vom Dezember 2010 (20). Neben einem Überblick über Akteure aus dem Finanzsektor wie Pensions- und Investmentfonds, die neben Regierungen und Agrarunternehmen eine zunehmende Bedeutung erlangt haben, gibt es eine ausführlichere Fallstudie über die Rolle der Deutschen Bank und ihres Agrarfonds DWS Global Agricultural Land and Opportunities Fund. Die Ergebnisse gibt es auch in Kurzfassung als Fact Sheet (21).

 

Staat und Politik

Im Januar stellte das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, ein Positionspapier für seinen Umgang mit privaten Investitionen in Land vor (22). Dabei legt es die Messlatte der Anforderungen dafür, dass diese Landnahme nicht zu Land grabbing, also zu großflächigen Vertreibungen führt, sehr hoch: Partizipation, Transparenz und Rechenschaftslegung, die Anerkennung bestehender Land- und Wasserrechte, ein Menschenrechtskonformer Umgang mit Umsiedlungen und Entschädigungen, Achtung der Menschenrechte auf Nahrung und Wasser, Schutz der natürlichen Ressourcen und eine gerechte Beteiligung am Nutzen der Investition.

Allerdings bestehen diese Voraussetzungen für "verantwortungsvolle Investitionen", die gewährleisten würden, dass es "nur Gewinner, aber keine Verlierer gibt", nur unzureichend. Konsequenterweise müsste das BMZ daher ein Moratorium für Direktinvestitionen in Land und deren Unterstützung durch die internationale Entwicklungszusammenarbeit vorschlagen, bis diese Bedingungen geschaffen sind. Stattdessen will es sich auf die Schaffung einer Informationsgrundlage, die Erarbeitung internationaler Leitlinien, die Unterstützung von Partnerländern bei Bodenpolitik und Landmanagement, die Ausbildung von Fachkräften, die Zusammenarbeit mit dem Privatsektor und die "Einforderung von Nachhaltigkeit" konzentrieren - und im Juli kommenden Jahres einen Erfolgsbericht vorlegen. Siehe dazu den Globe-spotting-Gastbeitrag des FIAN-Agrarexperten Roman Herre.

Ähnlich wie die Bundesregierung versuchen auch andere Regierungen, ihre Investoren und Unternehmen tatkräftig zu unterstützen. Um langfristig die Nahrungsmittelversorgung zu sichern, fördert beispielsweise die indische Regierung Investitionen indischer Agrarunternehmen im Ausland, besonders in Afrika. Auch nationale Unternehmerverbände fungieren als Wegbereiter. Der Bericht (23), der erstmals für Indien systematisch darstellt, wie diese staatlich-private Partnerschaft abläuft, versucht auch, ihre negativen Auswirkungen zu erfassen und lässt indische Aktivisten zu Wort kommen.

Wichtig in diesem Zusammenhang auch die beiden Berichte des High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition beim Committee on World Food Security, das der Erarbeitung der Voluntary Guidelines zuarbeitet. Der erste ("Price volatility and food security") untersucht die Ursachen und Auswirkungen der Preissteigerungen und -ausschläge für Grundnahrungsmittel (24), der zweite ("Land tenure and international investments in agriculture") soll helfen, die „ideologische Spaltung“ zu klären, ob Land grabbing 'schlecht' oder internationale Investitionen in die Landwirtschaft 'gut' sind (25). Beide Berichte machen umfangreiche Vorschläge für politische Maßnahmen, Aktionen und Institutionen. 

Übrigens gibt es parallel zu der Erarbeitung der Voluntary Guidelines einen weiteren politischen Prozess, um Rahmenbedingungen und Richtlinien für die Landpolitik in Afrika zu formulieren, getragen von der African Union, der African Development Bank, AfDB, und der Economic Commission for Africa, ECA, also von afrikanischen Regierungen und Wissenschaftlern (26). Er ist weithin eher unbekannt geblieben, besonders außerhalb Afrikas, genauso wie die Land Policy Initiative, hinter der ebenfalls die drei Institutionen stehen und die im Oktober vergangenen Jahres ihren Nairobi Action Plan zu Land grabbing vorlegte (farmlandgrab.org/post/view/19402. Siehe dazu den Bericht im Informationsdienst Schattenblick.

Mit ihrem Text "Zugang zu Land und das Recht auf Nahrung" (März 2011) leistet die Menschenrechtsorganisation FIAN einen weiteren Beitrag zur Klärung menschenrechtlicher Anforderungen in Zusammenhang mit dem Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen, ergänzt durch eine umfangreiche Bibliographie, die unter anderem zeigt, wie intensiv sich der UN-Berichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, Olivier de Schutter, mit der Problematik des Land grabbing beschäftigt (27).

Auch auf EU-Ebene gibt es Richtlinien für Landpolitik und Nachhaltigkeitskriterien für die Politik der EU zu erneuerbaren Energien, die für die Landfrage wichtig sind. Sie sollten stärker als bislang berücksichtigt werden, empfiehlt ein Bericht des Europaparlaments, ebenso wie ein besseres Monitoring der Aktivitäten europäischer Unternehmen beim Land grabbing (28).

 

Water Grab

Die Kontrolle über Wasserressourcen ist eng mit der Kontrolle über Land verbunden. Einen knappen Überblick haben Sylvia Kay und Jenny Franco für das Transnational Institute, TNI, zusammengestellt: "The Global Water Grab"(29). P. Woodhouse fragt in seinem Vortrag für die Internationale Conference on Global Land Grabbing sogar, ob der Griff nach dem Wasser nicht die eigentliche Stoßrichtung hinter der Aneignung von landwirtschaftlichen Flächen in Afrika sei (30).

Das Stockholm International Water Institute, SIWI, lenkt außerdem den Blick darauf, ob und wie stark Land und Water grabbing Auswirkungen haben auf grenzüberschreitendes Wassermanagement und Konflikte zwischen Ländern, da viele Investitionen in Wassereinzugsgebieten und Flusssystemen getätigt werden, die von mehreren Ländern geteilt werden, und grenzüberschreitende staatliche Regulierung oftmals schwach ist. Die Studie beschreibt eine mögliche Konfliktverschärfung an zwei Fallbeispielen, dem Nil und dem Niger (31).

Insgesamt scheint es aber bislang nur relativ wenige Studien und Analysen zu geben, die sich intensiv mit den Auswirkungen von Land grabbing auf Verfügbarkeit von Wasser für andere lokale Bevölkerungen beziehungsweise mit Auswirkungen auf die Umwelt beschäftigen.

 

Weiße Stellen

Neben der Wasserfrage zeichnet sich ab, dass auch eine ganze Reihe anderer wichtiger Aspekte deutlich weniger ausführlich behandelt werden.

So gerät bei der – berechtigten – Beschäftigung mit Finanzfonds und Agrarkonzernen aus Europa, den USA, den Golfstaaten oder Schwellen- und Industrieländern Asiens leicht aus dem Blick, dass auch zahlreiche Unternehmen aus dem Globalen Süden beim Land-Monopoly mitmischen. Darunter sind mächtige lateinamerikanische Unternehmen, die beispielsweise in Mosambik investieren und damit werben, ihr „Erfolgsmodell“, die industrielle Durchdringung der brasilianischen Savannenregion Cerrado, in Afrika wiederholen zu wollen. Dazu gehören aber auch Großbetriebe aus Südafrika, deren Bestrebungen, in benachbarten Ländern wie Mosambik und im zentralafrikanischen Kongo große Ländereien zu erwerben, die Agrarexpertin Ruth Hall von PLAAS untersucht (32).

Weitgehend ausgeblendet bleiben zudem die Investitionen in Osteuropa und Zentralasien, wo unter anderem US-amerikanische, europäische und chinesische Investoren große Ländereien erwerben – für Nahrungsmittel, Rohstoffe, Viehfutter und Energiepflanzen. Eine Gelegenheit, sich über Investitionen in Russland, der Ukraine und Kasachstan zu informieren, gab es beim Global Forum for Food and Agriculture in Januar in Berlin bei einem Symposium des Leibniz Institute of Agricultural Development in Central and Eastern Europe (IAMO).

So gibt es riesige Flächen, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem damit einhergehenden Kollaps der kollektivierten Landwirtschaft nicht mehr genutzt wurden - allein in Russland fielen angeblich seit 1990 mehr als 27 Millionen Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche aus der Produktion. Viele verbliebene Betriebe sind zudem wenig produktiv. Damit besteht ein erhebliches Potential für Produktionssteigerungen durch industrielle Landwirtschaft mit großflächiger Mechanisierung. Während im westlichen Teil Russlands und in der Ukraine vorwiegend westliche Unternehmen investieren, sind es in Zentralasien überwiegend Unternehmen aus China und den Golfstaaten, in Fernen Osten neben chinesischen auch südkoreanische Firmen. Die erworbenen Flächen, beispielsweise in Russland und Ukraine, sind häufig größer als 100.000 Hektar, es gibt aber auch Landnahmen von über 600.000 Hektar. Konflikte scheinen selten zu sein, da es kaum zu Konkurrenz um Land mit lokalen Bevölkerungen in den dünn besiedelten Regionen kommt oder autoritäre Regimes Proteste unterdrücken.

Diese Entwicklungen sind insofern wichtig, als sie – wenn sie denn erfolgreich sein sollten – die gesamten Prognosen über Nahrungsmittelmangel und steigende Preise oder über Land grabbing in Afrika verändern könnten: Offensichtlich stehen hier nicht nur erhebliche und agroökologisch gut geeignete Ländereien zur Verfügung, die Transaktionskosten für Investoren sind möglicherweise auch weitaus geringer als etwa in Afrika und eine großflächige Mechanisierung und die Durchsetzung einer Input-intensiven Landwirtschaft stoßen kaum auf Probleme. So bieten diese Regionen nicht nur neue Perspektiven für die industrielle Landwirtschaft. Die Bedeutung der osteuropäischen und zentralasiatischen Länder auf dem Weltmarkt und als Konkurrenz sowohl zu den alten Agrarexporteure wie USA und Europa wie zu den Nachrückern wie Brasilien und Argentinien werden enorm zunehmen.

Auch wenn inzwischen mehrere Autorinnen und Autoren versuchen, die konkreten Auswirkungen auf lokale Bevölkerung differenziert zu erfassen, so werden doch noch zahlreiche Veränderungen, die mit den Investitionen einhergehen, kaum berücksichtigt. Das gilt beispielsweise für die Vertragslandwirtschaft als der Form, wie viele Investoren versuchen, lokale Bevölkerungen in die Agrarprojekte einzubeziehen, Konflikte zu entschärfen und Risiken auf die Bauern zu verlagern. Noch weniger Untersuchungen gibt es anscheinend dazu, wie sich durch die Investitionen und die damit einhergehende Entstehung von Lohnarbeit auf Plantagen die sozialen, politischen und Geschlechterverhältnisse in den ländlichen Gebieten verändern und möglicherweise neue Kräftekonstallationen und politische Akteursgruppen entstehen.

Auch Informationen über die Organisierung gegen Land grabbing wie das Treffen in Nyeleni (Mali) im November vergangenen Jahres oder Anfang April die erste große Zusammenkunft von Bevölkerungsgruppen, die durch ausländische Agrarinvestitionen in Sierra Leone betroffen sind, bleiben vereinzelt, möglicherweise, weil die meisten zu lokalisiert sind, um breiter wahrgenommen zu werden. Noch sieht es daher nicht so aus, als ob Land grabbing zu einer breiten Neuformierung von ländlichen Protestbewegungen und Widerstand geführt hätte. Wenn das stimmen sollte, wäre die nächste Frage: Warum nicht?

Vielleicht gibt ja das für Mai 2012 angekündigte Buch "Der große Landraub" mehr Antworten (33). Laut Ankündigung wird es zeigen, was der Landraub für die vertriebenen Bauern, die Ernährungssicherheit und das soziale Gefüge in den Ländern bedeutet und wie „Bauern des Südens sich gegen Agrarinvestoren wehren“. Und auch der gerade erschienene neue AttacBasisText"Land Grabbing - Der globale Wettlauf um Agrarland" verspricht, die verheerenden Folgen dieser Landnahmen für die Menschen zu beschreiben und Lösungen zu diskutieren, um den ungebremsten Ausverkauf von Land einzudämmen (34).

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1. Collection of Data concerning "Landgrabbing and Conflict".Link

2. GRAIN releases data set over 400 global land grabs. 24. Februar 2012. Link

3. Oxfam, Land and Power.Link (pdf-Datei)

4. Landinvestitionen und Konflikte. Eine Auswertung der Literatur mit Quellenübersicht, von Jana Flemming & Stephan Albrecht. Mai 2011. Link zu Zukunft der Ernährung

5. Land Rights and the Rush for Land. Findings of the Global Commercial Pressures on Land Research Project. 2011. Link 

6. Foreign Direct Investment (FDI) in Land in Developing Countries, by Matthias Görgen et al, 2010. Link (pdf-Datei)

7. Assessment and appraisal of Foreign Direct Investment (FDI) in land in view of food security, by Lioba Weingärtner, 2010. Link (pdf-Datei)

8. What drives the global land rush? Washington D.C. (WP/11/251) November 2011. Link (pdf-Datei)

9. Stefano Liberti, Landraub. Reisen ins Reich des neuen Kolonialismus. Berlin (Rotbuch) März 2012

10. Sleeping Lions. International investment treaties, state-investor disputes and access to food, land and water. By Javier Perez u.a. (Oxfam) May 2011, Link

11. Oakland Institute. Link

12. FIAN, Land grabbing in Kenya and Mozambique. 2010. Link

13. International Land Coalition, Land Acquisition and Accumulation in Tanzania (13). The Case of Morogoro, Iringa and Pwani Regions. By Chambi Chachage, October 2010. Link

14. Kjell Havnevik, u.a., Biofuel, land and environmental issues – the case of SEKAB's biofuel plans in Tanzania, March 2011. Link (pdf-Datei)

15. Cambodia; Laos; Madagascar; Mali (pdf-Dateien)

16. Contemporary processes of large-scale land acquisition by investors. Case studies from sub-Saharan Africa. By Laura German, George Schoneveld and Esther Mwangi. CIFOR 2011. Link (pdf-Datei)

17. Private Financial Sector Investment in Farmland and Agricultural Infrastructure. OECD Food, Agriculture and Fisheries Working Papers, No. 33, OECD Publishing. Link (pdf-Datei)

18. Structural Change in Commodity Markets. Private Financial Sector Investments in Agriculture. Case Studies. November 2011. Link

19. World Agriculture Investment Overview: Experts Insights, October 2011, Link

20. FIAN, German investment funds involved in land grabbing. Oktober 2010. Link

21. Agrarfonds schüren globalen Landraub. Wie deutsche Banken und Investmentfirmen Land Grabbing finanzieren. Link

22. Investitionen in Land und das Phänomen des "Land Grabbing". Herausforderungen für die Entwicklungspolitik. BMZ-Strategiepapier 2, 2012. Link

23. India's Role in the New Global Farmland Grab. By Rick Rowden. New Delhi, August 2011. Link

24. und 25. Berichte (pdf-Dateien) des High Level Panel of Experts on Food Security and Nutrition. Link

26. Land Policy in Africa: A Framework to Strengthen Land Rights, Enhance Productivity and Secure Livelihoods. Addis Ababa, September 2010. Link (pdf-Datei)

27. FIAN, Dokumentation über Zugang zu Land und das Recht auf Nahrung. 2011. Link

28. European Parliament, An Assessment of the effects of Land Ownership and Land grab on Development – With a Particular Focus on Small Holding and Rural Areas, March 2011. Link (pdf-Datei)

29. Sylvia Kay, Jenny Franco, The Global Water Grab: A Primer. March 2012. Link

30. P. Woodhouse, A.S. Ganho, Is Water the Hidden Agenda of Agricultural Land Acquisition in sub-Saharan Africa?'. October 2011. Link

31. SIWI, Land acquisitions: How will they impact transboundary waters? März 2012. Link

32. Ruth Hall, The Next Great Trek? South African Commercial Farmers Move North, August 2011. Link (pdf-Datei)

33. Thomas Kruchem, Der große Landraub, Frankfurt a.M. (Brandes&Apsel) Mai 2012

34. Evelyn Bahn, Timo Kaphengst, Land Grabbing. Der globale Wettlauf um Agrarland. AttacBasisText (VSA-Verlag) 2012