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Boykottiert Rio+20!

von Uwe Hoering, November 2011

Wenn im Juni 2012 in Rio de Janeiro die Umweltminister, Staats- und Regierungschefs zum Gipfel Rio+20 auflaufen, dann wird schon Nostalgie aufkommen. Denn der Vorläufer, der „Erdgipfel“ 1992, war Aufbruch, wenn auch jetzt im Rückblick möglicherweise etwas verklärt. Es waren die Zeiten, in denen vom Wind des Wandels gesprochen und gesungen wurde. Kalter Krieg und Systemkonkurrenz waren beendet, neue Perspektiven, ein Paradigmenwechsel schienen möglich. Die UN-Konferenz Umwelt und Entwicklung (UNCED) versprach damals mit ihrem Konzept der Nachhaltigkeit, das seither zu einem nichtssagenden Etikett verflacht wurde, ein Gegengewicht zur neoliberalen Globalisierung zu bieten und die Tür für andere „Produktions- und Konsummuster“, wie es damals unter anderem hieß, aufzustoßen.

 

Ein müder Abklatsch

Lässt sich das heute wiederholen? Hoffnungen und Erwartungen werden hochgeschraubt, auf zahllosen Konferenzen bringen sich die Beteiligten in Position. Jeder versucht, in dem Leitthema „Green Economy“ sein eigenes Anliegen unterzubringen – Urbanisierung, erneuerbare Energien, Menschenrechte, Wasser, Wälder und Böden, eine andere Landwirtschaft als Kern einer neuen grünen Ökonomie, die letzte Chance in der Klimapolitik, ... Aber lässt sich Rio wiederholen? Ein ähnlicher Prozess anstoßen? Ein Stück Diskurshoheit für die Zivilgesellschaft zurückerobern? Ich habe da begründete Zweifel. Die Zeiten haben sich geändert.

Zum einen stehen in Rio keine substantiellen Entscheidungen oder Weichenstellungen an. Die Vereinten Nationen sind weitgehend marginalisiert. Heute sind sie - von den Mächtigen der Welt nie wirklich geliebt – wirtschafts- und umweltpolitisch nahezu irrelevant, nicht entscheidungsbefugt, -fähig und -gewillt. Für die Global Governance sind längst andere Gremien wie die G20 oder die Weltwirtschaftsforen zuständig. Der Vorbereitungsprozess für Rio+20 ist nach Ansicht informierter Beobachter „schwach und intransparent“, es gibt keine Aufbruchstimmung, sondern weitgehend nur „Business as usual“, jetzt auf Rio+20 getrimmt. Welche Priorität der Weltgipfel Rio+20 hat, zeigt sich unter anderem daran, dass der Termin wegen der Thronjubiläums der Queen verschoben wurde.

Mit der „Grünen Ökonomie“ wurde zudem ein Leitthema gesetzt, das längst Mainstream ist - den Kapitalismus zu begrünen, um einen neuen Wachstumsschub herbeizuführen. Jetzt geht es in Rio nur noch darum, diese Grüne Ökonomie abzunicken, um „Blue Washing“ durch die Vereinten Nationen, um eine PR-Veranstaltung globalen Zuschnitts, die auf den späten Abglanz von Rio 1992 setzt.

 

Dabeisein ist alles?

Für viele zivilgesellschaftliche, umwelt- und entwicklungspolitische Organisationen gilt dennoch: Dabeisein ist wichtig, um den eigenen Ideen und Vorschlägen mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, um Entwicklungen, die man für schädlich hält, zu verhindern oder wenigstens zu kritisieren. Indikatoren für eine nachhaltige Entwicklung sollen aufgestellt, eine Stärkung des UN-Systems durch eine Aufwertung des UN-Entwicklungsprogramms UNEP und anderer Institutionen angestrebt werden. Und auch wenn die Erwartungen an substantielle Erfolge gering sind, wird viel Energie in die Bemühungen gesteckt, das eigene Thema auf die Tagesordnung zu heben, in die Mobilisierung, um eine „kritische Masse“ am Zuckerhut zusammen zu bringen, und in die Erarbeitung von Deklarationen, Forderungskatalogen, neuen Studien und Berichten. Und sei es nur, um die Regierungen zu ärgern, indem man sie an ihre nicht eingehaltenen Versprechungen erinnert, an die Konventionen zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt, zu Desertifikation und zu Klimawandel, für deren Umsetzung viel zu wenig geschehen ist.

Doch um die Aufmerksamkeit auf die nicht eingehaltenen Versprechungen zu lenken, wäre es wirkungsvoller, wenn die Zivilgesellschaft den Gipfel demonstrativ boykottieren würde. Einmal nicht mehr mitzuspielen bei dem Spielchen, dem Ganzen einen globalen partizipativen Anstrich zu verleihen und als bunte fotogene Staffage zu fungieren. Den Anspruch von Rio+20 zu delegitimieren, für die Welt über Zukunftsperspektiven wie eine Grüne Ökonomie zu sprechen, deren Agenda längst durch andere, vorrangig ökonomische und wirtschaftspolitische Interessen definiert ist. Die in den vergangenen Jahrzehnten gewonnene Macht der Zivilgesellschaft besteht nicht etwa darin, in Rio Einfluss zu nehmen, sondern darin, der Veranstaltung fern zu bleiben.

 

Ein starkes Signal

Ein Boykott wäre nicht nur ein starkes Signal, das Medien und Öffentlichkeit mobilisieren, ja, elektrisieren könnte. Die Begründungen dafür würden die notwendigen Debatten anfeuern, fokussieren. In der Aufmerksamkeit, die durch einen derartigen Paukenschlag geschaffen würde, könnten die Themen diskutiert werden, die in Rio nur marginal bleiben und im Konferenzrummel untergehen werden – Armut und andauernder Hunger, neue Landwirtschaft, das Scheitern der Millenniums-Entwicklungsziele, die Rechenschaftspflicht von Regierungen und Unternehmen, „Peak everything“, ..... Welche Grüne Wirtschaft wollen wir? Welche Zukunft? Welche Strategien? Vor allem muss die multiple Krise diskutiert werden, die ja längst zu einer Systemkrise geworden ist. Doch in Rio feiern sich diejenigen als Retter, die wesentlich zur Entstehung dieser Krisen beigetragen  haben.

Natürlich müssen diese Themen,  Krisen und möglichen Lösungswege diskutiert werden. Die Frage ist, ob Rio+20 dafür der richtige Ort ist. Die Zivilgesellschaft ist, anders als vor 20 Jahren, längst stark genug, hervorragend vernetzt und qualifiziert, um die Diskussion selbstbestimmt zu führen. Sie hat längst andere Foren, um ihre Gedanken, Expertise und Anliegen zu präsentieren. Zahllose globale und regionale Netzwerke sind entstanden, Weltsozialforen, Multistakeholder-Dialoge und Runde Tische, bei denen sie mit Entscheidungsträgern in Regierungen, Institutionen und Wirtschaft fast auf Augenhöhe argumentieren kann. Und wenn es ihr bislang nicht gelungen ist, ihre Vorschläge in wirksame Politik umzusetzen, dann wird es ihr in Rio und durch Rio+20 auch nicht gelingen.

Zusammenfassend: In Rio gibt es wenig zu feiern. In Rio stehen viele der brennenden Themen und Fragen nicht auf der Tagesordnung. In Rio werden keine Weichen gestellt und keine wichtigen Entscheidungen fallen. Und für die Zivilgesellschaft ist in Rio kein Blumentopf zu gewinnen. Ja, Rio+20 kann und sollte genutzt werden, um für die eigenen Ideen, Positionen und Forderungen zu werben. Aber das geschieht besser, indem man Rio+20 boykottiert. (6.500 Zeichen)