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Mit Getreidevorräten gegen die Spekulation

Juni 2011: Staatliche Getreidevorräte sind seit Jahrhunderten ein Mittel, um die Folgen von Ernteausfällen abzufedern. Länder wie Indien oder China nutzen sie aber auch, um Produzenten- und Verbraucherpreise gegen Schwankungen zu stabilisieren - mehr oder minder erfolgreich. Doch seit den 1980er Jahren haben viele Länder diese Vorsorgemaßnahmen aufgegeben: Hohe Kosten, komplizierte Logistik, vor allem aber niedrige, häufig herunter subventionierte Weltmarktpreise, gepaart mit der Doktrin, dass sich der Staat aus dem Marktgeschehen zurück ziehen soll und freier Handel das probate Mittel für eine gesicherte, kostengünstige Nahrungsmittelversorgung sei, haben dazu geführt, dass viele staatliche Vorratshaltungs- und Versorgungssysteme abgebaut oder zumindest klein gefahren wurden. Zahlreiche Länder wurden immer abhängiger von Importen von Grundnahrungsmitteln.

Doch mit der Nahrungsmittelkrise vor drei Jahren und den – teils spekulativen - Preisausschlägen kamen nicht nur Agrarinvestitionen und Land grabbing in Schwung, sondern auch eine Debatte über Getreidereserven, angestoßen unter anderem von der Weltbank und dem Forschungsinstitut für Ernährungspolitik, IFPRI, in Washington. Getreidelager als Absicherung gegen Preisschwankungen standen unter anderem beim G8-Gipfel im italienischen L'Aquila 2009 und beim Welternährungsgipfel der FAO in Rom im selben Jahr auf der Tagesordnung.

In einem Papier für das EcoFair Trade Projekt diskutiert Sophia Murphy vom Institute for Agriculture and Trade (IATP) diese Wiederentdeckung und die Möglichkeiten, wie Regierungen durch Getreidereserven Versorgungsengpässen begegnen können. Ein besonderer Aspekte dabei ist die Frage, ob eine solche Politik, die die Nahrungsmittelversorgung für ärmere Bevölkerungsgruppen verbessern könnte, durch die Freihandelsregelungen der Welthandelsorganisation WTO gedeckt oder unterbunden würde und ob Veränderungen am Agrarabkommen der WTO (Agreement on Agriculture) notwendig wären.

Ein Diskussionspapier von IFPRI schlägt angesichts der Spekulation mit Grundnahrungsmitteln und der Ausfuhrverbote von Agrarexportländern, die die Krise verschärft hatten, ebenfalls größere Getreidereserven vor. „Eine öffentliche, global verwaltete Getreidereserve“ könne ein Mittel sein, um die Preisspekulation in Zukunft einzudämmen und „die Spekulanten aus dem Markt zu drängen“. Neben höheren Lagerbeständen, von denen ein Teil bei Notfällen über das World Food Programme der Vereinten Nationen verteilt werden soll, sollen sich Regierungen auf eine „virtuelle Reserve“ verpflichten, die bei starken Preisschwankungen eingesetzt werden könnte, und auf Finanzmittel, um Spekulationen durch Eingriffe an den Börsen zu begegnen. Mitglieder dieses „Clubs“ sollten vor allem die Regierungen der G20 sein, die Kosten werden auf 12 bis 20 Milliarden US-Dollar schätzt.

Während Murphy Getreidereserven vor allem als ein Instrument für einzelne Regierungen sieht, durch höhere Vorratshaltung ihre nationale Nahrungsmittelversorgung und ihre Bevölkerungen gegen Preisschwankungen zu schützen, zielt der IFPRI-Vorschlag für neue „globale institutionelle Arrangements“ vorrangig darauf ab, „Marktversagen“ wie die Abwehrreaktionen von Exportländern zu verhindern und den „freien Welthandel“ retten. Gleichzeitig versteht er sich als Alternative zu den Forderungen nach einer stärkeren Regulierung der Rohstoffbörsen. Und schließlich soll er wohl auch der Forderung nach Ernährungssouveränität den Wind aus den Segeln nehmen.

Allerdings zeichnen sich bislang anscheinend keine Schritte Seitens der Regierungen ab, den Aufbau einer globalen Getreidereserve tatsächlich in Angriff nehmen zu wollen. Oxfam appellierte daher anläßlich des Treffens der G20-Landwirtschaftsminister im Juni 2011 an die Regierungen "Getreidevorräte auf der Tagesordnung zu halten". So hätte bereits eine globale Reserve von nur 105 Millionen Tonnen geholfen, die Nahrungsmittelkrise in den Jahren 2007 und 2008 zu verhindern, schätzt Oxfam.

Joachim von Braun, u.a., Eliminating Drastic Food Price Spikes – a three pronged approach for reserves. Washington DC 2009 (IFPRI). link

Joachim von Braun und Maximo Torero, Physical and Virtual Global Food Reserves to Protect the Poor and Prevent Market Failure. Washington DC 2008 (IFPRI Policy Brief 4, June 2008). link (pdf-Datei)

Sophia Murphy, Trade and Food Reserves: What role does the WTO play? EcoFair Trade Dialogue Discussion Papers, February 2011. link (pdf-Datei)

Oxfam, Preparing for thin cows. Why the G20 should keep buffer stocks on the agenda. Oxfam Briefing Note 21 June 2011. link (pdf-Datei 340 kb)

IATP u.a., Grain Reserves and the Food Price Crisis: Selected Writings from 2008-2012, Juli 2012. link (pdf-Datei)

Siehe dazu auch den Kommentar von Jim Harkness von IATP: "Food security and national security. Learning from China's approach to managing its wheat supplies": link