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Peasant Studies: Explaining resistance and its absence

Dezember 2016: Während trotz schwieriger Informationslage inzwischen das Ausmaß großflächiger Agrarinvestitionen ('Land grabbing'), die Rolle wichtiger Akteure wie Agrar- und Ernährungskonzernen, Pensionsfonds und internationalen Entwicklungsinstitutionen  sowie die Bereiche, in denen Investitionen getätigt werden, besser dokumentiert werden (siehe beispielsweise Landmatrix und GRAIN), werden ihre Auswirkungen auf lokale Lebensbedingungen und Bevölkerungen sowie deren Reaktionen darauf noch eher bruchstückhaft, zufällig und unsystematisch erfasst und analysiert, zumal Informationen darüber noch sehr viel schwieriger zu bekommen sind als Informationen über Vertragsabschlüsse und deren Umsetzung. Doch mehr und mehr richtet sich der Fokus der politischen und wissenschaftlichen Diskussion auch auf Reaktionen ‚from below’, die weit vielfältiger, vielschichtiger und komplexer sind als die offenkundigen Proteste und Klagen, über die hier und da berichtet wird (siehe unter anderem farmlandgrab). Dabei erhalten artikulierte Widerstandsaktionen und Aktivitäten gegen Investitionsprojekte noch die meiste Aufmerksamkeit. Doch daneben gibt es eine Vielzahl von unterschiedlichen Antworten auf den neuerlichen Einbruch großflächiger Agrarinvestitionen in den ländlichen Raum, deren Erfassung und Analyse wichtig ist für das Verständnis sozialer Bewegungen und politischer Perspektiven über die einzelnen Formen organisierten und alltäglichen Widerstands hinaus.

Die Einleitung zur Ausgabe 3-4, 2015 des Journal of Peasant Studies zum Thema: Global land grabbing and political reactions ‚from below’ deutet bereits im Titel die Spannbreite möglicher Reaktionen an: ‚Resistance, acquiescence or incorporation?’.

„We frame ‚political reactions from below’ in a wider way, to refer to responses that extend far beyond ‚resistance’ in its many manifestations, and range from mobilizations seeking to improve the compensation for people’s expulsion from their land to demands to be inserted into land deals as workers or contract farmers to counter-mobilizations against land deal resisters“ (467).

Dazu kommen Reaktionen auf nationaler Ebene und in internationalen multilateralen Foren sowie transnationale Bewegungen. In vielen Fällen nimmt dabei die Frage nach der Rolle des Staates beziehungsweise staatlicher Institutionen auf den verschiedenen Ebenen und des Verhältnisses zu ihnen eine besondere Stellung ein.

Medien, zivilgesellschaftliche Gruppen, soziale Bewegungen und nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen haben inzwischen zahlreiche Beispiele von Widerstand, der mehr oder weniger breit, mehr oder minder organisiert, mehr oder weniger militant ist, publik gemacht. Gemessen an der großen Zahl von Landnahmen durch nationale und internationale Investoren und deren Auswirkungen ist allerdings auch die verbreitete ‚Abwesenheit von Widerstand’ bemerkenswert, auch wenn davon auszugehen ist, dass viele Formen unterhalb der Wahrnehmungsebene besonders der internationalen Öffentlichkeit bleiben. In ihrem Beitrag über Agrarinvestitionen in der Ukraine greift die Autorin Natalia Mamonova am Beispiel der Ukraine, ein bevorzugtes Ziel großflächiger Agrarinvestitionen, die verengten Vorstellungen auf,

that resistance is the only or most likely response of rural people to large-scale land acquisitions, that peasants are incapable of adapting to or coexisting alongside large-scale industrial farms, and that ‚ideological concerns about the „peasant way of Life“, food and land sovereignty dominate the peasant struggles’“ (470).

Den geringen Widerstand gegen die massiven großflächigen Agrarinvestitionen in der Ukraine erklärt sie mit einer Mischung aus historischen Erinnerungen an die Sowjetunion und Inklusion:

Employment on large farms, with their relatively high salaries and social wage, combined with income from tiny intensively-cultivated private plots, appears to be a congenial alternative, familiar from Soviet times and preferable to unequal and quixotic struggles with uncertain outcomes“ (ebda).

Diese scheinbare Attraktivität von Lohnarbeit und die verbreitete Realität einer Patchwork-Ökonomie könnte auch in Afrika in vielen Fällen die gespaltenen Reaktionen auf Agrarinvestitionen erklären, besonders unter jungen Männern.

Neben der Konfrontation mit Unternehmen und Großgrundbesitzern kommt es häufig auch zu Auseinandersetzungen zwischen betroffener Bevölkerung und dem Staat oder der Kombination beider,

which can take the form of organized national mobilizations by agrarian movements, such as occurred in the Philippines in 2006-2007 over the allocation 1.4 million hectares of land to Chinese investors.“

Es gibt aber auch den „poor-on-poor conflict“, der den Widerstand schwächt:

From one land deal site to the next, we see social groups divided, not fully united, and with varied takes on engaging with land deals (....) – a conflict usually instigated and fanned by those behind land deals“ (471).

So wenig wie alle Landnahmen mit massiver Vertreibung lokaler Bevölkerungen  und deren Verdrängung von anderen Ressourcen oder Einkommensmöglichkeiten einhergehen, so wenig richten sich denn auch alle Mobilisierungen gegen Landnahmen: „Sometimes social groups in local communities mobilize, seek allies and demand to be inserted into land deals“, beispielsweise als Arbeiter oder als Vertragslandwirte. Daraus folgt:

Addressing the ways in which land deals incorporate local people – who, how, why and on what terms – can help us to understand what conditions responses, including resistance of various kinds as well as the absence fo resistance, and so deepen our ciritical inquiry into the global land grab“ (475).

Diese Vielfalt von Antworten auf Landnahmen schließt auch ein, dass der Bezug von Betroffenen und Organisationen, die sie unterstützen, organisieren oder vertreten, gegenüber staatlichen Institutionen sehr unterschiedlich ist und beispielsweise ganz unterschiedliche Strategien politischer und rechtlicher Kämpfen umfassen und in diese eingebettet sein kann – und das auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene. Deshalb schlagen die AutorInnen denn auch vor, breiter von ‚politics from below’ zu sprechen, die nicht nur reaktiv sind, sondern den Verlauf der weiteren Agrarentwicklung, der durch Land grabbing eine neue, breite Dynamik erhalten hat, beeinflussen und mitgestalten werden.

Resistance, acquiescence or incorporation? An introduction to land grabbing and political reactions ‚from below’. By Ruth Hall, et al. In: The Journal of Peasant Studies. 2015. Vol. 42, Nos 3-4, 467-488. Download der Ausgabe Volume 42, Issue 3-4, 2015

Siehe auch: Building Community Resistance Against Land Grabbing. Documentation of Cases in Selected Communities in Asia (Indonesia, Sri Lanka, Pakistan, Malaysia and the Philippines. Published by Pesticide Action Network Asia and the Pacific. October 2013. Download (pdf 1,9mb)

Saturnino Borras & Jennifer Franco, Global Land Grabbing and Political Reactions 'From Below'. In: Third World Quarterly, 2014, 34:9, 1723-1747. Download (pdf)

Mapping resistance & resilience to the global land grab: definitions, financial activism and alliances. By Leah Temper and Joan Martinez-Alier. Published by Land Deal Politics Initiative (LDPI), 2012