Globe Spotting

Themendienst

Reportagen & Analysen

'Business as usual', Hunger eingeschlossen

von Uwe Hoering, 22. Oktober 2015

Die Meldung machte zwar keine großen Schlagzeilen, aber sie wirft ein Schlaglicht auf die internationale Agrar- und Ernährungspolitik: Mitte Oktober, passend zum Welternährungstag, meldeten unter anderem The Guardian: "The Ethiopian government is calling for international assistance to help feed 8.2 million people after erratic rains devastated crop yields." Deshalb möchte sie noch in diesem Jahr knapp 600 Millionen US-Dollar an Hilfsgeldern haben, unter anderem, um 300.000 Kinder mit "specialised nutritious food" zu versorgen - um so zumindest zu verhindern, dass aus der Randmeldung wieder Bilder von Hungerbäuchen werden, wie sie bei der Hungerkatastrophe vor über 30 Jahren um die Welt gingen, bei der schätzungsweise acht Millionen Menschen ums Überleben kämpften und 700.000 starben.

Spätestens seither ist klar, dass die Landwirtschaft in Äthiopien strukturell falsch aufgestellt ist: Minifelder, fehlende staatliche Unterstützung, schlechte Infrastruktur, unsichere Landrechte, .... Zwar verhungert anscheinend kaum noch jemand, vor allem wegen erheblicher Nahrungsmittelhilfe: Von den 3,2 Milliarden US-Dollar an US-Geldern für Äthiopien seit 1991, so Oxfam, waren 94 Prozent für Getreideimporte aus den Vereinigten Staaten. Unter- und Mangelernährung und eine Landwirtschaft am Existenzminimum sind aber offensichtlich nach wie vor verbreitet.

 

Investitionen in die falsche Landwirtschaft

Daher schien es durchaus sinnvoll und richtig, dass die Weltbank seit über zehn Jahren vorrangig die Landwirtschaft fördern will. Doch ihr Konzept einer 'durch landwirtschaftliche Entwicklung angeschobenen Industrialisierung' (Agricultural Development Led Industrialisation, ADLI) scheint wenig geändert zu haben: Nachdem Milliarden US-Dollar und Euro für Projektplanungen und Programme ausgegeben wurden, liefert Äthiopien immer noch die gleichen Meldungen wie vor Jahrzehnten.

Stattdessen hat die Weltbank dazu beigetragen, dass Äthiopien zu einem der beliebtesten Zielländer für ausländische Investoren im Agrarbereich wurde. Die Regierung hat viel Geld in die Schaffung günstiger Voraussetzungen dafür gesteckt, große Ländereien wurden für 'nen Appel und 'n Ei verpachtet, Milliarden für riesige Bewässerungsprojekte wie den Staudamm Gibe III ausgegeben, Kleinbauern vertrieben. Die damit verbundenen Versprechungen allerdings, Landwirtschaft und Ernährungssicherheit zu stärken, werden durch die aktuellen Meldungen widerlegt.

An unzureichenden Mitteln für die Landwirtschaft kann das nicht liegen - Regierung, internationale Entwicklungsorganisationen und Agrarunternehmen haben Milliarden in den Agrarbereich investiert. Vielmehr zeigt sich, dass das Entwicklungsmodell einer industriellen Landwirtschaft, das sie verfolgen, ungeeignet ist, Armut und Hunger zu verringern.

 

Symptombekämpfung als Geschäftsmodell

Doch anstatt umzusteuern und die bäuerliche Landwirtschaft stärker zu fördern, setzt die Regierung auf Sonderprogramme: Bei der International Finance for Development Conference im Juli dieses Jahres in Addis Abeba verabschiedete sie öffentlichkeitswirksam, unter den wohlwollenden Augen der angereisten Vertreter von Regierungen, Entwicklungsinstitutionen und Medien, eine Absichtserklärung, bis 2030 Unter- und Mangelernährung bei Kleinkindern zu beseitigen - durch Nahrungsmittel, die mit Vitaminen und Mineralien angereichert sind. Die Micronutrient Initiative, mit der sie dabei zusammenarbeiten will, glaubt, dass die Agrar- und Ernährungsindustrie mit ihrer "expertise in global supply chain management, production, packaging, safety, quality assurance, marketing, and delivery, together with our experience working with governments to bring supplement and fortification programs to scale create the winning recipe in the fight against hidden hunger."

 

Sündenbock Klimawandel

Die Regierung macht zudem nicht ihre verfehlte, auf dem Rat von Weltbank und Entwicklungsinstitutionen wie der britischen DFID und USAID aufgesetzte Agrarpolitik für den andauernden Hunger verantwortlich, sondern 'El Nino', Klimaschwankungen, für deren Auswirkungen Äthiopien besonders anfällig ist. Zudem würden Flüchtlinge aus den Konfliktregionen im benachbarten Südsudan die "food insecurity situation exacerbating", so Dennis Weller, the USAID-Chef in Äthiopien.

"There is much that we can do to break the cycle of drought-driven desaster in Ethiopia and the Horn of Africa", hielt die Oxfam-Direktorin Penny Lawrence 2009, als die Regierung Hilfe für 6,2 Millionen Hungernde beantragte, solchen Rechtfertigungsversuchen entgegen. Allerdings gehören die kommerziellen Agrarinvestitionen ganz offensichtlich nicht zu den dafür geeigneten Maßnahmen. Und die Nährstoffanreicherung noch viel weniger.

Doch angesichts des inzwischen weltweit ausgerufenen "Agraroptimismus", bis 2030 den Hunger erfolgreich aus der Welt schaffen zu können, passen Hungermeldungen, die den Ankündigungen von Initiativen wie der "G8 New Alliance for Food Security and Nutrition" widersprechen, nicht ins PR-Bild. Da wird lieber der angebliche Beitrag der Konzerne zu Ernährungssicherheit und Beseitigung von Unter- und Mangelernährung hochgehalten. Und wenn es dann trotzdem - aufgrund 'höherer Gewalt' wie Klima und Konflikten - Hunger gibt, soll die internationale Hilfe einspringen. Nur nicht am 'business as usual' zweifeln.