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Weniger Verschwendung hilft nicht gegen Hunger

Ein Kommentar von Uwe Hoering zum FAO-Kongress SaveFood!, Mai 2011

Ausgerechnet bei der Leistungsschau der globalen Verpackungsindustrie, der Messe Interpack2011 in Düsseldorf Mitte Mai, stellte die UN-Landwirtschafts- und Ernährungsorganisation FAO bei einer Konferenz mit der Aufforderung „Save Food!“ eine Studie über „Ausmaß, Ursachen und Verhinderung von Nahrungsmittelverlusten und -verschwendung weltweit“ vor (Global Food Losses and Food Waste - Extent, Causes and Prevention). Für den Partner Verpackungsindustrie war es natürlich eine PR-Steilvorlage, als UN-geadelter Helfer im Kampf um mehr Nahrung und weniger Hunger in der Welt fungieren zu dürfen. Denn dies war die Message: Wenn nicht so viel Nahrungsmittel zwischen Feld und menschlichen Mägen verloren gingen, müssten nicht nur weniger Land, Wasser und andere Ressourcen verbraucht und Treibhausgase freigesetzt werden – es gäbe dann auch weniger Hunger.

Zwar griff die FAO damit ein echtes Problem auf, einen Skandal von gewaltigem Ausmaß – nur leider, wie so oft, mit Scheuklappen gegenüber den wirklich entscheidenden Ursachen, was wiederum zu Schmalspurlösungen führt, die sich weitgehend auf Kosmetik und Oberflächenbehandlung beschränken. Die Studie schätzt, dass etwa ein Drittel der Nahrung, die für den menschlichen Verbrauch erzeugt wird, weltweit verloren geht. In den reicheren Ländern würden annähernd so viel Lebensmittel weggeworfen, wie in Afrika südlich der Sahara erzeugt werden. In ärmeren Ländern dagegen sind es vor allem Nachernteverluste bei der Lagerung oder beim Transport auf dem Weg zum Verbraucher, die die Verfügbarkeit schmälern – insgesamt allerdings weitaus weniger als die Mengen, die Verbraucher und Handel in die Tonne hauen.

Um der ländlichen Bevölkerung in ärmeren Ländern zu helfen, empfiehlt die FAO eine bessere Integration der Agrarproduktion in die Versorgungskette, bis hin zum Export. Mehr Kühlwagen, bessere Straßen für raschen Transport auf die Märkte und die Vertragslandwirtschaft würden – so die Hoffnungen – dazu führen, dass mehr Produkt zu Geld gemacht werden kann und folglich Armut und Hunger zurückgehen. In den meisten Fällen sind solche grandiosen Entwürfe aber gar nicht notwendig, sondern reichen einfache, preiswerte Maßnahmen wie verbesserte Vorratshaltung oder der Anbau weniger verderblicher Produkte, um Versorgung und Ernährung in den ländlichen Regionen zu verbessern. Am anderen Ende der Versorgungs- und Nahrungsmittelkette, wo die FAO mal wieder vor allem die Verbraucher als die Hauptschuldigen ausmacht, weil sie sich mehr in den Kühlschrank knallen als sie futtern können, empfiehlt die Studie, das Bewusstsein in der Nahrungsmittelindustrie, im Einzelhandel und bei den Verbrauchern für einen weniger verschwenderischen Umgang mit Nahrungsmitteln zu fördern und für überschüssige Lebensmittel andere Verwendungsmöglichkeiten als die Tonne oder die Tiermast zu suchen. Das könnte immerhin dazu führen, dass die 'Tafeln' in den Industrieländern unter der Last des Angebots zusammen brechen würden - für die Hungernden in den Ländern des Südens wäre das allerdings keine Lösung.

So berechtigt die Empörung darüber ist, dass Lebensmittel und natürliche Ressourcen massenhaft verschwendet werden und der Klimawandel beschleunigt wird – die Abfallproduktion gehört nun mal zur industriellen Nahrungsmittelerzeugung. Das fängt bei der Landwirtschaft an, die mit Maschinen und fossiler Energie auf immer größeren Flächen immer mehr produzieren muss. Dabei geht es weniger um menschliche Ernährung, geschweige denn um die Beseitigung des Hungers, sondern um das Streben nach mehr Profit. Und wenn er nicht mit Brötchen, Viehfutter oder Agrartreibstoffen realisiert werden kann, dann landet der Rest der Produktion halt auf der Kippe, wobei nicht selten Subventionen helfen, den Verlust zu mindern. Der Beifang der internationalen Trawlerflotten, der wieder ins Meer geschüttet wird, könnte für Millionen Menschen eine bessere Eiweißversorgung sicher stellen. Die Qualitätsanforderungen der EU für Agrarprodukte, die nicht nur dem Verbraucherschutz, sondern auch dem Schutz der eigenen Märkte gegen unerwünschte Konkurrenz dienen, erklären weitere Millionen Tonnen zu Ausschuss. Die Konzentration der Verarbeitungsindustrie auf „hochwertige“ Produkte wie Hühnerbrust und -schenkel verwandelt Flügel und Füße in Restfleisch, das entweder im Viehfutter landet oder die Existenzbedingungen afrikanischer Geflügelhalterinnen auslöscht. Kurze Verfallsfristen bei verpackten Lebensmitteln sind ein billiger Weg, um den Markt wieder frei zu machen für weiteres Wachstum und kurbeln den Umsatz an.

Diese Beispiele zeigen: Die Ressourcenverschwendung im großen Stil, die Erzeugung unverkäuflicher Produkte und Überschüsse sind existenzieller Bestandteil kapitalistischer Produktionsweise. Parallel zur Herstellung mehr oder minder nützlicher und verdaulicher Waren werden auch wachsende Berge von Abfällen, Ausschuss und Überschuss in allen möglichen Formen produziert – und das durchaus sehr effizient und effektiv. End of the Pipe-Vorschläge wie weniger Verschwendung und bessere Nutzung in den Industrieländern helfen dagegen allerdings wenig – und erst recht nützen sie nicht den Hungernden im Süden. Andere Lösungen sind erforderlich. Zum Beispiel eine Nahrungsmittelversorgung der kurzen Wege, mit saisonalen Produkten, mit überschaubaren Produktions- und Absatzstrukturen, die auf Qualität statt Masse setzen. Sie gilt es zu stärken, sowohl in den Industrieländern als auch in den Ländern des Südens, anstatt zu versuchen, der industriellen Nahrungsmittelerzeugung mit erhobenem moralischem Zeigefinger ihren Wachstumszwang austreiben zu wollen, der doch allemal stärker ist als die FAO, stärker auch als Verbraucher, die - durch Aufklärung „bewusst“ gemacht - beginnen, ihre Einkäufe künftig besser mit ihren Essgewohnheiten abzustimmen. (5.800 Zeichen)

Global Food Losses and Food Waste. Extent, Causes and Prevention. By Jenny Gustavsson et al. Rome 2011 (FAO)