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Transparenz-Übung durch 'Land Matrix'

von Uwe Hoering, 11. Juni 2013

„Transparenz“ ist das neue Zauberwort, mit dem beispielsweise die Weltbank mit ihrer gleichnamigen Initiative der verbreiteten Kritik an großflächigen, oft ausländischen Agrarinvestitionen, aka „Land grabbing“, den Wind aus den Segeln nehmen will. In der Tat haben sich gerade die ersten Jahre dieser neuen Landnahme dadurch ausgezeichnet, dass Investoren und Regierungen Konzessionsverträge unter sich aushandelten, vorbei an den Parlamenten, der Öffentlichkeit und erst Recht den betroffenen Bevölkerungsgruppen. Die Undurchsichtigkeit von alarmierenden Medienberichten, Interessenbekundungen, Verhandlungen und tatsächlichen Vertragsabschlüssen hat auch dazu beigetragen, dass das ganze Ausmaß dieser Investitionen unklar blieb.

Transparenz rund um die umstrittenen Investitionen in Land ist auch der Anspruch des Projekts Land Matrix Global Observatory, das unter anderem durch das BMZ beziehungsweise die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, GIZ, gefördert wird.Die interaktive und partizipative Datenbank erfasst gegenwärtig 1.071 Fälle großflächiger, vornehmlich ausländischer Landnahmen seit 2000 mit einer Fläche von jeweils mindestens 200 Hektar. Und ihre gestern veröffentlichte aktualisierte Auswertung bietet eine ganze Reihe interessanter Einsichten und Erkenntnisse.

 

US-Unternehmen als größte 'Land grabber'

Die spannendste Erkenntnis erschließt sich allerdings erst auf den zweiten Blick: Im neuen Ranking der Top-Herkunftsländer der Investoren steht nicht mehr – wie in der ersten Version vom April 2012 – China an der Spitze, sondern Unternehmen aus den USA mit 8,2 Millionen Hektar. Auf den Plätzen und mit großem Abstand folgen Malaysia mit 3,3 Millionen Hektar, die Arabischen Emirate und Großbritannien, während China mit 1,2 Millionen Hektar „eine geringere Rolle spielt als oftmals angenommen“.

Einschränkend muss angemerkt werden, dass die Datenbank, die sich auf „low and middle income countries“ konzentriert, nicht alle Fälle erfasst, vermutlich aber doch den relevanten, wenn nicht sogar den größten Teil, da sie von gemeldeten Fällen ausgeht und diese überprüft. Allerdings fehlen die großflächigen Agrarinvestitionen in Osteuropa und Zentralasien trotz deren wachsender Bedeutung als Zielländer, ganz zu schweigen von den Fällen in Deutschland, Österreich und anderen europäischen Ländern.

Zum einen bestätigt die Aktualisierung, dass das größte Interesse in Afrika südlich der Sahara besteht, vor allem in der DR Kongo, in Mosambik und Äthiopien. Der zweite regionale Schwerpunkt ist Südostasien, wobei Papua Neuguinea und Indonesien die wichtigsten Zielländer sind, Brennpunkte wie Kambodscha, Laos oder Myanmar hingegen nicht unter den Top Ten rangieren.

Aufschluss- und hilfreich ist, dass durch eine neue Kategorisierung zwischen Spreu und Weizen unterschieden wird, sprich: dass erfasst wird, welche Absichtserklärungen oder Verhandlungen auch tatsächlich zu einem Vertragsabschluss geführt haben. Demnach registriert die Bestandsaufnahme bislang mindestens 755 Verträge über 32,6 Millionen Hektar Land. Welche Bedeutung die Vorschläge für 'verantwortliche Agrarinvestitionen' (Responsible agricultural investments, rai), die gegenwärtig im Committee on World Food Security, CFS, verhandelt werden, für derartige bestehende Verträge noch haben können, wird eine interessante Frage werden. Weitere 145 Fälle über insgesamt knapp 11 Millionen Hektar befinden sich in einem Vorstadium. Das große Interesse von Investoren und Regierungen als den in vielen Fällen formellen Landeigentümern an den Investitionen zeigt sich daran, dass lediglich in 50 Fällen die Verhandlungen scheiterten oder Verträge gekündigt wurden.

 

Ernährungssicherheit

Wenig Überraschendes bietet die Aufteilung nach Agrarprodukten, die die Investoren anbauen wollen. Grundnahrungsmitteln stehen mit rund 8,5 Millionen Hektar zwar an erster Stelle und seien damit „die wichtigsten Triebkräfte großflächiger Landnahmen“. Doch die Flächen, die für den Anbau von Energiepflanzen (gut 6 Millionen Hektar), für Holz und Klima-Zertifikate (mehr als 6 Millionen Hektar) und Tourismus (knapp drei Millionen Hektar) erworben werden, sind mit zusammen 15 Millionen Hektar weitaus größer. Zudem kann die Methode nicht beantworten, welchen Beitrag die Investoren zur Ernährungssicherheit leisten, da sich weder der Anteil der „Flexible Crops“, also Weizen, Mais oder Soja, die sowohl als Nahrungsmittel, als Tierfutter oder als Energiepflanzen genutzt werden können, erschließt, noch der Anteil der Produktion, der möglicherweise in den Export geht.

Bemerkenswert dagegen der geringe Anteil, den reine Bodenspekulation angeblich hat. Neben der Finanzmarktspekulation mit Agrarprodukten ist diese 'Investition' besonders heftig in die Kritik geraten, scheint jedoch mit etwa 500.000 Hektar relativ unbedeutend zu sein. Noch niedriger ist nach der Erfassungsmethode der Land Matrix übrigens der Anteil der Industrie, der gegen Null tendiert.

Bemerkenswert auch, dass - so die Datenauswertung - bislang auf lediglich 1,7 Millionen Hektar eine landwirtschaftliche Produktion aufgenommen wurde. Die Gründe dafür bleiben im Dunkeln. Es mag daran liegen, dass die Tinte unter den Verträgen noch nicht richtig getrocknet ist. Es könnte aber auch ein Indiz dafür sein, dass Investoren angesichts vielfältiger Risiken, von denen der Klimawandel oder die Proteste lokaler Bevölkerungen nur zwei denkbare sind, oder unsicherer Renditeaussichten zögern mit ihren Investitionen. Die Konsequenz wäre, dass sie auf weitere Verbesserungen des Investitionsklimas warten, an denen sowohl die nationalen Regierungen als auch die Regierungen der Herkunftsländer vieler Investoren arbeiten, allen voran die G8 mit Milliarden-Zusagen im Rahmen der L'Aquila-Initiative und der New Alliance von US-Präsident Barack Obama - mit Investitions- und Infrastruktur-Entwicklungsplänen wie „Landwirtschaftlichen Wachstumskorridoren“, Reformen des Boden- und Saatgutrechts und Handels- und Investitionsabkommen. Die Gelder, die in diese Investitionsanreize fließen, fehlen dann allerdings für die Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft.

 

Cui bono?

Auch für die politisch brisanten Themen bietet diese Transparenz-Initiative keine Antworten: Wurden Landnutzer ausreichend beteiligt (Free prior informed consent)? Insgesamt liefern die Daten kaum Anhaltspunkte dafür, in welchem Ausmaß durch die Konzessionen ansässige Kleinbauern oder nomadische Tierhaltung betroffen oder gar vertrieben wurden. Lediglich für knapp 1 Million Hektar gibt es demnach Informationen, dass das Land, das an die Investoren geht, vorher von kleinbäuerlichen Betrieben bewirtschaftet wurde. Für Weidegründe und Wälder ist die Informationslage sogar noch dürftiger. Bei 30 Millionen Hektar seien keinerlei Angaben über die bisherige Landnutzung verfügbar.

Erst recht gibt die Auswertung nichts her zu der Frage, wie viele Arbeitsplätze neu entstehen, wie viel Infrastruktur die Investoren schaffen, wie viele Schulen und Krankenstationen gebaut werden, wie viel Geld an die lokale Bevölkerung als Teil der Pacht oder als Entschädigung für den Verlust von Zugang zu Land, Wasser und Wäldern gezahlt werden – Versprechungen, mit denen Investoren häufig das Zustandekommen der Verträge versüßen. Auch da versagt die Transparenz-Initiative. Und trägt damit nicht zur Klärung der letztendlich entscheidenden Frage bei: Wer sind die Gewinner der Agrarinvestitionen, und wer die VerliererInnen?

Anmerkung: Da die Land-Matrix "dynamisch" ist, verändern sich die Zahlen ständig. So war mit Stichtag 25. Juli 2013 die Anzahl der abgeschlossenen Verträge auf 797, der angestrebten auf 170 gestiegen, die Gesamtfläche um gut 2 Millionen Hektar. Überraschend haben sich die Flächen, auf denen die Investoren Grundnahrungsmittel anbauen wollen, auf 15 Millionen Hektar nahezu verdoppelt, die Fläche, auf denen angeblich die Produktion aufgenommen wurde, hat sich binnen sechs Wochen sogar von 1,7 auf fast 13 Millionen Hektar vergrößert. 'Land grabbing', so die Botschaft, dient in Wirklichkeit der Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und damit der Ernährungssicherheit.